Archiv


Haydn-Spaß mit Ragna Schirmer

Ragna Schirmer ist eine Wiederholungstäterin: Schon 2002 hatte die Pianistin Sonaten von Joseph Haydn eingespielt. Das war ziemlich am Anfang ihrer Schallplatten-Karriere. Nun, nach Aufnahmen von Beethoven bis Schumann; von Mendelssohn bis Alfred Schnittke, kehrt sie zurück zu Haydn: "Haydn revisited" heißt denn auch das neue Album.

Von Falk Häfner |
    Zumeist sprühen sie vor Lebensfreude, sind voller Esprit und Eleganz; aber zu den virtuosesten Stücken für Klavier zählen Joseph Haydns Klaviersonaten nicht. Anders als bei den Sonaten von Mozart oder Beethoven lässt ein erster Blick in die Partitur den Spieler gemeinhin aufatmen: Denn die technischen Anforderungen halten sich in Grenzen. Es ist Musik, die der Pianist recht schnell in den Fingern hat. Doch darin liegt auch der Trugschluss: Denn jetzt beginnt die eigentliche Arbeit für den Musiker - die Interpretation: Wie sind all die scheinbar hübschen, scheinbar harmlosen Figuren und Melodien zu deuten - wie in Beziehung zueinander zu setzen? Welche Artikulation erscheint passend? Wo liegen die versteckten Abgründe?

    Der musikalische Ausdruck springt einem bei Haydn nicht ins Gesicht. All das muss man sich erarbeiten. Kein Pathos wie bei Beethoven; keine Entrücktheit wie bei Schubert. Haydns Musik ist filigran, aber handfest; ernsthaft und doch verspielt, zurückhaltend, aber diesseitig.

    Genau das weiß Ragna Schirmer. Und genauso nähert sie sich auch den Werken, die sie auf ihrer neuen CD spielt: Sie lässt ihnen ihre Zurückhaltung. Und sie zeigt uns diese Zurückhaltung als Qualität: Ein Menuett wie das nun folgende in C-Dur aus den Katharinen-Tänzen von Joseph Haydn bezieht genau daraus seinen Reiz: Ein schlichter, ein wenig burschikoser Tanz mit einer einfachen Melodie. Fast ein wenig behäbig und schwerfüßig wirkt er. Doch im Kontrast zum wirbelnden G-dur-Tanz, der Grandezza des sich anschließenden Es-dur-Menuetts und der Keckheit des D-dur-Menuetts, mit dem Ragna Schirmer den Reigen beendet, zeigt: Hunderte Facetten können in solchen vier Miniaturen stecken.

    Ursprünglich hatte Joseph Haydn diese Menuette für ein kleines Orchester komponiert. Sie entstanden für eine Wohltätigkeitsveranstaltung im Jahre 1792 im Rahmen des Katharinenfestes (deshalb auch der Name Katharinen-Tänze). Auf Anordnung seiner Majestät, der Kaiserin Maria Teresia, erging an Haydn wenig später der Auftrag, eine Klavierfassung daraus zu transkribieren.

    Solche Bearbeitungen waren nicht nur für Haydn, sondern auch für Haydns Verlag Artaria ein einträgliches Geschäft. Denn noch immer war die Hausmusik der übliche Weg, Musik bekannt zu machen. Dementsprechend drängte Artaria auch auf eine Klavier-Bearbeitung des Streichquartetts op. 76/3. Das dort verwendete Thema hatte Haydn kurz zuvor als Hymne "Gott erhalte Franz den Kaiser" auf den österreichischen Monarchen komponiert. Sie wurde während einer Opernaufführung im Wiener Burgtheater am Geburtstag des Kaisers gesungen. Das, was dann bei Artaria im Druck erschien, war allerdings keine reine Klaviertranskription des Streichquartetts, sondern ein Klavierlied mit unterlegtem Hymnen-Text. Auch damals wusste die Branche eben schon, was sich verkauft: Mit einer Hymne jedenfalls war ein Kassenschlager garantiert.

    Weder Fahnen werden geschwenkt, noch Medaillen überreicht, wenn Ragna Schirmer die Melodie der deutschen Nationalhyme im haydnschen Original intoniert: Ragna Schirmer trägt die schlichte Melodie der Variationen vor wie ein Volkslied, "gesungen" eher für sich selbst, als für die Welt. Statt lärmenden Pathos' regiert bei ihr zurückhaltendes piano. Der Hymnus als innere Einkehr, anfangs fast zögernd, dann Mut fassend und erst nach und nach erstarkend.

    Es ist die Kunst der Nuance, die Ragna Schirmer auf ihrem neuen Album zeigt. Sie erhebt auch vermeintliche Unterhaltungsmusik zur Kunst, indem sie das Unterhaltende dieser Kompositionen nicht gering schätzt, sondern achtet und die Schönheit der Details beleuchtet: Mit funkelnden Verzierungen; liebevoll geführten Melodiebögen, ausgekosteten Pausen. Nichts klingt künstlich oder aufgesetzt. Darin ist Ragna Schirmer groß und so macht sie Musik, die ans Herz geht.

    Lebensfreude sprüht aus beinahe jeder dieser neu eingespielten Kompositionen. Ehrgeiz indes spricht aus der Zahl der von Ragna Schirmer bisher veröffentlichten CDs. Dies ist die 8. Platte, seit sie im Jahr 2002 mit den Goldberg-Variationen von Bach ihr Debüt vorlegte.

    Inzwischen hat Ragna Schirmer so Populäres wie die Mendelssohn-Klavierkonzerte, so Heikles wie die Chopin-Etüden op. 10; so Unbekanntes wie die Beethoven-Variationen von Franz Schmidt und so Anspruchsvolles wie die Klaviersonaten von Alfred Schnittke eingespielt. Ihr Konzertkalender ist voll und ihr Aktionsradius erweitert sich beständig auch über den deutschsprachigen Raum hinaus: Erst im vergangenen Jahr konzertierte sie mit dem Orchestre National de France unter Kurt Masur in Paris.

    Außerdem unterrichtet Ragna Schirmer seit 2001 als Professorin an der Hochschule für Musik und Theater in Mannheim. Ein Leben auf der Überholspur, möchte man meinen. Machbar ist das wohl nur mit einer gewissen spielerischen Leichtigkeit - und die ist durchaus auch hörbar ...

    Auf zwei CDs hat Ragna Schirmer jetzt ganz unterschiedliche Stücke von Joseph Haydn zusammengestellt. Die vier Sonaten Nr. 19; 50; 58 und 59 wechselt sie ab mit zwölf Menuetten aus den Katharinen-Tänzen und anderen kleinen Kompositionen. - Bei "Berlin classics" ist die Doppel-CD jetzt herausgekommen. Das Album heißt "Haydn revisited" und ist ein Haydn-Spaß!

    CD "Joseph Haydn revisited. Klavierwerke"
    Ragna Schirmer, Klavier
    (LC 06203 / Berlin Classics BC001630)