Sandra Pfister: Mädchen sind sprachbegabt, Jungs können gut rechnen. So in etwa lautet das Klischee über die unterschiedliche Begabung von Jungs und Mädchen. Und klar: Die meisten von uns würden das instinktiv bestätigen, wenn sie auf ihre eigene Schulzeit zurückschauen. Aber stimmt das Klischee? Ist die mathematische Begabung vorwiegend angeboren? Ein Mathematiker und eine Medizinerin von der University of Wisconsin hatten daran erhebliche Zweifel – und haben sich daraufhin die PISA-Studie und die Timms-Studie, die nur Mathe-Leistungen untersucht, noch mal genauer angesehen.
Jonathan Kane, der inoffizielle Mathe-Nobelpreis, die Fields-Medaille, die wurde seit 1936 52 Mal verliehen. Es ist doch kein Zufall, dass nur Männer und keine einzige Frau gewonnen haben. Warum ist das kein Hinweis auf eine höhere mathematische Begabung der Männer?
Jonathan Kane: Sicher, noch hat keine Frau die Fields-Medaille gewonnen, aber wir glauben, dass das nicht daran liegt, dass Frauen nicht in der Lage wären, die Fields-Medaille zu gewinnen. Wir glauben, dass es kulturelle Gründe sind, warum Frauen sich nicht der mathematischen Spitzenforschung verschreiben. Sie wurden aus ganz unterschiedlichen Gründen entmutigt, das zu tun.
Pfister: Was meinen Sie denn mit kulturellen Gründen? Das Mädchen entmutigt wurden oder werden beim Mathe-Lernen?
Kane : Ja, es gibt viele kulturelle Einflüsse. Wenn Frauen mehr Zeit damit verbringen müssen, Kinder aufzuziehen, weil ihre Kultur das so verlangt, wenn sie keine Vollzeitjobs annehmen können aufgrund von Einschränkungen, die ihnen die Gesellschaft auferlegt, dann werden sie eventuell nicht in der Lage sein, eine Forscher-Karriere auf höchster Ebene hinzulegen. Auch in der Erziehung von Mädchen gibt es eine Reihe von Faktoren, die Mädchen davon abhalten, sich Mathe zu verschreiben, im Sinne von: Das ist was, was Mädchen eigentlich nicht machen. Deshalb gibt es weniger Frauen, die selbst einen Doktorgrad in Mathe anstreben.
Pfister: Ist das der Grund, warum bei den internationalen Mathematik-Olympiaden, die Sie untersucht haben zwischen 1977 und 1990, zwar für die DDR fünf ostdeutsche Frauen am Start waren, aber aufseiten der BRD keine einzige westdeutsche Frau?
Kane: Offensichtlich gibt es keine genetischen Unterschiede zwischen ostdeutschen Frauen und westdeutschen Frauen. Und ich vermute, die Kulturen dort sind ziemlich ähnlich, darüber werden Sie mehr wissen als ich. Es muss irgendwie an der Erziehung liegen oder der Verfügbarkeit von Kinderbetreuung - warum man im einen Deutschland Mädchen ausmachen konnte, die in Mathe richtig fit sind, und im anderen Deutschland nicht. Offensichtlich war der einzige Unterschied in den beiden Teams die staatlichen Vorgaben.
Pfister: Um das zusammenzufassen: Heißt das, wenn Frauen eine gute Ausbildung haben und gut verdienen, dass ihre Kinder in Mathe im Schnitt automatisch besser werden – egal, ob Jungs oder Mädchen?
Kane: Ja, in der Tat. Was wir herausgefunden haben, ist: In Ländern, in denen Frauen und Männer relativ gleichberechtigt sind, in denen verbessern sich die Matheergebnisse sowohl männlicher als auch weiblicher Studenten. Es scheint so, es ist logisch: Wenn die Frauen eines Landes in gleichem Maße am öffentlichen Leben teilhaben wie die Männer, dann sind die Bildungschancen für die Kinder, egal ob Jungs oder Mädchen, besser.
Pfister: Nun hat sich ja in den vergangenen Jahren einiges verändert, auch in Sachen Gleichberechtigung. Hat sich das so niedergeschlagen, dass in relativ gleichberechtigten Gesellschaften wie den USA beispielsweise Frauen inzwischen genau so gut in Mathe sind wie Männer?
Kane: Es gab einen großen Wandel. Zum Beispiel in den 50ern, da stellten Frauen nur fünf Prozent der Mathe-Doktoranden in den USA. In den vergangenen zehn Jahren haben sie schon 30 Prozent der Doktoranden ausgemacht. Offensichtlich gibt es dafür keine biologischen Gründe in dem Sinne, dass die Zusammensetzung der Hirne von Frauen sich zwischen den 50er-Jahren und 2000 irgendwie signifikant verändert hätte. Da müssen kulturelle Veränderungen am Werk sein.
