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Hazel Rosenstrauch
"Wir müssen lernen, mit Komplexität umzugehen"

Die Journalistin Hazel Rosenstrauch widerspricht Populisten, die immer nur vereinfachen: "Es geht eher darum, dass man lernt, auch komplexe Sachverhalte von verschiedenen Seiten anzuschauen", sagte sie im Dlf. Das sei lustiger und interessanter als eine ständige Reduktion von Komplexität.

Fabian Elsäßer im Corsogespräch mit Hazel Rosenstrauch |
    Ein Geschäftsmann konzentriert sich auf einen leuchtenden Computer verbunden mit wirren Leitungen.
    Bei der Fülle der heute verfügbaren Informationen und Reize kann mitunter ein Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion aufkommen (Illustration: imago / Gary Waters )
    Fabian Elsäßer: "In the long run we are all dead", auf lange Sicht sind wir alle tot. Das hat der Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes einmal den Kritikern entgegnet, die ihm vorgeworfen haben, seine Theorien, die würden ja nur kurzfristig funktionieren. Da ging es um staatliche Eingriffe, um Langzeitarbeitslosigkeit und so weiter und so fort. Auf jeden Fall ein schönes Beispiel, wie man schwierige Zusammenhänge in einem einzigen Satz zusammenfassen kann.
    Es wird ja alles immer unübersichtlicher, die Zusammenhänge sind viel zu komplex. Das hört und das liest man oft. Und Macher wie Gäste von Talkshows werden gerne dazu angehalten, die Dinge, Zitat: "auf den Punkt zu bringen", "herunterzubrechen" oder, auch das hört man öfter mal: "Formulieren wir das bitte so, dass das auch meine Omma verstehen kann". Es ist schwer, komplexe Zusammenhänge zu begreifen und sie zu akzeptieren.
    Wie kann man Orientierung finden, ohne in Schematisierungen zu verfallen, ohne es sich zu einfach zu machen? Darüber diskutieren heute Abend an der Akademie der Künste in Berlin die Akademiepräsidentin Jeanine Meerapfel und die Publizistin und Sozialwissenschaftlerin Hazel Rosenstrauch. Und sie ist uns jetzt aus Berlin zugeschaltet. Willkommen zum Corsogespräch!
    Hazel Rosenstrauch: Ebenfalls Willkommen.
    "Das Duell war nicht allzu komplex"
    Elsäßer: Frau Rosenstrauch, lassen Sie es uns doch mal konkret machen, zum Beispiel anhand des gestrigen Duells, des TV-Duells zwischen der Kanzlerin und dem Kandidaten Martin Schulz. War das ein Beispiel dafür, wie man komplexe Dinge verständlich macht? Zumal in dieser Drucksituation eines Wettbewerbs?
    Rosenstrauch: Ich würde mal sagen, das Duell war nicht allzu komplex.
    Elsäßer: Weil?
    Rosenstrauch: Weil es vielleicht zu sehr auf ein Publikum abgestimmt war, das man nicht kennt, das sehr vage ist. Und wo man dann versucht, in einfachen Worten, Sachen, die sehr kompliziert sind, in ein paar Sätzen darzustellen.
    Elsäßer: Wird denn wirklich alles immer komplexer oder komplizierter? Oder sinkt einfach auch die Bereitschaft der Menschen, sich einzulassen, weil man eben heute so viele Informationen in so kurzer Zeit bekommen kann?
    Rosenstrauch: Ich glaube, dass die Welt immer schon sehr komplex war und immer schon viel zu komplex war. Nur haben wir lange Zeit irgendwelche Päpste oder Väter oder Pfarrer oder auch Diktatoren gehabt, die das für uns vereinfacht haben. Was schwieriger geworden ist, ist, sich eine Meinung zu bilden, wenn man hunderte Kanäle hat und sehr viel mehr Informationen als man vielleicht noch vor 100 Jahren hatte.
    Elsäßer: Doch im Zweifelsfall nutzen die ja gar nicht alle. Oder nutzen nur wenige all diese Kanäle.
    Rosenstrauch: Das stimmt schon. Nur wird in letzter Zeit immer darüber diskutiert, eben wie man Sachen herunterbrechen, vereinfachen, verblöden kann. Und wir haben ein Gespräch geführt, Jeanine und ich, wir kennen uns sehr lange und die Gespräche sind immer sehr anregend, wenn man mit ihr spricht. Und da sind wir auch auf dieses Thema gekommen. Und ich habe dann irgendwann gesagt: Ja, vielleicht müssen wir lernen, mit der Komplexität umzugehen, besser umzugehen. Das heißt, das ist die andere Richtung. Nicht das immer vereinfachen, das ist eigentlich unser Thema, über das wir da heute sprechen wollen.
    Mit Komplexität muss man umgehen lernen
    Elsäßer: Heißt vereinfachen oder herunterbrechen, das ist eigentlich auch ein ziemlich brutales Wort, ne?
    Rosenstrauch: Ja.
    Elsäßer: Also das Brechen, das steht im … das Zerbrechen steckt da im Grunde ja auch drin. Bedeutet das immer auch verblöden? Denn Sie haben gerade das Wort "Verblödung" benutzt.
