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Hausärzte werden knapp
Von der Schwemme zum Mangel

In Deutschland droht ein eklatanter Hausarztmangel - nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Städten. Ein Großteil der Nachwuchsmediziner will sich lieber spezialisieren, als in die Allgemeinmedizin zu gehen. Die Politik will gegensteuern und auch börsennotierte Unternehmen stoßen in die Lücke vor, die das Verschwinden der Hausärzte hinterlässt.

Von Nikolaus Nützel |
    Abwesenheit Ein Arztschild steht auf einem leeren Parkplatz.
    Ein Arztschild steht auf einem leeren Parkplatz. (imago / Chromorgane)
    "Das ist so der zentrale Schaltraum für die Praxis, EKG und Lungenfunktion, Belastungs-EKG, Langzeit-Blutdruckmessung und so weiter, Notfälle, Sauerstoff-Infusionen, Impf-Kühlschrank und so weiter."
    Es ist eine typische Hausarztpraxis, die Harald Aulbach mit seiner Frau betreibt. Im unterfränkischen Kreuzwertheim im Dreiländer-Eck zwischen Bayern, Baden-Württemberg und Hessen bieten die beiden Mediziner ein breites Spektrum der Allgemeinmedizin an. Über zu geringe Patientenzahlen konnte sich das Hausärztepaar nie beklagen, im Gegenteil. Als vor vier Jahren ein Kollege in einem Nachbarort seine Praxis dicht machte, ohne einen Nachfolger zu suchen, kamen hunderte Patienten neu zu Harald und Ursula Aulbach.
    "Das war wirklich wie ein Tsunami, das ging über Wochen und Monate haben wir täglich Patienten gehabt neue, die ganze Familien angemeldet haben, jede Menge braune Tüten mit den ganzen Unterlagen, da musste man sich durcharbeiten. Bis man wieder ein Gesamtbild von so einem Menschen hat, und sein Umfeld kennt, dass man ihn auch wirklich hausärztlich betreuen kann."
    Schwierige Suche nach einem Praxis-Nachfolger
    Die zusätzliche Arbeit und der damit verbundene zusätzliche Umsatz waren nichts, was das Hausärztepaar sich gewünscht hatte.
    "Weil wir gesagt haben, hoffentlich geht uns nichts durch die Lappen, hoffentlich übersiehst du keine Diagnose, keinen Fehler, weil du die Leute ja noch nicht kennst und bei deinen bisherigen, von dir betreuten Patienten weißt du genau, wenn die zur Tür reinkommen, dann macht es Klick im Hinterkopf, der hat die und die Probleme, der hat das Medikament, das verträgt er nicht, das hat er schon mal gehabt. Also das war extrem belastend."
    Als hunderte neue Patienten in die Praxis der Aulbachs kamen, wollte das Ärzte-Ehepaar eigentlich schon in Ruhestand gehen. Mit Hilfe spezialisierter Makler, aber auch auf eigene Faust, machten sie sich auf die Suche nach einem Praxis-Nachfolger. "Resonanz war miserabel."
    "Wie weit ist es zum nächsten Golfplatz"
    Am Verkaufspreis, den das Ärztepaar sich vorgestellt hat, könne es nicht gelegen haben, meint Harald Aulbach. Nur einige wenige Ärzte zeigten überhaupt ein vages Interesse an einer Übernahme. Bei keinem einzigen kamen die Gespräche so weit, dass man über Geld geredet hätte. Andere Kriterien hingegen waren durchaus ein Thema.
    "Wenn mich ein Makler fragt, meine wichtigste Frage ist, wie weit ist es zum nächsten Golfplatz, dann denke ich, Mensch, wie ticken die denn heute? Ich hab da nachgehakt, da sagte er, seinem Auftraggeber sei das wichtig zu wissen. Wenn das also die Priorität ist, dass der Golfplatz zehn Kilometer entfernt sein muss …"
    Harald Aulbach will kein Pauschalurteil über die jüngere Ärztegeneration fällen. Aber eines habe er gelernt, sagt er: Jemanden zu überzeugen, dass es die richtige Lebensentscheidung ist, eine Hausarztpraxis in einem Dreieinhalbtausend-Einwohner-Ort wie Kreuzwertheim zu übernehmen, sei heute ausgesprochen schwer. Also hat das Hausärztepaar weitergearbeitet, obwohl Harald Aulbach inzwischen 69 Jahre alt ist und seine Ehefrau 65 Jahre. Finanziell gesehen hätten sie es sich schon vor einigen Jahren leisten können, aufzuhören. Aber die Arbeit macht ihnen noch Spaß. Und vor allem möchten sie ihre Patienten nicht im Stich lassen.