Pfister: Früher waren immer nur die Nerds Mathe-Asse. Hat sich am Image etwas verändert in westlichen Gesellschaften?
Kane: Leider ist das Image immer noch dasselbe. Es gibt in den USA und international übers Internet T-Shirts zu kaufen mit der Aufschrift für Mädchen im Teenageralter: "I’m too pretty to do mathematics": Ich bin zu hübsch, um Mathe zu lernen. Oder: "Allergic to algebra", allergisch auf Allgebra. Dahinter steckt die Annahme, dass Mädchen Mathe nicht mögen. Was passieren muss, ist, das Mädchen nicht mehr zu hören kriegen: Naja, es ist ok, wenn Du Mathe nicht kapierst, Du bist ein Mädchen.
Pfister: Was ist mit den Asiaten? Ihnen sagt man nach, deutlich besser in Mathe zu sein als die westliche Welt oder die meisten Menschen in arabischen Ländern. Warum?
Kane: In asiatischen Kulturen hat Mathe einen hohen Stellenwert, Eltern ermutigen ihre Kinder, sich mehr dahinterzuklemmen. Ein Teil macht die Haltung aus, die Einstellung zu der Fähigkeit, Mathe zu lernen. In vielen westlichen Ländern kriegt man, wenn man Ärger in Mathe hat, gesagt: Vielleicht bist du einfach nicht talentiert genug, das übersteigt deine Fähigkeiten. In asiatischen Kulturen hingegen geht man davon aus, dass manche Leute Mathe schneller lernen als andere, aber die Konsequenz ist, dass die, die Mathe nicht so schnell kapieren, einfach härter daran arbeiten müssen. Aber jeder kann es, er muss sich nur Mühe geben. Wenn deine Kultur voraussetzt, dass jeder Mathe lernen kann, wenn es wie Lesen ist, jeder muss in der Lage sein, das zu können, dann wirkt so was wie Mathe-Können nicht außerordentlich wichtig; wenn Sie hingegen aus einer Kultur kommen, in der nur einige wenige gut in Mathe sind, dann scheint das wie der Schlüssel zu einem guten Job zu sein und wird richtig wichtig.
Pfister: Warum hat niemand vor Ihnen die kulturellen Einflüsse auf das Mathe-Lernen untersucht?
Kane: Es gab einige Studien, aber wir hatten einfach Glück, dass einige Daten jetzt erst verfügbar waren. In der Timms-Studie von 2007 und der PISA-Studie von 2009 nahmen sehr viel mehr Länder teil, sodass wir jetzt Daten von einer sehr viel größeren Anzahl von Ländern haben, und so ist diese Studie erst jetzt möglich geworden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jonathan Kane, der inoffizielle Mathe-Nobelpreis, die Fields-Medaille, die wurde seit 1936 52 Mal verliehen. Es ist doch kein Zufall, dass nur Männer und keine einzige Frau gewonnen haben. Warum ist das kein Hinweis auf eine höhere mathematische Begabung der Männer?
Jonathan Kane: Sicher, noch hat keine Frau die Fields-Medaille gewonnen, aber wir glauben, dass das nicht daran liegt, dass Frauen nicht in der Lage wären, die Fields-Medaille zu gewinnen. Wir glauben, dass es kulturelle Gründe sind, warum Frauen sich nicht der mathematischen Spitzenforschung verschreiben. Sie wurden aus ganz unterschiedlichen Gründen entmutigt, das zu tun.
Pfister: Was meinen Sie denn mit kulturellen Gründen? Das Mädchen entmutigt wurden oder werden beim Mathe-Lernen?
Kane : Ja, es gibt viele kulturelle Einflüsse. Wenn Frauen mehr Zeit damit verbringen müssen, Kinder aufzuziehen, weil ihre Kultur das so verlangt, wenn sie keine Vollzeitjobs annehmen können aufgrund von Einschränkungen, die ihnen die Gesellschaft auferlegt, dann werden sie eventuell nicht in der Lage sein, eine Forscher-Karriere auf höchster Ebene hinzulegen. Auch in der Erziehung von Mädchen gibt es eine Reihe von Faktoren, die Mädchen davon abhalten, sich Mathe zu verschreiben, im Sinne von: Das ist was, was Mädchen eigentlich nicht machen. Deshalb gibt es weniger Frauen, die selbst einen Doktorgrad in Mathe anstreben.
Pfister: Ist das der Grund, warum bei den internationalen Mathematik-Olympiaden, die Sie untersucht haben zwischen 1977 und 1990, zwar für die DDR fünf ostdeutsche Frauen am Start waren, aber aufseiten der BRD keine einzige westdeutsche Frau?
