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Haut
Dem Wohlfühlsystem auf der Spur

Die Haut ist das größte Sinnesorgan des Menschen: Sie misst Temperaturen, spürt Druck und Berührung. Wann sie etwas als angenehm empfindet, haben schwedische Forscher untersucht. Die optimale Streichelgeschwindigkeit und -Temperatur konnten sie schon ermitteln.

Von Christine Westerhaus | 05.03.2014
    Es ist neun Uhr morgens. Am Institut für Neurophysiologie der Göteborg Universität wird Carolina Bertilsson auf die heutige Testreihe vorbereitet. Sie sitzt in einer Art Zahnarztstuhl, den die Forscher nun in die richtige Position bringen. Acht Stunden lang darf die junge Frau ihren linken Arm nicht bewegen, denn die Forscher möchten Ableitungen an einzelnen Nervenfasern machen. Rochelle Ackerley sticht deshalb nun eine sehr dünne Nadel etwas oberhalb der Armbeuge in die Haut. Am oberen Ende der Nadel hängt eine haarfeine goldene Antenne. Sie funkt zu einem streicholzschachtel-großen Kasten, der ebenfalls auf den Arm geklebt wird. Mit dieser Apparatur wollen die Forscher am Unterarmnerv lauschen, erklärt Ackerley.
    "Ich werde jetzt nach dem Nerv suchen und gebe deshalb elektrische Impulse an die Elektrode ab. Die Impulse sind als leises Ticken zu hören."
    Rochelle Ackerley sucht nach ganz bestimmten Nervenzellen, den sogenannten C-taktilen Nervenzellen. Schon vor einigen Jahren haben die Göteborger Forscher entdeckt, dass diese Zellen in der menschlichen Haut offenbar ein ganz eigenes System bilden: Sie teilen dem Gehirn mit, ob eine Berührung angenehm oder unangenehm ist. Und das ganz unbewusst, erklärt Ackerleys Kollegin Helena Backlund-Wasling:
    "Jedes Mal, wenn man mit einer weichen Bürste oder einem anderen Gegenstand über die Haut streicht, aktiviert man zwei parallele Hautsysteme, die in unterschiedlichen Bereichen im Gehirn verarbeitet werden. Das eine System informiert darüber ob das nun ein harter oder weicher Gegenstand war und wo die Berührung stattfindet. Das zweite System, das aus den C-taktilen Zellen besteht, sagt dem Gehirn darüber hinaus, ob die Berührung angenehm oder unangenehm war."
    Diese C-taktilen Nervenzellen leiten elektrische Impulse deutlich langsamer an das Gehirn weiter, als andere Neurone. Auch daran kann Rochelle Ackerley während ihrer Versuche erkennen, ob sie eine solche Zelle im Unterarm der Versuchsperson gefunden hat.
    Das Rauschen der Neurone
    Mit winzigen Justierungen ändert die Forscherin nun die Position der Elektrode im Arm, während sie über den Unterarm der Versuchsperson streicht. Parallel dazu lauscht sie dem Hintergrundrauschen der Neurone, die über einen Lautsprecher im ganzen Raum zu hören sind. Plötzlich hält die Forscherin inne: Ein leises Surren verrät ihr, dass sie die Elektrode an einer einzelnen Nervenzelle positioniert hat.
    "Wenn wir ein einzelnes Neuron gefunden haben, können wir es testen: Wir können die Haut berühren, sie erwärmen, sie elektrisch stimulieren und uns dann anschauen, auf was diese Nervenzelle reagiert."
    Ackerley möchte im heutigen Versuch herausfinden, wie Nässe auf der Haut wahrgenommen wird und wie einzelne Nervenzellen darauf reagieren. Aus früheren Versuchen wissen die schwedischen Neurophysiologen, dass die C-taktilen Nervenzellen auf Berührungen sehr unterschiedlich reagieren. In einem sehr ähnlichen Experiment, wie dem heutigen, haben sie einen weichen Pinsel mit einem schwenkbaren Roboterarm über die Haut von Testpersonen gestrichen.
    Dieses Gerät lässt sich so justieren, dass es die Haare des Pinsels in einer genau definierten Geschwindigkeit und mit gleichbleibendem Druck über die Haut streicht. Parallel dazu haben die Forscher die Reaktion der C-taktilen Zellen auf die Berührung aufgezeichnet.
    "Wir haben unterschiedliche Geschwindigkeiten getestet und parallel dazu andere Versuchspersonen befragt. Zu schnelle und zu langsame Bürstenstriche wurden generell als weniger angenehm empfunden und wir sahen gleichzeitig die geringste Aktivität bei den C-taktilen Nervenzellen. Und wenn man ein kleines Kind auf dem Schoß hat, dann streichelt man es instinktiv meist genau in dieser mittleren Geschwindigkeit. Es ist also exakt die Bewegung, die wir natürlicherweise bei Streicheleinheiten einsetzen."
    Nervenzellen mit sozialer Funktion
    Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass die C-taktilen Nervenzellen eine soziale Funktion haben. Um diese These zu stützen, untersuchten Backlund und ihre Kollegen, ob auch die Temperatur beeinflusst, wie stark die C-taktilen Nervenzellen auf Berührungen reagieren. Dazu streichelten sie die Haut von Versuchspersonen mit einer Art Metallkolben, der sich auf verschiedene Temperaturen einstellen ließ. Auf handwarme Berührungen reagierten die C-taktilen Neurone am stärksten - für die Forscher ein weiterer Hinweis darauf, dass das Wohlfühlsystem eine soziale Funktion hat: Was genau seine Aufgaben sind, wollen die Forscher nun weiter untersuchen. So möchten sie beispielsweise herausfinden, ob die C-taktilen Nervenzellen im Alter genauso stark auf Berührungen reagieren, wie bei jungen Menschen. An den Ergebnissen sind auch viele andere Forschergruppen interessiert, erklärt Teamleiter Johan Wessberg. Denn Störungen in der Gefühlswelt spielen bei auch bei vielen Krankheiten eine Rolle:
    "Unsere Versuche hier sind zwar vor allem Grundlagenforschung. Aber wir setzen sie in Zusammenhang mit vielen anderen Forschungsgebieten. Zum Beispiel wird untersucht, wie wichtig dieses System für die normale Entwicklung von Kindern ist oder ob es eine Rolle bei Autismus spielt. In anderen Studien geht es um das Schmerzempfinden von Patienten und um Placebo-Mechanismen."
    Wer die C-taktilen Nervenzellen belauschen möchte, braucht allerdings viel Geduld. Dreieinhalb Stunden hat es heute gedauert, bis Rochelle Ackerley einen ersten kurzen Versuch machen konnte. Die Mühe habe sich aber gelohnt, sagt sie. Denn das Rauschen der Neurone zu hören, versetze sie jedes Mal aufs Neue in Verzückung.