    "Das klingt so pathetisch, aber für uns ist es ein echtes Problem, zu sagen ich sperre jetzt einfach zu und die Patienten sollen gucken wo sie bleiben. Das geht nicht."
    Junge Patienten können weiter zum Arzt fahren
    Seine Ehefrau und Praxis-Partnerin Ursula Aulbach ist sich mit ihrem Mann einig: Junge Patienten, die die meiste Zeit keine Gesundheitsprobleme haben, tun sich nicht so schwer damit, zehn oder zwanzig Kilometer zum nächsten Arzt zu fahren – vielleicht direkt zum Dermatologen, wenn sie ein Problem mit der Haut haben oder zum Orthopäden, wenn ihnen der Rücken weh tut. Doch das sei keine Lösung, findet sie.
    "Was machen Sie denn mit den multimorbiden Alten? Die nicht nur eine Diagnose haben, sondern die fünf, zehn Diagnosen haben und entsprechende Therapie-Regime, die sich auch noch widersprechen? Wo tun sie den denn hin? Der Orthopäde gibt ihm das, der Internist gibt ihm das, der Neurologe gib ihm das - und wer koordiniert es?"
    An den Patienten liege es nicht, wenn der Weg zum nächsten Allgemeinmediziner immer weiter werde, meint Ursula Aulbach.
    "Also die Patienten wollen das sehr wohl. Nur die, die es machen sollen, wollen keine Hausärzte werden, das ist das Problem."
    In den nächsten Jahren gehen viele Hausärzte in den Ruhestand
    Diese Einschätzung deckt sich mit Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Die Zahl der sogenannten "Sitze", an denen Hausärzte eine Praxis eröffnen oder übernehmen können, ist deutschlandweit im vergangenen Jahr um mehr als ein Viertel gestiegen – auf gut 2.700. Ende der 1990er-Jahre warnten viele Gesundheitspolitiker noch vor einer "Ärzteschwemme". Jetzt hingegen wächst in allen Bundesländern vor allem in ländlichen Regionen die Zahl der Planungsbezirke, die als unterversorgt gelten. Aber auch in vielen Großstädten gibt es immer mehr Stadtviertel, in denen weniger Hausärzte arbeiten als eigentlich benötigt werden. Für Professor Thomas Kühlein, der an der Universität Erlangen-Nürnberg das Institut für Allgemeinmedizin leitet, ist daher eines klar:
    "Es ist wohl so, dass wir auf einen Hausarztmangel zulaufen, das hat sehr komplexe Gründe."
    Die Tatsache, dass in den nächsten Jahren ausgesprochen viele Hausärzte in den Ruhestand gehen werden, gehört zu diesen Gründen. In den meisten Teilen Deutschlands ist rund ein Drittel der Hausärzte 60 Jahre oder älter. Auch in Regionen, die heute noch als überversorgt gelten, werden also bald Tausende Hausärzte ihre Arbeit beenden. Gleichzeitig hat die Allgemeinmedizin nach Ansicht des Uni-Professors Thomas Kühlein ein Image-Problem.
    "Eine kulturelle Geringschätzung des Generalisten gegenüber dem Spezialisten. Der Spezialist, das ist ein Spezialist für etwas! Das ist was ganz Tolles, der Spezialist!"
    Neben dem normalen Betrieb einer Hausarztpraxis einer Grossstadt betreibt diese internistische Praxis in Zusammenarbeit mit der Universitaet eine Ergometrie fuer adipoese Patienten , die das Ziel verfolgt neben gesunder Ernaehrung auch gezielt gesunde Bewegung den Betroffenen unter aerztlicher Aufsicht zu vermitteln.
