Der Firmenparkplatz von Jewgenij Gomberg ist nicht leicht zu finden, er liegt versteckt in einem Hinterhof an der Freiheitsstraße in Riga. Trotzdem wird er häufig von Schaulustigen besucht. Denn zwischen PKW und Lieferwagen erhebt sich Rigas berühmtester Reiter aus Bronze: Zar Peter der Große.
"Am besten gefällt mir seine rechte Hand. Für die Restaurierung habe ich mit meiner Hand Modell gestanden. Das Denkmal hatte ein großes Loch im Bauch, Kiefer und Ohren von Peter fehlten, sogar die Hüfte musste ersetzt werden. Und jetzt steht er hier und wartet auf seine Stunde."
Jewgenij Gomberg ist Russe. Ein stattlicher Mann mit kurz geschorenem grauen Haar. Schon als kleiner Junge habe ihn die Geschichte von dem bronzenen Peter fasziniert. 1910 war das über neun Meter hohe Denkmal des russischen Zaren auf dem Alexander-Boulevard aufgestellt worden. In Riga feierte man den 200. Jahrestag der Zugehörigkeit Livlands zum Russischen Kaiserreich. Zu den Feierlichkeiten kam Zar Nikolaus II. mit seiner Familie an die Düna. Doch schon wenige Jahre später, zu Beginn des Ersten Weltkriegs sollten Pferd und Reiter zum Kanonenbau für die russische Armee eingeschmolzen werden. Aber auf dem Weg nach St. Petersburg wurde das Schiff mit dem Denkmal von einem deutschen U-Boot torpediert - Peter der Große versank in der Ostsee. Später haben estnische Fischer das Monument gehoben und der junge lettische Staat zahlte 1934 viel Geld für den Rückkauf. Trotzdem verschwand das Denkmal in den Arsenalen und wurde niemals aufgestellt.
"Irgendjemand musste sich doch mal um das Denkmal kümmern. Ich hatte das Geld und machte mich auf die Suche. Der Stadtrat gab mir die Erlaubnis. Das war leichtsinnig, wie sich bald herausstellte. Denn plötzlich geriet das Denkmal ins Zentrum politischer Debatten: Die lettische Regierung bewertet Peter den Großen völlig anders als ich. Sie sind heute auf die damalige Angliederung Livlands an Russland nicht mehr gut zu sprechen."
"Wir Letten sind sehr sensibel und ängstlich. Immerhin war Lettland mehrmals über Jahrhunderte oder Jahrzehnte besetzt. Wir erinnern uns noch gut an das Jahr 1990, als wir aus der ehemaligen Sowjetunion ausgetreten sind. Damals wussten wir nicht, ob die russischen Panzer unseren Traum von einem freien Land zunichte machen würden. Deshalb haben wir jetzt auch Georgien den Rücken gestärkt. Aber bei uns wurde bis heute kaum einer unserer Freiheitskämpfer mit einem Denkmal gewürdigt. Da ist es natürlich ganz unmöglich, plötzlich Symbole ehemaliger Besatzer aufzustellen."
Der lettische Außenminister Maris Riekstins hat zuletzt im Zusammenhang mit der Krise im Kaukasus deutlich gemacht, dass er den neuen Machtanspruch Russlands nicht akzeptieren wird. Immerhin habe Moskau wiederholt versucht, das unabhängige Lettland zu destabilisieren und seinen Weg in die Europäische Union und in die Nato zu verhindern. Deshalb würden bis heute weder seine Regierung noch der Stadtrat von Riga erlauben, das restaurierte Denkmal von Zar Peter öffentlich aufzustellen.
Trotzdem sei es ihm gelungen, den Reiter einmal heimlich und illegal in einen Park zu bringen, verrät der Unternehmer Jewgenij Gomberg. Stolz zeigt er die Fotos auf seinem Rechner: Peter der Große versteckt unter einem Fallschirm und später umringt von hunderten Schaulustigen. Es war im Jahr 2001. Riga wurde 800 Jahre alt.
