Der Malecón führt direkt am Meer entlang. Einzelne Fischer werfen ihre Köder hinaus, ein Liebespaar schaut versunken einem großen weißen Kreuzfahrtdampfer nach. Ein alter Mann sitzt auf der steinernen Brüstung und spielt einsam auf der Trompete. Zu viele Menschen leben in dem Gebäude im Zentrum Havannas. Zwischen den Häusern und dem breiten Weg am felsigen Ufer liegt eine vierspurige Straße. Sozialistische und kapitalistische Oldtimer rasen die Uferpromenade entlang und stoßen weiße bzw. schwarze Rauchwolken hinaus. Der Malecón, die Uferpromenade, ist das Herz der karibischen Metropole sagt ein junger Mann:
"Der Malecón ist das längste Sofa der Stadt oder die Theke der Armen. Wenn die Leute mit der Arbeit fertig sind kommen sie hierher; hier wird geflirtet, hier finden sich die Pärchen zusammen, hier machen die Leute Musik. Manche angeln, manche machen Sport. Für Havanna war das immer ein ganz wichtiger Ort, weil sich hier ein Großteil des sozialen Lebens abspielt."
Javier Suarez arbeitet im Hotel Nacional, das wie eine Burg über dem Malecón liegt. Mit seiner eklektischen Architektur, in der sich Art Decó und altkastillische Schwere mischen, ist es eines der bekanntesten Gebäude der Stadt Havanna. Als es am 30. Dezember 1930 eröffnet wurde, nannte es der berühmte kubanische Schriftsteller Alejo Carpentier das verwunschene Schloss, "El castillo encantado".
Bekannte Filmstars wie Errol Flynn, Rita Hayworth oder Fred Astaire haben hier gefrühstückt. Winston Churchill, Jean-Paul Sartre, Ernest Hemingway y Gabriel García Márquez haben hier übernachtet. Frank Sinatra und Ava Gardner verbrachten hier ihre Flitterwochen. Stammgäste des Hauses waren auch die Oberhäupter der Mafia. Lucky Luciano und Meyer Lansky luden im Dezember 1946 500 Mafiosi zu einem Gipfeltreffen des organisierten Verbrechens ein. Es fand im Salon Vedado, dem damaligen Spielcasino, statt. Dabei wurden Havanna und ganz Kuba unter den Clans aufgeteilt - Glücksspiel, Drogen und Prostitution. Nach dem Sieg der Revolution wurden Glücksspiel und Prostitution verboten. Andere Gäste kamen und das Hotel diente fortan anderen Zwecken:
"Der berühmteste Gast war Fidel Castro. Sie sehen hier einige Fotos mit Staatsgästen. Dieses Hotel ist die Vertretung, die Botschaft Kubas der Welt gegenüber. Wenn hoher Staatsbesuch kommt, wird er hier untergebracht, und Fidel hat sich hier mit Gästen aus aller Welt getroffen, auch wenn er hier selbst nie übernachtet hat."
Fidel Castro hatte sich mit seinen Revolutionären ganz in der Nähe untergebracht: im ehemaligen Hilton, das sie nach der Revolution in "HABANA LIBRE" umbenannten.
"Dort gab es auch den ersten Attentatsversuch auf Fidel Castro. Einer der großen Mafiachefs, Louie Santo Trafficante schickte einen als Barkeeper verkleideten Killer. Der reichte Castro einen vergifteten Cocktail. Aber im letzten Moment zittert ihm die Hand ein wenig und Fidel entdeckt das Komplott. Danach hat man 637 mal versucht, Fidel Castro durch ein Attentat zu beseitigen."
Umwälzungen der letzten Jahrzehnte
Zwischen dem dem "Hotel Nacional" und dem "Habana Libre" liegt auch der Kuba-Pavillon und das "Capri" auch einer der großen Spielsalons des vorrevolutionären Havannas. Später entstand daneben das große 20-stöckige Focsa Gebäude. Es sieht aus wir ein aufgeschlagenes Buch. Unter den Hochhäusern liegt der Stadtteil Vedado mit seinen kleinen Villen und Gärten; viele sind längst baufällig. Der Balletttänzer Carlos Acosta besuchte hier Anfang der 1980er Jahre seine erste Tanzschule. Später wurde durch seine langjährige Arbeit am Royal Ballet in London, wo er als erster Farbiger den Romeo tanzen durfte, weltberühmt. Heute lebt er zwischen London und Havanna. Hier leitet er ein Theater für zeitgenössischen Tanz.