    Die meisten Hausarztpraxen können sich nicht über zu geringe Patientenzahlen beklagen. (picture alliance / dpa / Klaus Rose)
    Die Zahl der berufstätigen Ärzte insgesamt steigt zwar unaufhörlich – erst vor kurzem hat die Bundesärztekammer einen neuen Rekordstand gemeldet. Doch der Zuwachs entfällt vor allem auf Mediziner im Krankenhaus und auf Fachärzte. Es gibt dementsprechend derzeit nur vergleichsweise wenige Regionen in Deutschland, die als schlecht versorgt mit Fachärzten gelten. Das verwundert nicht, wenn man sich die Daten über entsprechende Prüfungen der Ärztekammern ansieht. Von den Jung-Medizinern, die eine Facharztprüfung ablegen, haben sich in den vergangenen Jahren rund 90 Prozent für Spezialgebiete wie Chirurgie, Orthopädie, oder auch Gynäkologie entschieden. Für die Prüfung zum Facharzt für Allgemeinmedizin entscheidet sich seit Jahren nur rund ein Zehntel der Nachwuchs-Mediziner. Nach Ansicht der Berufsverbände müsste der Anteil der Allgemeinmediziner aber doppelt so hoch sein, um den Bedarf zu decken. Der Lehrstuhl-Inhaber Thomas Kühlein setzt darauf, während der Ausbildung die Weichen anders zu stellen.
    "Wenn die Allgemeinmedizin einen höheren Stellenwert im Studium schon bekommt, wenn wir Kompetenzen vermitteln und nicht nur theoretisches Wissen, das heißt, die Leute mit einem größeren Selbstbewusstsein dafür, dass sie diese Arbeit auch leisten können, da rausgehen, dann trauen sie sich auch. Sie müssen sich erst mal trauen alleine da raus zu gehen. Sie haben keinen Oberarzt mehr vor sich, sie haben keinen Chefarzt mit breiten Schultern, sondern sie sind jetzt verantwortlich. Das hat etwas mit trauen zu tun."
    Fragen zum Image der Hausärzte
    Beim Nachwuchstag des Bayerischen Hausärzteverbandes Ende April in München versammeln sich rund 100 Zuhörer, der Großteil sind Medizinstudenten, die sich ein Bild davon machen wollen, wie die Arbeit als Hausarzt tatsächlich aussieht. Diese Studentin hat von Fachärzten bislang nicht viel Gutes über die Allgemeinmedizin gehört:
    "Also mich stört es im Studium sehr, dass es immer noch bei den einzelnen Fachbereichen heißt: Nachdem der dumme Hausarzt drei Monate falsch therapiert hat, kam der Patient endlich in unsere Fachambulanz! Das ist leider immer noch der Fall."
    Einige ihrer Kommilitonen sehen das Image, das die Allgemeinmedizin insgesamt in der Ärzteschaft hat, nicht ganz so negativ.
    "Allgemeinmedizin habe ich jetzt für mich persönlich noch nie wirklich ausgeschlossen. Also wenn man sich umhört, kannst du dir vorstellen, was du werden möchtest, da wird die Allgemeinmedizin schon oft genannt, mittlerweile."
    Allgemeinmedizin soll in der Ausbildung wichtiger werden
    Vorstellen können sich viele Studenten allerdings am ehesten das, was sie selbst schon einmal mit den eigenen Augen, Ohren und Händen erlebt haben. Das ist auch Gesundheitspolitikern bewusst. Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml etwa hält es deswegen für einen Fortschritt, dass bei einer aktuellen Umgestaltung des Medizinstudiums unter dem Titel "Masterplan 2020" die Allgemeinmedizin in der Ausbildung wichtiger werden soll.
    "Wo es eben darum geht, dass man in einer niedergelassenen Praxis eben hier einige Zeit verbringt, um überhaupt das mal kennenzulernen, was läuft da ab und vielleicht auch neugierig zu werden, oder zu sagen das ist genau mein Ding, das möchte ich machen. Und es ist noch aufgenommen worden, dass Allgemeinmedizin Prüfungsfach wird."