"Das Denkmal war soeben restauriert und wir wollten es der Stadt Riga schenken. Sogar der Gouverneur von St. Petersburg wollte zur 800-Jahrfeier nach Riga kommen: Allerdings unter der Bedingung, dass das Denkmal in der Stadt aufgestellt würde. Die Stadt lehnte ab, die Delegationen aus Moskau und St. Petersburg kamen nicht. Und ich stellte den Reiter trotzdem auf. Niemand hinderte uns daran. Letten und Russen kamen. Es blieb ruhig. Bei den russischen Bürgern hatte ich das Gefühl, als sei ihr Selbstbewusstsein für ein paar Tage neu erweckt worden."
In Lettland ist jeder Dritte russischer Herkunft. Wie die Eltern von Jewgenij Gomberg sind die meisten Russen hier im Sozialismus angesiedelt worden. Im Alltag gab die russische Sprache den Ton an. Seit Lettlands Unabhängigkeit haben die Russen alle Privilegien verloren und Lettisch wurde zur Staatssprache erhoben. Wer heute lettischer Staatsbürger werden will, muss eine Prüfung auf Lettisch bestehen. Deshalb sind viele Russen staatenlos. Moskau hat wiederholt versucht, die russische Minderheit gegen die lettische Regierung aufzuhetzen. Ohne Erfolg. Obwohl viele Russen den Kreml unterstützten, sei Lettland ihre Heimat, erklärt Jewgenij Gomberg. Sogar im Streit um das Denkmal habe sich plötzlich Moskau eingemischt.
"Der Stadtrat von Riga wollte Peter den Großen so schnell wie möglich loswerden und bot ihn St. Petersburg zur 300 Jahrfeier an. St. Petersburg hätte das Geschenk gerne angenommen, aber das russische Außenministerium lehnte ab. Also haben wir in Riga eine Kopie anfertigen lassen, die jetzt in St. Petersburg steht. Und unser Peter blieb hier. Umstritten wie eine heiße Kartoffel."
Ein Thema, das auch den Leiter der Denkmalbehörde in Riga beschäftigt. Guntis Gailitis ist in der lettischen Hauptstadt verantwortlich für alle Ehrenmale. Auch er hat den restaurierten Peter aus der Nähe gesehen und kann die Berührungsängste der Politiker mit der eigenen Geschichte nicht verstehen.
"Kaum beginnen wir, über Peter den Großen zu sprechen, weichen alle aus. Die Leute fürchten, er sei ein Machtsymbol. Aber man kann Peter den Großen nicht mit Lenin vergleichen."
Nur 80 Kilometer südlich der lettischen Hauptstadt Riga verläuft die Grenze zur Republik Litauen. Untermalt von russischer Musik aus den sechziger Jahren kann hier jeder im sogenannten "Grutas"-Park jene Lenin- und Stalinfiguren bewundern, die in der einstigen Sowjetrepublik Litauen aufgestellt worden waren. Diana Varnaite betreut im Kulturministerium das kulturelle Erbe Litauens und erklärt, weshalb der Staat die Skulpturen nicht verstecken will.
"Gleich nach der Unabhängigkeit 1991 begannen unsere Leute, die sowjetischen Denkmäler abzubauen. Im Geist des Freiheitskampfes konnte niemand mehr einen steinernen Lenin auf der Strasse ertragen. Trotzdem wollten wir objektiv bleiben. Immerhin war der Sozialismus ein wichtiger Abschnitt in unserer Geschichte. Die Frage ist, wie wir dieses Erbe heute bewerten. Deshalb hat unser Parlament alle Stadtverwaltungen verpflichtet, die Skulpturen zu sammeln und zu schützen."
"Hier sehen Sie Fragmente eines Konzentrationslagers. Denn wir wollten unser Museum einem sibirischen GULAG nachempfinden. Quasi haben wir dadurch jene Leute, die einst soviel Schrecken verbreiteten, jetzt selbst ins Konzentrationslager gesperrt."