    Rosenstrauch: Na, das ist eine von vielen Varianten des Vereinfachens. Es gibt dieses Schlagwort von der Reduktion der Komplexität. Luhmann selig, hat er geschrieben, bevor es Internet oder zumindest das in dieser Masse gegeben hat. Manchmal ist es eine Verblödung, manchmal ist es eine Vereinfachung, manchmal ist es eine Reduktion, die sinnvoll ist. Das, ja, kann viele Facetten haben, je nachdem, mit welchem Problem man sich auseinandersetzt. Aber die Frage ist doch: Geht man jetzt immer nur in die Richtung des Vereinfachens oder bemüht man sich auch, besser zu lernen, mit all dieser Komplexität umzugehen? Das sind zwei verschiedene Richtungen. Und ich plädiere dafür, dass vielleicht auch die Menschen lernen, mit dieser Komplexität umzugehen und nicht immer nur wie irgendwelche Politiker oder Journalisten oder Wissenschaftler reduzieren.
    "Die deutschen Soziologen haben sich abgegrenzt"
    Elsäßer: Sie haben gerade Niklas Luhmann angesprochen. Da sind wir jetzt natürlich bei einer Disziplin, also der Sozialwissenschaft, der Soziologie, die nicht gerade dafür bekannt ist, einfache Sätze hervorzubringen. Ist Komplexität ein Problem bestimmter Disziplinen?
    Rosenstrauch: Es ist ein Problem der Sprache, ganz bestimmt. Und es ist ein generelles Problem der Wissenschaften, dass sie ihre eigenen Slangs haben. Was auch sehr notwendig ist, wenn man sehr – wenn Sie so wollen – eine sehr komplexe Disziplin hat, dann kann man nicht forschen, indem man dann immer nur einfache Sätze bildet. Die Frage einer Vermittlung dieser Dinge ist was anderes, als die Frage der Erforschung. Das sind alles … das ist zum Beispiel schon, ja, so ein Fall, wo man sagt: Man muss differenzieren. In welcher Situation bin ich? Was ist der Kontext? Bin ich jetzt dabei, etwas zu erforschen? Oder bin ich dabei, etwas zu vermitteln? Das sind zwei verschiedene Dinge.
    Elsäßer: Ich meine ja auch nur: Könnte Komplexität nicht auch ein gewünschter Abgrenzungsmechanismus sein? Also gerade von Soziologen zum Beispiel? Denn, wenn Sie sich amerikanische Publizisten angucken oder auch Wissenschaftler, liest sich das meistens viel einfacher.
    Rosenstrauch: Ja, das stimmt. Die deutschen Soziologen haben sich abgegrenzt, das hat historische Gründe. Sie mussten mindestens so kompliziert sein wie die Naturwissenschaften. Aber darum geht es uns heute, glaube ich, überhaupt nicht. Wir wollen uns darüber unterhalten, wie man mit dieser wachsenden Komplexität plus Kompliziertheit plus Chaos vielleicht als einzelnes Menschlein umgehen kann.
    "Populismus ist eine Form der Reduktion von Komplexität"
    Elsäßer: Bleiben wir doch mal beim einzelnen Menschlein, Hazel Rosenstrauch. Was wäre Ihnen jetzt, just im Moment, zu komplex? Was ist ein Sachverhalt, wo Sie sagen: Das ist unfassbar kompliziert?
    Rosenstrauch: Naja, ich bin zum Beispiel ein älteres Semester und kann mit den neuen Technologien nicht so wahnsinnig gut umgehen. Das ist sehr kompliziert und die Vorgänge sind auch komplex. Und die Frage ist, sage ich jetzt: Ich will mit diesem Teufelszeug nichts zu tun haben oder versuche ich, mich damit auseinanderzusetzen.
    Elsäßer: Und ich vermute mal, Sie machen eher die zweite Lösung, sie entscheiden sich eher für die zweite Lösung?
    Rosenstrauch: Stimmt.
    Elsäßer: Wie sieht es in der Politik aus? Wir haben es ja vorhin schon angesprochen, dass man sich da ein wenig scheut vor der Komplexität. Haben Sie da irgendwie einen Politiker, eine Politikerin spontan im Kopf, über die Sie sagen würden: Ja, der- oder diejenige hat sich getraut, komplexe Sachverhalte nicht zu einfach, aber trotzdem verständlich zu vermitteln?
    Rosenstrauch: Also wissen Sie, ich habe die Eigenschaft, immer auf Fragen, die mir nicht so liegen, nicht einzugehen oder anders einzugehen.
    Elsäßer: Gehen Sie ruhig anders drauf ein!
    Rosenstrauch: Ein zentrales politisches Problem ist derzeit der Populismus. Populismus ist eine Form der Reduktion von Komplexität. Sie haben Luhmann erwähnt. Der sagt: Ein Mittel, um Komplexität zu reduzieren, ist das Vertrauen. Und zurzeit ist es aber so, dass der Populismus genau damit arbeitet. Also Werbung für Figuren macht, die dann irgendetwas darstellen. Ich bin, wie man vielleicht hört, Österreicherin. Wir haben fesche junge Männer und die soll man dann wählen, weil sie einfache Parolen haben. Und da würde ich jetzt auch wieder sagen: Ich widerspreche und denke, es geht eher darum, sich mehr damit auseinanderzusetzen. Dass man lernt, auch komplexe Sachverhalte anzuschauen, von verschiedenen Seiten anzuschauen, damit umzugehen, vielleicht auch jonglieren zu lernen, damit man, mal das eine, mal das andere, aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen kann. Es ist auch lustig, es ist viel interessanter als diese Reduktion von Komplexität.
    Elsäßer: Mehr Mut zur Komplexität. Das wünscht sich die Publizistin Hazel Rosenstrauch und darüber spricht sie heute Abend auch an der Akademie der Künste in Berlin. Herzlichen Dank für dieses Corsogespräch.
    Rosenstrauch: Ebenfalls herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.