    Einige Bundesländer setzen sich für die Landarztquote ein
    Außerdem sollen Abiturienten bevorzugt einen Medizin-Studienplatz erhalten, wenn sie sich verpflichten, später nicht in erster Linie dorthin zu gehen, wo ihnen ihre eigene Lebensqualität am höchsten scheint – sondern dorthin, wo Ärzte am dringendsten gebraucht werden. Für diese sogenannte Landarztquote setzt sich eine Reihe von Bundesländern ein, neben dem Saarland beispielsweise auch Niedersachsen und vor allem Bayern. Ministerin Huml sieht darin große Chancen.
    "sodass man hier eben einigen das Studium ermöglicht, die sonst vielleicht nicht die Chance hätten, frühzeitig in das Medizinstudium zu kommen oder viele, viele Warte- Semester in Kauf nehmen müssen. Und für diese Gruppe würden wir fünf Prozent der Studienplätze reservieren, die sich dann verpflichten, danach zehn Jahre lang in ein Gebiet zu gehen, wo Ärzte benötigt werden – Fachjargon: Wo drohende Unterversorgung oder bereits Unterversorgung da ist."
    Wann die sogenannte Landarztquote an den Universitäten Wirklichkeit wird, ist aber noch offen. In Bayern, wie auch in anderen Bundesländern wollen die Bildungsminister, die ja für die Universitäten zuständig sind, bei dieser Umgestaltung des Medizinstudiums nicht recht mitziehen. Von einem hochrangigen Mitarbeiter des bayerischen Gesundheitsministeriums ist zu hören, dass die Kollegen aus dem Bildungsressort eindringlich vor zusätzlichem Verwaltungsaufwand und Bürokratie warnen. Und viele ärztliche Berufsverbände wehren sich gegen alles, was sie als eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit junger Mediziner empfinden. Der Deutsche Hausärzteverband macht da eine Ausnahme – er hätte überhaupt nichts gegen eine Landarztquote. Der Vize-Chef des Deutschen Hausärzteverbandes, Dieter Geis, hält auch an anderer Stelle mehr Steuerung für notwendig. Ein Zwang für Patienten, stets erst zum Hausarzt zu gehen, wie es ihn in anderen Ländern gibt, sei in Deutschland nicht durchsetzbar, meint Geis. Aber man könnte Patienten Anreize bieten, wenn sie stets als erstes einen Allgemeinarzt aufsuchen.
    "Da kann ich mir vieles vorstellen, das kann zum Beispiel sein, dass er von der Rezeptgebühr befreit wird, dass er einen niedrigeren Krankenkassen-Tarif zahlen muss. Da gibt es die unterschiedlichsten Möglichkeiten."
    Wenn Allgemeinmediziner wieder stärker im Mittelpunkt der Versorgung stehen, werte das die Stellung der Hausärzte insgesamt auf, meint der Berufsverbands-Vize. Und das sei dringend nötig. Denn es gebe immer mehr Gegenden in Deutschland, wo Hausärzte keinen Nachfolger finden.
    "Wo die Patienten händeringend anklopfen bei den Hausärzten, weil ihr alter Hausarzt aufgehört hat und keinen Nachfolger gefunden hat und die Patienten versuchen bei einem anderen Hausarzt unter zu kommen und das ist leider die Situation der verfehlten Politik der letzten 20 Jahre."

    Zurück in die Hausarztpraxis des Ehepaars Aulbach im unterfränkischen Kreuzwertheim. Harald Aulbach sieht eine Art Zeitenwende kommen.
    "Wir sind sowieso eine aussterbende Rasse, das hört alles auf in dieser Form."
    Als Harald Aulbach vor mehr als drei Jahrzehnten anfing, als Hausarzt zu arbeiten, war noch klar, wie dieser Beruf aussieht: Der Doktor ist Besitzer der Praxis, er kümmert sich um alles – nicht nur um alle Patienten, sondern auch um den Mietvertrag der Praxisräume, die Arbeitsverträge der Angestellten und die Abrechnung. Jetzt hofft der inzwischen 69-Jährige, dass die Praxis, die er mit seiner 65-jährigen Frau betreibt, als medizinisches Versorgungszentrum weiterlaufen kann, das von einer gemeinnützigen GmbH getragen wird, die wiederum mit einem benachbarten Krankenhaus verbunden ist.
