Archiv

Hate Speech in der Gaming-Szene
Die Koalition der Hass-Bekämpfer

Gaming bleibt ein Wachstumsmarkt, immer mehr Menschen spielen an Smartphone, Konsole oder Computer. Doch damit nimmt auch ein anderes Problem des digitalen Alltags zu: ein verachtender Ton, der sich häufig gegen Frauen richtet. Initiativen wie Digitale Helden wollen das in Deutschland ändern.

Von Tobias Nowak |
Messebesucher spielen auf der Messe Gamescom das Computerspiel Final Fantasy XIV
Gut die Hälfte der Menschen in Deutschland spielt mittlerweile an Computer, Konsole oder Smartphone (IMAGO / Rupert Oberhäuser)
"Geiler Knackarsch hast Du da, Süße! Mmmmh…" Solche Kommentare muss sich Gnu oft anhören - sie ist die erste deutsche Youtuberin, die mit ihrem Gaming-Kanal über eine Million Abonnements gewinnen konnte. Dort spielt sie Handy- oder Computerspiele, allein oder mit anderen Youtubern, wie z.B. Rezo, und kommentiert das Spielgeschehen für ihr Publikum. "Als ich gewachsen bin, hatte ich so viel Shitstorm - das habt ihr alle gar nicht mitbekommen - weil viele mich gar nicht akzeptieren wollten in der Gaming-Szene."
Besonders für Ihr Engagement für kontroverse und unangenehme Themen wurde Gnu jüngst mit dem deutschen Computerspielepreis als "Spielerin des Jahres" ausgezeichnet. In einigen ihrer Videos zitiert sie aus den Tausenden von giftigen Kommentaren auf ihrem Kanal: "Du bist eine Missgeburt!", "Du kannst doch eh nicht spielen, zieh Dich doch aus, Du bist doch eine Frau, zeig Melonen."

Digitalen Helden richtet sich an Schulen

"Wir thematisieren das Thema 'Frauen in Games', weil Frauen sprachlichen Anfeindungen ausgesetzt sind, weil es Grenzüberschreitungen gibt, weil es Beleidigungen, Hasskommentare im Internet gibt, aber eben auch in den Games selber", sagt Florian Borns, Mitgründer und Geschäftsführer der Digitalen Helden, einer gemeinnützigen GmbH aus Frankfurt am Main. "Wir helfen den Pädagoginnen, Ausbildung in Schule zu bringen, die sich rund um die digitale Kommunikation dreht."
Hass im Netz und kein Ende
Hetze im Internet werde künftig "effektiver verfolgt und härter bestraft", kündigte vor Kurzem das Bundesjustizministerium an. Hintergrund sind neue Gesetze. Die Wirklichkeit ist noch eine andere: Der Ton bleibt rau – und Betroffene fühlen sich alleine gelassen.
Dies geschieht einerseits über ausführliche Lehr- und Informationsmaterialien auf der Website der Digitalen Helden. Aber vor allem werden über ein Mentorenprogramm Lehrerinnen und Lehrer für AGs oder Wahlkurse qualifiziert, in denen dann wiederum ältere Schülerinnen und Schüler zu "Mentoren" für die jüngeren geschult werden.
Bisher sind 170 Schulen in zehn Bundesländern beteiligt. Die Digitalen Helden sind überzeugt, "dass ältere Schüler auf Augenhöhe mit den jüngeren sprechen, weil die haben ähnliche Erfahrungen wie sie gemacht. Und können da helfen und auch Ansprechpartner sein, falls es zu peinlich ist, zu den Erwachsenen zu gehen."
Nebenbei gilt es, den Erwachsenen auch aufzuzeigen, welche positiven Kompetenzen Games vermitteln: "Kommunikation, Kooperation, kreatives Denken, kritisches Denken. Manche Lehrer sind dann doch eher in der Abwehrhaltung oder Eltern. Und dann mal eine andere Perspektive aufzuzeigen."

Weitere Initiativen gegen Hass im Netz

Aber es sind nicht nur gemeinnützige Organisationen, die sich gegen Hass im Gaming stellen, sondern auch große Konzerne. Die Telekom zum Beispiel betreibt die Kampagne "#DABEI - Gegen Hass im Netz". Barbara Costanzo ist für das soziale Engagement der Telekom mitverantwortlich:
"Der Hashtag 'dabei' kann ja nicht bedeuten, dass wir zufrieden sind, wenn jeder dabei ist und tut, was er will, sondern wenn Medienkompetenz zusammenkommt mit dem Thema 'Zusammenleben nach demokratischen Spielregeln im Netz'. Also andere nicht ausgrenzen, sondern ganz im Gegenteil die Vielfalt, die unterschiedlichen Perspektiven, Menschen, die man sonst nie getroffen hätte, im Netz zu genießen. Und dem steht natürlich Hass im Netz entgegen."
Verschwinden der Games-Zeitschriften
Die Zeitschrift "Computer Bild Spiele" erschien 2019 zum letzten Mal. Dabei sind die Zielgruppe und der Bedarf an informativen Formaten bis heute groß. Die sind zunehmend online zu finden. Doch können sich journalistische Angebote dort neben User-Formaten wie "Let's Plays" durchsetzen?
In der Koalition der Hass-Bekämpfer ist auch die eSport Player Foundation aktiv. Sie betreut hauptsächlich professionelle, also hauptberufliche Gamer, die oft noch sehr jung sind, unter hohem öffentlichen Druck stehen und mit Preisgeldern und Werbeverträgen sehr viel Geld verdienen können. Aber die eSport Player Foundation hat auch Hate Speech in Spielen als wichtiges gesellschaftliches Problemfeld erkannt. Geschäftsführer Jörg Adami:
"Das ist sicherlich auch absolut nicht zu unterschätzen, dass wir halt Randgruppen haben, egal aus welcher Richtung, oder Extremgruppen, die verstanden haben, dass sie über Gaming, die digitalen Spieleplattformen, durchaus in der Lage sind, zum Teil subtil oder auch sehr aggressiv, Menschen zu erreichen. Und das ist, jetzt aus meiner Sicht, für uns als Gesellschaft halt ein ganz, ganz schlechtes Zeichen und early indicator. Also wenn wir uns mal anschauen, wie alt sind die denn? Dann reden wir ja in der Regel halt auch hier mit einem ganz großen Teil mit 12-, 13-, 14-, 15-jährigen Kids, die sozusagen ihre ersten Erfahrungen machen. Oder auch 16-, 17-, 18-, 19-jährige, die in den letzten Jahren digital sozialisiert worden sind."

"Es ist schon eine Frage der Haltung"

Jüngere wie ältere Menschen müssen lernen, solche Manipulationen zu erkennen, und vor allem gegen alle Fälle von Rassismus, Sexismus, Antisemitismus aufzustehen. "Counter Speech" nennt sich das, im Alltag, in den "echten" sozialen Medien, wie auch in Games. Florian Borns:
"Ich glaube, es braucht auch insgesamt eine Kultur - auch aufseiten der Männer - im Bewusstsein, dass bestimmte Arten von Äußerungen und Kommentaren einfach ein No-Go sind und dass man das auch ganz klar sagt. Ich denke, es ist schon eine Frage der Haltung, ob so etwas toleriert und akzeptiert wird oder ob es hier eine klare Kante gibt.