Die Museumsführerin wendet sich einem der "Gefangenen" zu. Das ist ein sitzender Lenin, der in der Sowjetrepublik Litauen auf dem Bahnhofsvorplatz eines Kurortes thronte. Auf kleinen Lichtungen mitten im Birkenwald tauchen neben Lenin auch Stalin und litauische Kommunisten auf. Diese Ausstellungsidee habe alle Politiker sofort überzeugt, erklärt Diana Varnaite. Deshalb habe der private Investor die kommunistischen Skulpturen restaurieren und im "Grutas"- Park aufstellen dürfen.
"Aber der Protest jener Leute, die unter dem sowjetischen Regime gelitten hatten, war enorm. Meine Eltern zum Beispiel konnten nicht verstehen, wie man Lenin und Stalin wieder zeigen kann. Deshalb hat sich der "Grutas-Park" vom Zentrum für Völkermord beraten lassen. Neben jeder Skulptur ist jetzt auf Schautafeln zu lesen, welche Funktionen die einzelnen Politiker damals hatten und welche Befehle sie gegeben haben. Heute sind alle froh, dass wir die Denkmäler nicht zerstört haben. Wir wollen sie der jüngeren Generation und unseren Touristen zeigen. Sie sollen verstehen, in welcher Gesellschaft wir damals gelebt haben."
Auch Raimundas Lopata ist froh, dass man in Litauen das sowjetische Kulturerbe nicht vernichtet hat. Möglicherweise, so der Politikwissenschaftler, könne man hier gelassener als in Lettland und Estland mit dem Erbe der UdSSR umgehen, weil in Litauen nicht mal jeder zehnte Einwohner russischer Herkunft sei. Trotzdem nähme das halbe Jahrhundert Sowjetherrschaft noch viel zu viel Raum im Alltag Litauens ein.
"Wir haben ewig über unser sowjetisches Kulturerbe diskutiert. Aber wir waren selbst mal eine Großmacht. Im Mittelalter. Leider identifizieren wir uns nicht damit. Kaum ein Denkmal erinnert daran. Stattdessen hören wir auf dem NATO-Gipfel in Bukarest, wie die Russen von uns Balten verlangen, mehr Respekt zum sowjetischen Erbe in unseren Ländern zu zeigen. Die Russen wollen ihre Rolle als Weltmacht zurückgewinnen. Natürlich hat es ihnen nicht gepasst, dass sich unser Präsident weigerte, in Moskau an der großen 60-Jahrfeier des sowjetischen Sieges im Zweiten Weltkrieg teilzunehmen. Der Umgang mit der Geschichte spielt eine große Rolle in unseren bilateralen Beziehungen. Seit Estland den Bronzesoldaten abgebaut hat, werden alle drei baltischen Länder in Russland als Feinde betrachtet."
Mit Hupkonzerten, Demonstrationen und Straßenschlachten haben die Russen in Estland im vergangenen Jahr gegen die Verlegung des sogenannten Bronzesoldaten protestiert. Der überlebensgroße Soldat aus Bronze ist ein sowjetisches Kriegerdenkmal und stand auf dem Tönismägi - einem kleinen Hügel im Zentrum der estnischen Hauptstadt Tallinn. Leicht gebeugt, wirkte die Figur traurig und erschöpft, über dem Haupt des Soldaten: Hammer und Sichel in Stein gemeißelt. "Platz der Befreiung", so wurde der Tönismägi im Sozialismus genannt. Noch heute kommt es hier zum Streit zwischen russischen und estnischen Passanten.
"Meine Großmutter hat im Krieg gekämpft. Wir Russen haben Estland vom Faschismus befreit. Hätte uns die Regierung jetzt nicht unser Denkmal weggenommen, wären wir nicht so erbost."
"Welche Großmutter hat uns befreit? Ihr Russen habt unser Estland besetzt und meine Großmutter hat unter Euch gelitten. Schrecklich, was uns die Kommunisten angetan haben. Euch will heute jeder integrieren, wir Esten mussten uns damals anpassen, sonst hätte man uns nach Sibirien geschickt oder gleich erschossen."
