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Haushalt
"Regierung muss mehr investieren"

Deutschland steht nach der Restrukturierung des Haushalts nun vor einer Phase mit Überschüssen: Das sagte Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie, im DLF. Er betont, mit dem Geld müsse die Regierung öffentliche Investitionen voranbringen.

Markus Kerber im Gespräch mit Silvia Engels |
    Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie
    Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie (dpa / picture-alliance / Bernd von Jutrczenka)
    Kerber forderte, das Geld solle in Schulen, in Straßen, in Verkehrsnetze, in Breitbandnetze und in moderne Stromnetze fließen. "Ich glaube, dass wir das Geld nicht mehr mehrheitlich ausgeben sollten für sozialstaatliche Leistungen."
    Die Industrie selbst investiere schon genug, sagte der BDI-Hauptgeschäftsführer. "Was wir aber dringend benötigen, sind staatliche Vorlaufinvestitionen." Dann rückten die privaten Investoren in einem noch größeren Ausmaß nach. Ein Großteil der mittelständischen Industrie befinde sich im ländlichen Raum. Die Bundesregierung müsse die Datennetze dort schneller ausbauen, forderte Kerber. Dann würden die Unternehmen auch mehr investieren.

    Das Interview in voller Länge:
    Silvia Engels: Gestern brachte Bundesfinanzminister Schäuble einen Haushaltsplan in den Bundestag ein, auf den er sichtlich stolz war. Erstmals seit Jahrzehnten soll der Bundeshaushalt 2015 ohne neue Schulden auskommen. Auch die Kanzlerin wird das heute in der Generaldebatte sicherlich noch einmal betonen. Die Regierung lobt also ihren Verzicht auf neue Schulden. Kaschiert sie damit Nichts-tun?
    Kerber: Nein. Sie müssen ja folgendes sehen: Wir kommen aus zehn Jahren oder mehr als zehn Jahren mit einer steigenden Staatsverschuldung, weil die Regierung permanent mehr ausgegeben als eingenommen hat. Wir stehen jetzt an der Schwelle ja nicht nur zu einem Jahr mit der schwarzen Null, sondern - zugegebenermaßen in Abhängigkeit unseres Wachstums – ja vor einer Phase mit Überschüssen. Und ich glaube, wir sollten uns wesentlich stärker damit auseinandersetzen, was wir mit den Überschüssen machen. Hier plädiere ich für öffentliche Investitionen, als ob wir nun eine schwarze Null bekommen oder nicht. Ich halte das für ziemlich unzweifelhaft, dass wir eine Restrukturierung der Staatsfinanzen hinter uns haben, eine strukturelle Gesundung, und nun muss es darum gehen, dass wir den investiven Anteil der Staatsausgaben erhöhen. Das können wir doch am besten, wenn wir die Überschüsse deutlicher und stärker in öffentliche Infrastruktur investieren, also in Schulen, in Straßen, in Verkehrswege, in Breitbandnetze und in moderne Stromnetze.
    Engels: Und wofür sollten die Überschüsse dann nicht ausgegeben werden?
    Kerber: Ich glaube, dass wir sie mehrheitlich nicht mehr ausgeben sollten für sozialstaatliche Leistungen, wo wir bereits ein extrem hohes Level erreicht haben – übrigens ein Phänomen in allen westlichen Demokratien, auch ein völlig normales, nachvollziehbares Phänomen, dass eher Leistungsgesetze ausgeweitet werden. Nur glaube ich, dass wir überall jetzt an eine Schwelle gekommen sind, dass wir eine nachholende Investition in öffentliche Infrastruktur zugleich als Vorbereitung für eine Verbesserung des Kapitalstocks machen. Wir stehen an der Schwelle zur Digitalisierung unserer Volkswirtschaften, egal ob sie in den USA, in Frankreich oder in Deutschland sind. Und dort müssen wir die öffentliche Infrastruktur deutlich verbessern. Die Mittel sind in Deutschland da, denn der Konsolidierungskurs zahlt sich ja aus. Wir erwirtschaften Überschüsse, und das halte ich für extrem wichtig.