    "Das muss man wissen, diese MVZ, medizinische Versorgungszentren, das wird die Versorgungsstruktur der Zukunft sein. Weil einfach viele Mediziner da sind, die möchten das nicht alleine stemmen und die möchten mit der ganzen Organisation nichts zu tun haben."
    An vielen Orten übernehmen medizinische Fachkräfte Routine-Hausbesuche
    Dieser Wandel müsse nichts Schlechtes sein, meint Harald Aulbach. Und seine Frau findet, dass hoch qualifizierte Akademiker mit einem Doktortitel in Medizin nicht alles selbst machen müssen. Schon jetzt übernehmen in vielen Teilen Deutschlands medizinische Fachkräfte Routine-Hausbesuche etwa bei chronisch kranken Patienten. Die Ausbildung einer Krankenschwester reicht nach Ansicht von Ursula Aulbach oftmals völlig aus.
    "Dass man das eben entsprechend ausbaut und dass dieses Personal eben dann dem Doktor, dem Spezialisten im Zentrum die Daten liefert. Und wenn die Schwester eben sieht, das ist kritisch und der Doktor in der Praxis ihr aufgrund der Daten sagt, ja okay, jetzt rufen Sie einen Notarztwagen oder jetzt schicken Sie ihn in die Klinik, so etwas kann man natürlich auch machen."
    Arztpraxis in Wenholthausen im Hochsauerland 
    Einige Allgemeinmediziner, die aufhören wollen, machen sich um ihre älteren Patienten sorgen - wo sollen die dann hin? (picture alliance / Klaus Rose)
    Professor Thomas Kühlein, der am Lehrstuhl für Allgemeinmedizin der Universität Erlangen künftige Hausärzte ausbildet, ist überzeugt, dass bald schon nicht nur Hausbesuche von Fachkräften übernommen werden, die kein Medizinstudium haben – auch in den Praxen könnte solches Personal den Ärzten viel Arbeit abnehmen, glaubt er. In vielen anderen Ländern wie Großbritannien sei es völlig normal, dass Krankenschwestern sich um Alltagskrankheiten, wie etwa Erkältungen, kümmern.
    "Die hört ihn noch ab, und sagt, da ist frei die Lunge, wenn sie irgendetwas hört und sie ist sich nicht sicher, dann holt sie den Arzt dazu, da wird eng zusammen gearbeitet, Tür an Tür, aber da wird der Arzt entlastet an dieser Stelle, weil eine Krankenschwester sich drum kümmert, in Schweden ist das genauso."
    Und der Medizinprofessor kann sich vorstellen, dass Arztpraxen auf dem Land, die keinen Nachfolger finden, nicht komplett dicht machen – sondern dass man sie durch so genannte Satellitenpraxen ersetzt, die an ein größeres Zentrum angebunden sind.
    "Es wird vielleicht nicht mehr eben dann eigene Praxen dort geben, aber warum sollte es nicht Satellitenpraxen geben, wo man zweimal, dreimal die Woche eine Vormittagssprechstunde anbietet in diesem Ort? Wo eben dann vielleicht nicht immer derselbe Arzt kommt, aber es ist ein Arzt da."
    Telemedizinische Lösungen, engere Zusammenarbeit verschiedener Praxen untereinander und mit Krankenhäusern – das ist etwas, worüber sich nicht nur Gesundheitspolitiker oder Medizinprofessoren Gedanken machen. Die Krankenhauskette Rhön Klinikum AG sieht in neuen Angeboten zur medizinischen Versorgung auf dem Land ein Geschäftsfeld mit großen Wachstumschancen. Bei der Veröffentlichung der aktuellen Bilanzdaten Mitte April hat der Vorstand des Klinik-Konzerns klar gemacht, dass er in die Lücke vorstoßen will, die entsteht, wenn immer mehr Landarzt-Praxen dicht machen.