"Es ist schön, dass es trotz aller Umwälzungen der letzten Jahre noch immer so etwas wie eine gemeinschaftliche Verantwortung gibt. In meinem Stadtviertel helfen Nachbarn noch immer ihren Nachbarn. Es ist schön zu sehen, dass die Kinder hier einfach auf der Straße spielen. Was Kuba auch geblieben ist, ist diese völlig natürliche Mischung der Rassen: In den kubanischen Orchestern musizieren Chinesen, Schwarze und Blonde einträchtig zusammen. Aber auch das Verständnis, dass Kultur für alle erreichbar sein muss, egal, ob man arm oder reich ist. Ohne diese gesellschaftliche Grundhaltung hätte ich aus meinen bescheidenen Familienverhältnissen heraus niemals eine Ballettschule besuchen können."
Fidel Castro starb 2016 im Alter von 90 Jahren. Was bleibt heute noch von der Revolution? Zum 60. Jahrestag wurden die Parolen wieder frisch gestrichen. Fidel Castro und Ernesto Che Guevara sind als Wandbilder und Souvenirs allgegenwärtig. Mit dem Durchschnittsverdienst von etwa 30 Cucs, das entspricht ungefähr 30 Euro, können die Kubaner ihre Lebenshaltungskosten nicht bewältigen. Auffällig ist der Anstieg der selbstständigen Berufe, besonders im Dienstleistungsbereich. Am Anfang der Liberalisierung des Privatsektors 2010 gab es in Kuba 157.000 Selbstständige; heute sind es 589.000, etwa 13 Prozent der arbeitenden Bevölkerung.
Auch am Malecón und im Zentrum Havannas sind viele Häuser völlig verfallen. Wie in der historischen Altstadt werden jetzt die Gebäude im großen Stil saniert, aber die Bewohner haben oft nichts davon, sagt der Journalist Ruben Padrón:
"Sie wurden umgesiedelt in Wohnungen am Stadtrand und in Wohnheime. Hier wohnten früher viel mehr Menschen und du siehst immer wieder Gebäude, die nicht renoviert werden, weil sich die Bewohner der Vertreibung widersetzen. Da lassen sie die Leute lieber wohnen. Es war sehr schwierig."
Internet und Kinopaläste aus den 1950er Jahren
La Rampa - so heißt das Stadtviertel zwischen den großen Hotels - war vor der Revolution das Geschäfts und Vergnügungsviertel. Hier steht die legendäre Eisdiele Coppelia, die den Triumph der Revolution versüßte, wenn auch schon mit unterschiedlichen Wartezeiten für kubanische Pesos und frei konvertible Währungen. Hier steht auch die Ruine des Luxusrestaurants "Moscu", das nach einem Brand Anfang der 80er Jahre wie eine steinerne Metapher für den Zusammenbruch der Sowjetunion wirkt. Direkt dahinter beginnt auch die lange Reihe der Kinopaläste aus den 1950er Jahren, die bis ans Ende der langen Calle 23 (der 23. Straße) reichen: La Rampa, Yara, Riviera, Charles Chaplin und Acapulco.
Seit etwas mehr als einem Monat beherrscht der kleine Bildschirm das Straßenbild: Überall sieht man junge Leute auf den Plätzen, die ganz gebannt auf ihr Handy schauen, denn das Internet wurde am 6. Dezember für alle Kubaner freigegeben. Für Rubén Padron ist das ein ganz wichtiger Fortschritt:
"Es ist vielleicht der radikalste Einschnitt, seit der Einführung der Reisefreiheit vor zwölf Jahren, als Raul Castro die Amtsgeschäfte von seinem Bruder übernahm."
Am Malecón selbst gibt es nur wenige Hotspots für die Internetsurfer. Der Trompeter spielt noch immer und das Kreuzfahrtschiff ist längst an der kleinen Festung "El Morro" vorbei in den Hafen eingefahren. Nicht jeder Schritt ist ein Fortschritt, aber ohne Schritte gibt es keinen Fortschritt. Es sind kleine Schritte, keine großen Umwälzungen, aber eine langsame stetige Veränderung, die das Leben in Havanna heute prägen.