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Haushaltspolitik
Jung (CDU): Grundrente nur mit Bedürfnisprüfung

Unionsfraktionsvize Andreas Jung (CDU) fordert, den Solidaritätszuschlag vollständig abzuschaffen und eine Grundrente nur mit Bedürfnisprüfung einzuführen. Er sagte im Dlf, die Union wolle sich an das halten, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden sei.

Andreas Jung im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Andreas Jung (CDU), stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion, spricht am Rednerpult im Bundestag
Unions-Fraktionsvize Andreas Jung (imago stock&people)
Stefan Heinlein: Wenn das Geld knapp wird, wenn jeden Monat weniger Geld in die Kasse kommt als erwartet, dann muss man sparen. Das weiß jede schwäbische Hausfrau. Anschaffungen, von denen man geträumt hat, müssen verschoben werden, wenn man nicht in die Schuldenfalle tappen will. In der Politik liegen die Dinge offenbar ein wenig anders als im Privaten. Trotz einer sich eintrübenden Konjunktur wollen die Parteien der Großen Koalition weiter ihre Lieblingsprojekte verwirklicht sehen. Die SPD fordert die bedingungslose Grundrente, die Union die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages. Schon gibt es Streit im Regierungslager. Anfang der Woche soll über die Milliarden-Löcher im Haushalt und den Spielraum für künftige Ausgaben im Koalitionsausschuss beraten werden.
Am Telefon ist nun der CDU-Haushaltspolitiker Andreas Jung, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union. Guten Morgen, Herr Jung!
Andreas Jung: Guten Morgen, Herr Heinlein.
"Ran an die Abschaffung des Solis"
Heinlein: Soli-Abschaffung kontra Grundrente. Herr Jung, wie hart werden in den kommenden Wochen die Verteilungskämpfe innerhalb der Koalition?
Jung: Zunächst mal gilt für die Koalition der Koalitionsvertrag. In dem ist eine bedingungslose Grundrente gerade nicht vorgesehen, die Abschmelzung des Solis aber schon. Das ist die Ausgangslage und deshalb ist klar: Wir müssen jetzt ran an die Abschaffung des Soli. Olaf Scholz muss in diesem Jahr dafür ein Gesetz vorlegen. Das ist vereinbart, die Mittel sind eingeplant. So ist jetzt der nächste Schritt und dann wollen wir darüber hinausgehen, und das Ziel ist die vollständige Abschaffung.
Heinlein: Warum ist diese vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages für Ihre Fraktion so wichtig?
Jung: Weil es eine Frage der Glaubwürdigkeit ist. Man hat den Soli eingeführt mit der Ansage, wir machen das jetzt für ein bestimmtes Projekt, die Kosten der deutschen Einheit, und wir machen es befristet. Dazu gehört logischerweise, dass es auch wieder entfällt. Und dann ist es zweitens eine Frage der Gerechtigkeit, dass man nicht sagt, der Soli, der ist so gestrickt, dass die, die starke Schultern haben, mehr bezahlen. Das tun sie. Aber in dem Moment, wo es wieder wegfällt, dann müssen die weiterbezahlen und die anderen nicht. Das ist für uns kein Ausdruck von Gerechtigkeit. Da wird die Tür aufgemacht zur Ideologie, und wo die hinführt, dies sehen wir bei den Forderungen nach Enteignungen. Das ist genau die Strecke, auf die man sich da begibt.
"Es ist eine Frage der Gerechtigkeit"
Heinlein: Nun, Herr Jung, vereinbart ist ja die Abschaffung des Solidaritätszuschlages für 90 Prozent der Zahler bis zum Jahr 2021. Warum kämpfen Sie, warum kämpft Ihre Partei, die Union, für die oberen zehn Prozent der Einkommensskala?