    "Durch die demografische Entwicklung werden sich ländlich geprägte Regionen künftig eine leistungsfähige und wohnortnahe Gesundheitsversorgung nicht mehr leisten können: Das ist unsere Wachstumschance. Wir schaffen jetzt die entsprechenden Fähigkeiten und das Produkt, die Zeit wird für uns spielen".
    Auch freiberufliche Ärzte wollen Geld verdienen
    Wenn ein börsennotierter Klinik-Konzern erklärt, dass die Zeit für ihn spiele, dann wird Thomas Kühlein hellhörig. Bevor er als Professor in die Ausbildung künftiger Hausärzte gegangen ist, hat er selbst Erfahrungen damit gesammelt, was passiert, wenn es in der Gesundheitsversorgung nicht nur um das Einkommen einzelner Ärzte geht – sondern darum, Rendite zu erwirtschaften, um Aktionäre zufriedenzustellen.
    "Ich habe bei der Rhön Klinik AG gearbeitet, ich weiß auch, wie das Arbeiten dort ist. Ich möchte da nicht wieder hin. Ich möchte nicht für den Shareholder Value anderer Leute arbeiten, das finde ich nicht erstrebenswert. Also da gab es Dinge, die möchte ich jetzt hier nicht öffentlich sagen, aber das war schwierig."
    Natürlich wollten auch freiberufliche Ärzte Geld verdienen, meint Kühlein. Doch darüber, wie sie ihr Geld verdienen, könnten sie einigermaßen frei nach ihren eigenen Wertvorstellungen entscheiden. Wenn aber börsennotierte Großkonzerne die Versorgung von Patienten auf dem Land oder auch in der Stadt Stück für Stück übernehmen, dann werde bald ein anderer Wind wehen, glaubt er.
    "Das einzige Prinzip, was alles am besten reguliert, ist das ökonomische Prinzip, dass alles nur dann was wert ist, wenn man damit Geld verdienen kann. Und das ist in der Medizin, denke ich, hoch gefährlich, wahnsinnig gefährlich."
    Deswegen will Kühlein daran mitwirken, dass die Versorgung der Patienten auch in Zukunft entweder von selbstständigen Ärzten übernommen wird oder von Zusammenschlüssen, hinter denen eine überschaubare Gruppe von Medizinern steht.
    "Und wenn sie die Leute entsprechend ausbilden, dann werden diese Zahlen ansteigen. Wir werden diese Ernte halt erst in einigen Jahren einfahren, aber bis sie wirklich fertige Hausärzte sind, dauert es noch einige Jahre."
    Einige Jahre – so lange will das Hausärztepaar Harald und Ursula Aulbach nicht mehr warten. Der 69-Jährige und seine 65-jährige Frau hoffen darauf, dass sich in den nächsten Wochen eine Lösung für die Fortführung ihrer Praxis findet. Nachdem sie vier Jahre lang erfolglos nach jemandem gesucht haben, der ihre Praxis kauft, ist es jetzt am wahrscheinlichsten, dass sie in Zusammenarbeit mit einem Krankenhaus in ein medizinisches Versorgungszentrum übergeht. Auch im Rahmen eines solchen MVZ könnten Nachwuchsmediziner gute Arbeit als Hausärzte leisten, glaubt das Doktorenpaar:
    "Und ich kann nur jedem sagen: mach das. Und es ist äußerst befriedigend und ich weiß nicht, ob in allen Sparten der Medizin so viel Rückmeldung, positive Rückmeldung von den Patienten kommt. Es ist genau das, was ich auch empfunden habe, ich habe das nie bereut, es so gemacht zu haben, und hatte immer Freude daran, ja, ich würde es jederzeit wieder machen, kann es auch nur weiter empfehlen."
    Und auch wenn sich für die Praxis, die er und seine Frau lange geleitet haben, eine Lösung abzeichnet, so ist doch die Hausarzt-Medizin insgesamt in beträchtlicher Gefahr, glaubt Harald Aulbach.
    "Also irgendetwas muss die Politik machen. Und es ist spät genug. Und wenn man die Altersstruktur jetzt anschaut, dann ist es wirklich zwei Minuten vor zwölf."