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Kommentar zum Haushaltsurteil
Deutschlands Beitrag zur Klimarettung wird vernichtet

Das Haushaltsurteil aus Karlsruhe ist eine Katastrophe für die Gesellschaft, kommentiert Ulrike Winkelmann: Dem Sparzwang der Bundesregierung würden vor allem Etats für Kinder und Klimaschutz zum Opfer fallen.

Von Ulrike Winkelmann |
Das Braunkohlekraftwerk der RWE Power AG Kraftwerk im rheinischen Niederaußem. Weiße Wolken steigen aus den Schornsteinen in den Himmel.
Nach dem Haushaltsurteil aus Karlsruhe macht sich unsere Kommentatorin, "taz"-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann, große Sorgen um den Klimaschutz - und um den Etat für Kinder. (picture alliance / Jochen Tack / Jochen Tack)
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur kreativen Buchführung der Bundesregierung ist eine Katastrophe für die Ampel. Sowieso. Aber eben auch für die gesamte Gesellschaft.

Vor allem in der Union reiben sich jetzt natürlich die meisten die Hände beim Gedanken daran, dass das beziehungsdynamisch ohnehin hochgestresste Bündnis aus SPD, Grünen und FDP daran zerbrechen könnte, alle Pläne der vergangenen zwei Jahre in die Tonne zu treten und zu neuen, weit schmerzlicheren Kompromissen zu finden.

Die Schadenfrohen haben es nicht begriffen

Gut möglich aber, dass die Riege der Schadenfrohen nur noch nicht begriffen hat, dass sie die Folgen mit ausbaden müssen wird.
Denn so wenig wie die jetzige wird auch eine künftige Bundesregierung an den Aufgaben nicht vorbeikommen, die sich in den Merkel-Jahren aufgetürmt haben – und die jetzt in Kombination mit einem Krieg in Europa und den rasant zunehmenden Symptomen der Erderwärmung bewältigt werden wollen.

Investitionen in Kinder bedroht

Die teils ironisch, teils hämisch formulierten Streichlisten, die diese Woche kursierten – Motto: "Wo könnte die Ampel denn jetzt kürzen? Hier ein paar Vorschläge!" –, zeigten ja vor allem eines: Im Rahmen dessen, was rechtlich möglich ist, sind zuallererst die Investitionen in Kinder und in die Zukunft bedroht.
Die Familienministerin Lisa Paus von den Grünen hatte die Kindergrundsicherung ungeschickt genug eingefädelt. Daran ist jetzt gut ablesbar, was es für Folgen haben kann, wenn berechtigte Vorhaben erst schlecht geplant und dann unzureichend kommuniziert werden.
So war es Paus eben nicht gelungen, den Verdacht auszuräumen, dass sie mit den mühsam errungenen Milliarden vor allem mehr Verwaltung schaffen würde. Entsprechend darf sie sich nicht wundern, wenn ihr Projekt jetzt auf dem Opferaltar landen könnte.

Bahn braucht die Milliarden

Auch die Freundinnen und Freunde der Bahn sind diese Woche wahrscheinlich nicht grundlos unruhig geworden. Wie überfällig die Milliardenzusagen an die Bahn waren, weiß jeder, der in den vergangenen Jahren einen Fuß in einen Zug gesetzt hat.
Da das Verkehrsressort jedoch in Deutschland traditionell mit Männern ohne jeden Hang zu klimaschonender Fortbewegung besetzt wird, wird man auch Volker Wissing von der FDP nicht lange für die Bahn kämpfen sehen.

Was bleibt von den Umrüstungsplänen übrig?

Auch über die Bahn hinaus ist beängstigend unklar, was von dem Gesamtplan der Ampel-Regierung, die deutsche Wirtschaft und Infrastruktur ökologisch umzurüsten, übrig bleibt. Das Versprechen von Kanzler Olaf Scholz lautete: Wir bauen um, damit wir Klimaziele erreichen - aber habt keine Sorge, die Rechnung zahlt der Staat.
Am Ende wird Deutschland die klimafreundlichen Technologien für die ganze Welt entwerfen. Gewagt war dieses Versprechen ohnehin. Ohne die Milliarden aus den Sondertöpfen wird Scholz es nicht halten können.

Sondervermögen der Bundeswehr für unantastbar erklärt

Stattdessen wird jeder Euro, der sich jetzt noch irgendwo herausquetschen lässt, ins Militär gesteckt werden. Die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr wurden diese Woche schon für unantastbar erklärt. Auch von der Zusage, ab sofort zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts fürs Militär auszugeben, wird die Regierung nicht mehr herunterkommen.
Und in der Tat lässt sich aktuell wirklich schwer dagegen argumentieren, dass die Bundeswehr auf die weltpolitische Zumutung, die sich durch Russlands Angriffskrieg gestellt hat, ausgerichtet werden muss. Vielleicht in 20 oder 30 Jahren, vielleicht nie werden wir wissen, welche der zweistelligen Milliardensummen, die nun jährlich zusätzlich in Aufrüstung fließen, irgendwie sinnvoll waren. Das ist die Logik der Aufrüstung und Abschreckung, die der Bundesrepublik wie der Nato von Wladimir Putin aufgezwungen wurde.

Die Lebensgrundlagen unserer Kinder

Im Ergebnis bedeutet dies aktuell, dass der Ausbruch aus dem Zwang zum Kohle-, Gas- und Ölverbrennen scheitern dürfte und Deutschlands Beitrag zur Klimarettung und zum Erhalt der Lebensgrundlagen unserer Kinder vernichtet wird.
Man würde hier so gern den Konjunktiv einsetzen. Aber wenn es nicht gelingt, große Teile der Politik und Gesellschaft davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, für klimaneutrales Wirtschaften, für Kinder und für eine auch militärisch abgesicherte Zukunft Schulden aufzunehmen, wird das eben nichts.