In der Sowjetrepublik Estland feierte die Kommunistische Partei hier an jedem 9.Mai den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg. Nach Estlands Austritt aus der Sowjetunion war es still geworden um den Tönismägi. Bis zum 9.Mai 2005. 60 Jahre nach Kriegsende hatte der russische Botschafter in Tallinn im Auftrag von Wladimir Putin vor laufenden Kameras einen Kranz am Denkmal des sowjetischen Soldaten niedergelegt. Begleitet von russischen Kriegsveteranen mit sowjetischen Fahnen. Ein Jahr später kam es zu Prügeleien, eine estnische Flagge wurde verbrannt. Diese Bilder wurden nicht nur im Estnischen Fernsehen gezeigt, sondern auch überall in Russland ausgestrahlt, weiß Maarja Löhmus. Die Politologin hat erst kürzlich in einer Untersuchung dokumentiert, dass der Zweite Weltkrieg nicht nur ein Dauerthema der sowjetischen Propaganda war, sondern Russland noch heute dazu diene, seinen Machtanspruch geltend zu machen.
"Der Kreml wollte zeigen, dass die Statue trotz Estlands Unabhängigkeit noch immer zu Russland gehört. Gleichzeitig hat er seine 8.000 Kriegsveteranen und deren Angehörige in Estland mobilisiert. Moskau wollte die baltischen Länder schwächen und dem Rest der Welt beweisen, wie instabil Estland und wie machtvoll das erstarkende Russland ist. Mit der Verlegung des Denkmals haben wir ein Zeichen gesetzt. Estland geht seinen Weg. Sogar die Randalierer vor Gericht haben eingelenkt und wollen einen Konflikt mit dem estnischen Staat vermeiden.”"
Auch der estnische Verteidigungsminister fühlt sich bestätigt. Die Verlegung des Denkmals habe dem Bronzesoldaten seine Symbolkraft genommen, bemerkt Jaak Aarvikso. Zwar habe Moskau noch versucht, mit einem Handelsboykott und Angriffen über das Internet Estland zu schwächen, aber mit einem Exportvolumen von unter zehn Prozent sei die Abhängigkeit vom russischen Markt nicht mehr so groß wie früher.
""Natürlich haben wir keine Beweise, mit denen wir vor Gericht ziehen könnten. Aber es gibt eine deutliche Beziehung dieser Attacken zu politischen Ereignissen, wie der Blockade der Estnischen Botschaft in Moskau. Sie waren bestens koordiniert. Das war die Arbeit von Profis. Denn kein Einzelner kann im selben Moment eine Millionen Computer attackieren - und zwar nur in Estland. Es geht um das moderne Russland und um alte Machtansprüche, die Moskau an sein 'nahes Ausland' hat. An die ehemaligen Sowjetrepubliken. Unser Bronze-Soldat war ein kleines Steinchen in dem Spiel. Wie steht Russland zur EU, wie steht Russland zur NATO? Jetzt liegt der Fokus in Georgien, bei der letzten Wahl lag er in der Ukraine, schauen wir wie es weitergeht.”"
Kaum hatten sich in Estland die Wogen geglättet, wurde in Lettland vor wenigen Wochen wieder heftig gegen Russland demonstriert. Hunderte Letten zogen mit Transparenten und Sprechchören vor die russische Botschaft in Riga und machten sich für die Souveränität Georgiens stark. Dabei hätte Vieles für eine Verbesserung der lettisch-russischen Beziehungen gesprochen, betont der Politikwissenschaftler Atis Lejins. Immerhin hatten beide Länder Ende letzten Jahres den Grenzvertrag ratifiziert, und es wurde laut über ein neues Gaskraftwerk in Lettland nachgedacht. Aber seit Russlands Gegenangriff auf Georgien hätte sogar der reitende Zar Peter der Große in Lettland wieder einmal eine Chance verspielt.
""Peter der Große machte aus uns ein russisches Land. Das Land, das hier regierte, war progressiv. Schweden. Die Schweden gaben den Bauern ihre Rechte zurück. Als Peter der Große Lettland eroberte, gab er alle Privilegien wieder in die Hände der Deutschbalten. Und wir wurden Knechte, in der richtigen Bedeutung des russischen Wortes. Knechte. Verstehen Sie? Wir wurden zweihundert Jahre in unserer Entwicklung zurückgeworfen. Wir versuchen heute gute Beziehungen zu Russland zu haben, aber wir dürfen nie unsere Sicherheitsinteressen aufgeben. Wir wollen kein Satellit Russlands werden. Deshalb wünschen wir uns eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik. Ansonsten ist sogar die EU verloren. Weil sich kein einziges Land, nicht mal Deutschland, gegen Russland behaupten kann."