Kane: Offensichtlich gibt es keine genetischen Unterschiede zwischen ostdeutschen Frauen und westdeutschen Frauen. Und ich vermute, die Kulturen dort sind ziemlich ähnlich, darüber werden Sie mehr wissen als ich. Es muss irgendwie an der Erziehung liegen oder der Verfügbarkeit von Kinderbetreuung - warum man im einen Deutschland Mädchen ausmachen konnte, die in Mathe richtig fit sind, und im anderen Deutschland nicht. Offensichtlich war der einzige Unterschied in den beiden Teams die staatlichen Vorgaben.
Pfister: Um das zusammenzufassen: Heißt das, wenn Frauen eine gute Ausbildung haben und gut verdienen, dass ihre Kinder in Mathe im Schnitt automatisch besser werden – egal, ob Jungs oder Mädchen?
Kane: Ja, in der Tat. Was wir herausgefunden haben, ist: In Ländern, in denen Frauen und Männer relativ gleichberechtigt sind, in denen verbessern sich die Matheergebnisse sowohl männlicher als auch weiblicher Studenten. Es scheint so, es ist logisch: Wenn die Frauen eines Landes in gleichem Maße am öffentlichen Leben teilhaben wie die Männer, dann sind die Bildungschancen für die Kinder, egal ob Jungs oder Mädchen, besser.
Pfister: Nun hat sich ja in den vergangenen Jahren einiges verändert, auch in Sachen Gleichberechtigung. Hat sich das so niedergeschlagen, dass in relativ gleichberechtigten Gesellschaften wie den USA beispielsweise Frauen inzwischen genau so gut in Mathe sind wie Männer?
Kane: Es gab einen großen Wandel. Zum Beispiel in den 50ern, da stellten Frauen nur fünf Prozent der Mathe-Doktoranden in den USA. In den vergangenen zehn Jahren haben sie schon 30 Prozent der Doktoranden ausgemacht. Offensichtlich gibt es dafür keine biologischen Gründe in dem Sinne, dass die Zusammensetzung der Hirne von Frauen sich zwischen den 50er-Jahren und 2000 irgendwie signifikant verändert hätte. Da müssen kulturelle Veränderungen am Werk sein.
Pfister: Früher waren immer nur die Nerds Mathe-Asse. Hat sich am Image etwas verändert in westlichen Gesellschaften?
Kane: Leider ist das Image immer noch dasselbe. Es gibt in den USA und international übers Internet T-Shirts zu kaufen mit der Aufschrift für Mädchen im Teenageralter: "I’m too pretty to do mathematics": Ich bin zu hübsch, um Mathe zu lernen. Oder: "Allergic to algebra", allergisch auf Allgebra. Dahinter steckt die Annahme, dass Mädchen Mathe nicht mögen. Was passieren muss, ist, das Mädchen nicht mehr zu hören kriegen: Naja, es ist ok, wenn Du Mathe nicht kapierst, Du bist ein Mädchen.
Pfister: Was ist mit den Asiaten? Ihnen sagt man nach, deutlich besser in Mathe zu sein als die westliche Welt oder die meisten Menschen in arabischen Ländern. Warum?
Kane: In asiatischen Kulturen hat Mathe einen hohen Stellenwert, Eltern ermutigen ihre Kinder, sich mehr dahinterzuklemmen. Ein Teil macht die Haltung aus, die Einstellung zu der Fähigkeit, Mathe zu lernen. In vielen westlichen Ländern kriegt man, wenn man Ärger in Mathe hat, gesagt: Vielleicht bist du einfach nicht talentiert genug, das übersteigt deine Fähigkeiten. In asiatischen Kulturen hingegen geht man davon aus, dass manche Leute Mathe schneller lernen als andere, aber die Konsequenz ist, dass die, die Mathe nicht so schnell kapieren, einfach härter daran arbeiten müssen. Aber jeder kann es, er muss sich nur Mühe geben. Wenn deine Kultur voraussetzt, dass jeder Mathe lernen kann, wenn es wie Lesen ist, jeder muss in der Lage sein, das zu können, dann wirkt so was wie Mathe-Können nicht außerordentlich wichtig; wenn Sie hingegen aus einer Kultur kommen, in der nur einige wenige gut in Mathe sind, dann scheint das wie der Schlüssel zu einem guten Job zu sein und wird richtig wichtig.
Pfister: Warum hat niemand vor Ihnen die kulturellen Einflüsse auf das Mathe-Lernen untersucht?
Kane: Es gab einige Studien, aber wir hatten einfach Glück, dass einige Daten jetzt erst verfügbar waren. In der Timms-Studie von 2007 und der PISA-Studie von 2009 nahmen sehr viel mehr Länder teil, sodass wir jetzt Daten von einer sehr viel größeren Anzahl von Ländern haben, und so ist diese Studie erst jetzt möglich geworden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.