Jung: Weil es eine Frage der Gerechtigkeit ist, wenn man eine Gemeinschaftsaufgabe schultert, dass man gemeinsam reingeht und sie dann auch wieder gemeinsam aufhört, und zwar für alle, und weil – das ist in Ihrem Beitrag gerade deutlich geworden – wir doch fragen müssen, warum sind wir jetzt in der Situation, dass wir feststellen, die Spielräume werden geringer. Das liegt zur Hälfte etwa an Dingen, die wir beschlossen haben, wie etwa Entlastungen für Familien, Leistungen für Kinder. Das ist die eine Hälfte der Minderausgaben. Aber die andere Hälfte geht darauf zurück, dass die Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung nach unten korrigiert werden. Noch immer sind wir nicht in einer Rezession, sondern wir haben ein Wachstum, das aber geringer ausfällt. Aber es ist ein Weckruf und deshalb müssen wir doch sagen, jetzt müssen wir gerade alles tun, was die Wettbewerbsfähigkeit stärkt. Da bekennen doch alle, dass gerade Mittelstand und Handwerk eine bedeutende Rolle zufällt. Und dann zu sagen, wir schaffen zwar den Soli ab, aber für den Handwerksmeister, der hier in besonderer Weise einen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft durch Steuereinnahmen, Arbeitsplätze und Ausbildung leistet, der soll weiter bezahlen, das ist für uns kein Ausdruck von Gerechtigkeit, und deshalb muss der ganz weg.
Heinlein: Sie haben es mit Recht gesagt, Herr Jung. Die Spielräume werden enger. Es gibt Löcher im Haushalt. Man hat zusammengerechnet: Die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages, das kostet rund zehn Milliarden Euro. Woher soll das Geld kommen?
Jung: Wir machen jetzt den ersten Schritt und dann werden wir darum ringen, den zweiten Schritt machen zu können. Klar ist: Wir haben eine neue Situation. Die Spielräume werden geringer. Deshalb gilt es jetzt, Prioritäten zu setzen, und da ist für uns klar, dass Prioritäten dort sind, wo es um Zukunft geht, wo es um Zukunftsinvestitionen geht, wo es um Wettbewerbsfähigkeit geht, und in diesen Kontext fallen die Maßnahmen zur Förderung von Bildung und Forschung, Infrastruktur, Investitionen, Künstliche Intelligenz. Aber da spielt auch die steuerliche Frage eine Rolle. Auch die muss einen Beitrag leisten, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Da spielen die Personengesellschaften und deshalb der Soli eine wichtige Rolle. In diesem Kontext der Prioritätensetzung werden wir nach Möglichkeiten suchen, diese Forderung umzusetzen.
"Für uns gilt die schwarze Null"
Heinlein: Jetzt haben Sie meine Frage, Herr Jung, nicht ganz beantwortet. Woher soll das Geld kommen? Wollen Sie Sozialleistungen kürzen für die vollständige Abschaffung des Solis? Das sind die Befürchtungen von Frau Nahles. Oder wollen Sie neue Schulden?
Jung: Es geht ja überhaupt gar nicht um Kürzen einerseits und es geht insbesondere nicht um neue Schulden. Für uns gilt die schwarze Null. Die ist Ausdruck von Generationengerechtigkeit, die ist unsere Brandmauer gegen rote Zahlen. Die gilt und für uns gilt zweitens, wir finanzieren nicht etwa die Abschaffung des Soli oder irgendetwas anderes durch Steuererhöhungen. In diesen Rahmen muss sich das einfügen. Da sind wir im Moment nicht in der Situation, dass wir kürzen müssen, weil wir trotzdem auch aufgrund der jetzigen Steuerschätzung ja nicht weniger Steuereinnahmen haben, sondern wir haben Jahr für Jahr immer mehr Steuereinnahmen als im letzten Jahr. Deshalb meinen wir, dass in einer Situation, wo wir immer mehr Steuereinnahmen auf Rekordniveau zur Verfügung haben, der Staat die gegebene Zusage, der Soli fällt irgendwann auch wieder weg, einlösen können muss.
Heinlein: Nun scheint man sich, Herr Jung, auch innerhalb Ihrer Fraktion nicht ganz einig zu sein bei diesem Thema Soli-Abschaffung. Ihr Parteifreund Eckhardt Rehberg, ebenfalls ein CDU-Haushaltspolitiker, ist klar der Meinung, es gebe derzeit keinen Spielraum für die vollständige Abschaffung. Ist Herr Rehberg allein mit dieser Meinung?
Jung: Das Entscheidende – Sie haben es gesagt – ist ja das Wort "derzeit", und deshalb gilt jetzt, dass wir den ersten Schritt machen. Da ist Eckhardt Rehberg, da sind alle Haushälter, da ist die gesamte Union einer Auffassung. Was im Koalitionsvertrag drinsteht, das muss kommen, das muss jetzt auch schnell kommen und wir müssen es jetzt auf den Weg bringen. Deshalb liegt der Ball jetzt erst mal bei Olaf Scholz.
