Bei seinem ersten Auftritt schwört Herbert Diess die Aktionäre auf die Zukunft ein. Der neue VW-Lenker skizziert in seiner Rede Jahre des radikalen Umbruchs - ein Wandel aus dem der nach Verkaufszahlen weltgrößte Autobauer gestärkt hervorgehen werde. Diess will VW auf Effizienz trimmen, den Zwölf-Marken-Konzern mit seinen komplizierten Strukturen schneller und wendiger machen. Mehr Selbstständigkeit für die künftig in Markengruppen gebündelten Konzerntöchter sollen Reserven heben, um VW fit für die großen Zukunftsthemen Digitalisierung und Elektrifizierung zu machen.
"Wir müssen den Konzern vom schwerfälligen Tanker zu einem schlagkräftigen Verbund von Schnellbooten umbauen."
Aber auch im abgelaufenen Geschäftsjahr können die Anteilseigner zufrieden sein: Der Erlös um sechs Prozent auf 230 Milliarden Euro gesteigert, Absatzrekord auch im ersten Quartal dieses Jahres, auch das operative Quartalsergbnis ist mit 4,2 Milliarden Euro robust. Operativ läuft vieles wieder rund bei VW – und das, obwohl im Zuge des 2015 aufgeflogenen Abgas-Skandals inzwischen mehr als 25 Milliarden Euro abgeflossen sind.
Noch ist offen, ob VW seine Kunden in Deutschland und Europa doch noch eine Entschädigung zahlen muss. Vor dem Landgericht Braunschweig startet im Herbst ein Verfahren, in dem tausende Aktionäre einen Schaden von rund acht Milliarden Euro geltend machen. VW soll sie vorsätzlich zu spät über die Manipulationen und den drohenden Kursverlust unterrichtet haben.
"Ehrlicher, offener, wahrhaftiger"
Diess erläutert, was der Konzern bei der Aufarbeitung des Skandals bereits alles unternommen habe: Das neue Hinweisgebersystem, das Fehlverhalten von Mitarbeitern frühzeitig aufdecken soll, sei auf gutem Wege:
"Wir brauchen belastbare Strukturen, Prozesse und Programme, vor allem müssen wir aber auch danach handeln. Volkswagen muss in diesem Sinne ehrlicher, offener, wahrhaftiger, in einem Wort: anständiger werden!"
Doch um die entscheidende Frage drückt sich Diess vor dem Publikum genauso wie der Aufsichtsrat um den Vorsitzenden Hans Dieter Pötsch. Welche ranghohen Manager im Konzern wussten frühzeitig von der Betrugssoftware und waren damit mitverantwortlich? Die Frage bewegt auch Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz:
"Auf der einen Seite ist es eine gute Profitabilität, beste Ergebnisse seit langem. Auf der anderen Seite komme ich zu einem untreuen Bürger in diesem Staat, der sich nicht an die Gesetze gehalten hat. Mein Hauptkritikpunkt ist natürlich die zögerliche Abarbeitung der Dieselthematik. Es gibt offensichtlich noch zu viele Mitwisser, Mittäter in diesem Konzern."
Der Aktionärsvertreter Christian Strenger beklagt in seinen Gegenanträgen, der versprochene Kulturwandel sei nicht möglich, solange nicht wirklich unabhängige Kontrolleure frei von Interessenkonflikten in den Aufsichtsrat einziehen. Auch der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre will Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung verweigern – weil sich VW weiterhin weigere, alle bereits verkauften Dieselautos mit einer Hardware-Lösung nachzubessern. Aber sie wissen auch, dass all diese Einwendungen an der Stimmgewalt der Eignerfamilien und des großen Anteilseigners Niedersachsen abperlen werden.