    "Zu viel Sozialstaatsaufgaben ausgeweitet"
    Engels: Aber es ist ja auch das Kind, was die Verteilung der Überschüsse angeht, schon aus Ihrer Sicht in den Brunnen gefallen. Die Rentenbeschlüsse stehen. Das heißt, die Investitionslücke wird bleiben?
    Kerber: Ich glaube, sie wird sich trotzdem dadurch schließen lassen, dass wir wie gesagt die Überschüsse, die wir haben werden in den nächsten Jahren, besser investiv verteilen. Sie haben natürlich völlig recht, dass zu Beginn der Koalition, dieser Großen Koalition, die Weichen falsch gestellt wurden. Aber ich sehe im Moment keine politische Mehrheit im Deutschen Bundestag, die das revidieren möchte. Es bleibt aus unserer Sicht, aus der Sicht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, zwar der Makel, zu viel Sozialstaatsaufgaben ausgeweitet zu haben vor sechs, sieben Monaten in einem zugegebenermaßen anderen konjunkturellen Umfeld. Nur das jetzt zu korrigieren, wird schwer sein. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir uns über die Mehreinnahmen der kommenden Jahre unterhalten, und hier plädiere ich für eine fast ausschließliche Verwendung für Investitionen auf der staatlichen Seite.
    Engels: Wir haben es gerade schon gehört in unserem Vorbericht: Der "Spiegel" zitiert diese Woche aus einem neuen Buch von DIW-Chef Fratzscher, der dem Staat, aber auch der Industrie vorhält, zu wenig in Infrastruktur und Fabriken zu investieren. Stichwort digitale Infrastruktur: Müsste sich da nicht auch die Industrie an die eigene Nase fassen und hier investieren, in diese Netze?
    Kerber: Wir investieren ja schon in einem international unglaublich hohen Ausmaß. Zwei Drittel aller Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Deutschland werden von der Wirtschaft getätigt und 90 Prozent aller privaten Forschungs- und Entwicklungsausgaben allein durch die deutsche Industrie. Ich glaube, wir brauchen uns als Industrie hier nicht zu verstecken.
    Was wir aber dringend benötigen sind staatliche Vorlaufinvestitionen, dort wo es sich um große infrastrukturelle Maßnahmen handelt, eben wie beim Breitbandnetz, oder aber auch bei modernen Verkehrswegen, was Hochgeschwindigkeitszüge und ähnliches anbelangt. Das sind klassische Aufgaben des Staates. Wenn dieser sie tätigt, dann, glaube ich, rücken die privaten Investitionen in einem noch deutlicheren Maße nach. Dort will ich ein Beispiel geben: Ein Großteil unserer mittelständischen Industrie befindet sich im ländlichen Raum. Das ist eine der Stärken der deutschen Volkswirtschaft. Wenn Sie im ländlichen Raum aber keine richtigen Datenübertragungsraten haben, weil das Internet dort entweder gar nicht oder viel zu langsam funktioniert, dann unterbleiben gerade in diesem wichtigen, für Deutschland so strukturell wichtigen ländlichen Raum private Investitionen, weil es sich nicht lohnt, dort eine Erweiterungsinvestition oder eine neue Firma zu gründen. Würde der Staat hier stärker und schneller für einen Ausbau der Datennetze sorgen, bin ich mir ziemlich sicher, würden die privaten Investitionen, so wie Herr Professor Fratzscher sie fordert, auch relativ schnell nachgezogen werden.
    Engels: Nachgezogen ist das eine. Aber wie wäre es mit gleichzeitig? Heißt: Public Private Partnership. Das ist ja auch das, was dem Staat immer vorschwebt, privat und öffentlich gemeinsam zu finanzieren. Fratzscher rechnet immerhin vor, 500 Milliarden Euro habe die Industrie auf der hohen Kante.