"Die Grundrente soll für die sein, die bedürftig sind"
Heinlein: Anders als Ihre Fraktion und als Sie heute Morgen, Herr Jung, hat die SPD ja bereits konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt, wie die Grundrente finanziert werden soll. Sie soll nicht nur aus Steuermitteln, so ist zu lesen, sondern auch aus Beiträgen der Kranken- und der Arbeitslosenversicherung finanziert werden. Mehr Geld für kleine Rentner, solidarisch finanziert, was ist denn falsch, Herr Jung, an diesem Konzept?
Jung: Erstens kann ich einen konkreten Vorschlag noch gar nicht erkennen. Ich kenne nur Interviews, Meinungsäußerungen. Und zweitens ist aus unserer Sicht notwendig, dass es bei dem bleibt, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, nämlich dass es eine Bedürfnisprüfung gibt bei der Grundrente. Die Grundrente soll für die sein, die bedürftig sind. Das ist im Koalitionsvertrag so festgeschrieben. Sie soll ja schützen vor Altersarmut. Das heißt umgekehrt: Wer von Altersarmut gar nicht bedroht ist, der soll sie nicht bekommen. Das ist die entscheidende Frage. Es ist eine Grundsatzfrage auch hier, wo es um das Verständnis unserer sozialen Marktwirtschaft geht. Eingriffe, staatliche Eingriffe soll es nur dort geben, wo es einen Bedarf gibt, und das ist die Kernfrage. Um die ringen wir. Dazu haben wir eine sehr klare Auffassung. Und nachdem, wie Sie richtig sagen, im Koalitionsvertrag das nicht festgehalten ist, lehnen wir genauso ab Umwege, etwa den Griff in die Rentenkasse. Die ist dafür nicht da.
Heinlein: Eine klare Aussage heute Morgen hier in dieser Sendung, Herr Jung. Der Plan von Minister Hubertus Heil zur Grundrente, das ist mit der Union nicht zu machen, klipp und klar?
Jung: Wir lehnen den Griff in die Rentenkasse zur Finanzierung eines Vorhabens, das im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen ist und das auch nicht gerecht ist, weil es mit der Gießkanne verteilt würde, ab.
"Zukunftsinvestitionen und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit"
Heinlein: Nun haben sich Union und SPD ja vorgenommen, den Rest dieser Legislaturperiode – wir haben gerade Halbzeit – gemeinsam weiterzuregieren. Wie könnte denn ein Kompromiss in diesem Streit aussehen, Grundrente und Solidaritätszuschlag?
Jung: Ich würde überhaupt die Streitfrage nicht so aufmachen. Es sind zwei Themen, die im Moment diskutiert werden. Die müssen beide auf den Weg gebracht werden. Die Basis ist der Koalitionsvertrag. Da steht die Abschmelzung des Solis drin. Die Grundrente steht mit Bedürftigkeitsprüfung drin. Deshalb würde ich uns einfach raten, dort weiterzumachen, wo wir die Dinge gemeinsam vereinbart haben, und auf dieser Grundlage dann zu ringen und zu fragen, wo müssen wir jetzt neu Prioritäten setzen. Da wird es dann sicherlich Diskussionen in der Koalition geben. Ich habe unsere Linie genannt. Die ist dort, wo es um Zukunftsinvestitionen und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit geht, weil wir doch gerade jetzt in dieser Situation sehen: Wenn wir Steuerschätzungen haben, die weniger Mittel vorsehen, dann betrifft es eben alle. Dann betrifft es die Frage, was können wir für Soziales machen, was können wir für Klimaschutz tun, wie können wir Kommunen unterstützen in ihren Aufgaben. Deshalb wollen wir hier ran und hier die Priorität setzen, und darüber werden wir mit den Sozialdemokraten sprechen.
Heinlein: Sprechen können Sie bereits diese Woche im Koalitionsausschuss, Herr Jung. Wie hoch sind denn Ihre Erwartungen, dass es bereits in dieser Woche im Koalitionsausschuss zu einer Annäherung kommt? Oder müssen wir bis nach der Europawahl warten?
Jung: Ich würde das nicht in die Europawahl hängen. Ich hoffe, dass wir im Koalitionsausschuss …
Heinlein: Ein bisschen Wahlkampf ist das schon!
Jung: Es sind politische Fragen, die auch im Wahlkampf diskutiert werden. Die Parteien machen ihre Positionen klar. Ich hoffe, dass wir im Koalitionsausschuss einen entscheidenden Schritt weiterkommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.