    Kerber: Herr Fratzscher hat völlig recht, dass wir volkswirtschaftlich gesehen die starke Liquidität, die durch die Ersparnisbildung bei Niedrigzinsen vonstattengeht, in volkswirtschaftlich sinnvolle Investitionen umleiten. Ein Blick auf den Berliner Flughafen zeigt ja auch, dass sehr oft staatliche Bauherren überfordert sind und dass PPP-Modelle – auch hier darf ich daran erinnern: Dieser Flughafen wäre in einem PPP-Modell für eine Milliarde angeboten worden, der Staat hätte nur zugreifen müssen. Wir reden jetzt über ein Vielfaches davon in der alleinigen staatlichen Trägerschaft. Fratzscher hat absolut recht: Wir brauchen hier sinnvolle und in der Vergangenheit und übrigens auch im Ausland, in Europa sich bereits bewährt habende Modelle. Die italienische Autobahnverwaltung, die französische Autobahnverwaltung, die funktioniert seit mehreren Jahrzehnten. Wir sollten in Deutschland mutiger hier vorangehen, absolut richtig.
    Ein Mautsystem in ganz Europa
    Engels: Da sind wir beim aktuellen Streit. Finanzminister Schäuble scheint ja auch ein solches Konzept für den Autobahnbau vorzuschweben, um die Infrastruktur voranzubringen, statt eines Mautkonzepts, wie von Alexander Dobrindt. Stimmen Sie zu?
    Kerber: Ich stimme vor allen Dingen einem Konzept zu, welches unsere Straßennetze in ein europäisches Konzept einmünden lässt. Und wenn ich mit meinem Wagen von Berlin nach Barcelona fahre, komme ich durch mindestens drei europäische Autobahnnetze. Es wäre mir schon wichtig, ich könnte in Berlin einsteigen und in Barcelona aussteigen und mich über ein Mautsystem in Europa bewegen. Da glauben wir, da glaube ich, gibt es noch Verbesserungen am Dobrindtschen Konzept.
    Engels: Nun scheint ja die SPD laut Medienberichten heute eher auf das CSU-Konzept einzuschwenken. Ist das also eine schlechte Nachricht?
    Kerber: Ich glaube, die Koalition befindet sich noch in einem Meinungsfindungsprozess. Ich würde aber sehr dafür plädieren, dass wir in Deutschland ein Verkehrswegekonzept entwickeln, das nicht so stark darauf fokussiert, wer nun zahlen soll und wer nicht zahlen soll, insbesondere in Abhängigkeit seiner Staatsangehörigkeit, sondern dass wir ein effizientes Mittelaufkommen in Deutschland bekommen, das es uns ermöglicht, unser Straßennetz so schnell als möglich zu modernisieren. Das drückt doch den Bürger. Der Bürger möchte gerne moderne, effiziente, technisch hervorragende Straßen haben und er kümmert sich weniger um die Frage, wer nun zahlt und wer nicht zahlt.
    Engels: Wenn er dann am Ende doch mitzahlen muss, kümmert er sich natürlich schon um die Frage. Andererseits, um noch mal ein drittes Thema anzusprechen, was auch seit gestern groß in der Debatte ist, sind möglicherweise auch Änderungen beim Steuersystem zu erwarten. Offenbar gibt es Überlegungen von Finanzminister Schäuble, den Solidaritätszuschlag ab 2019 abzuschaffen, aber durch höhere Steuern zu ersetzen. Was sagt die Industrie dazu?
    Kerber: Zunächst einmal möchte ich ungern Pläne kommentieren, die ich so offiziell noch nicht als Vorschlag des Bundesfinanzministeriums gesehen habe. Aber der staatliche Wille zur Gestaltung der Finanzen sollte sich nicht so sehr auf die Erhöhung von Steuern oder auf die Erhöhung der Steuerlast fokussieren, sondern auf eine Umstrukturierung von den konsumtiven zu den investiven Ausgaben im bestehenden Mittelaufkommen. Wenn Sie einen Blick auf den Bundeshaushalt nehmen, dann sehen Sie allein dort Mittelansätze von knapp 300 Milliarden. Ich denke, damit kann die Bundesrepublik auf der Bundesebene auskommen. Jetzt über neue Steuern, falls das stimmt, nachzudenken, halte ich für falsch. Aber alles, was ich gelesen habe, war, dass ein Solidaritätszuschlag so reformiert werden soll, dass das Netto-Steueraufkommen nicht steigen soll. Damit könnte ich leben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.