Jewgenij Gomberg lässt sich nicht beirren. Der russische Unternehmer glaubt fest daran, dass das restaurierte Reiterdenkmal von Zar Peter trotz aller Widerstände eines Tages in Riga offiziell aufgestellt werden wird. Häufig betrachtet er eine alte Postkarte aus dem Jahr 1915. Sie zeigt den bronzenen Reiter auf jenem Podest, das heute das lettische Freiheitsdenkmal trägt.
"Im Jahre 2010 wird das Denkmal auf meinem Parkplatz 100 Jahre. Im Stillen hoffe ich, dass es genau dann offiziell einen Platz in Riga erhalten wird. Ich habe sogar schon einen Artikel geschrieben mit der Überschrift: 'Der nicht aufgestellte Peter der Große ist wie der nicht beigesetzte Lenin. Der Kommunismus lebt, solange Lenin nicht im Grabe ist'. Wenn Peter der Große aufgestellt wird, dann bedeutet das wirklich einen Wendepunkt im Bewusstsein der Letten."
Es muss wohl noch viel Wasser die Düna hinab fließen bis dieser Wendepunkt erreicht wird. Der 90. Jahrestag der Proklamation der Republik Lettland am 18. November wird wieder ein Anlass sein, an die Jahrzehnte der Okkupation Lettlands durch die Sowjetunion zu erinnern. Auch in Estland und Litauen belasten die dunklen Schatten der Vergangenheit bis heute sehr nachhaltig das Verhältnis zu Russland und den Russen. Als die EU-Kommission jetzt beschloss, die auf Eis gelegten Verhandlungen mit Russland über ein neues Rahmenabkommen wieder aufzunehmen, da sprach sich ein Land dagegen aus: die baltische Republik Litauen.
"Am besten gefällt mir seine rechte Hand. Für die Restaurierung habe ich mit meiner Hand Modell gestanden. Das Denkmal hatte ein großes Loch im Bauch, Kiefer und Ohren von Peter fehlten, sogar die Hüfte musste ersetzt werden. Und jetzt steht er hier und wartet auf seine Stunde."
Jewgenij Gomberg ist Russe. Ein stattlicher Mann mit kurz geschorenem grauen Haar. Schon als kleiner Junge habe ihn die Geschichte von dem bronzenen Peter fasziniert. 1910 war das über neun Meter hohe Denkmal des russischen Zaren auf dem Alexander-Boulevard aufgestellt worden. In Riga feierte man den 200. Jahrestag der Zugehörigkeit Livlands zum Russischen Kaiserreich. Zu den Feierlichkeiten kam Zar Nikolaus II. mit seiner Familie an die Düna. Doch schon wenige Jahre später, zu Beginn des Ersten Weltkriegs sollten Pferd und Reiter zum Kanonenbau für die russische Armee eingeschmolzen werden. Aber auf dem Weg nach St. Petersburg wurde das Schiff mit dem Denkmal von einem deutschen U-Boot torpediert - Peter der Große versank in der Ostsee. Später haben estnische Fischer das Monument gehoben und der junge lettische Staat zahlte 1934 viel Geld für den Rückkauf. Trotzdem verschwand das Denkmal in den Arsenalen und wurde niemals aufgestellt.
"Irgendjemand musste sich doch mal um das Denkmal kümmern. Ich hatte das Geld und machte mich auf die Suche. Der Stadtrat gab mir die Erlaubnis. Das war leichtsinnig, wie sich bald herausstellte. Denn plötzlich geriet das Denkmal ins Zentrum politischer Debatten: Die lettische Regierung bewertet Peter den Großen völlig anders als ich. Sie sind heute auf die damalige Angliederung Livlands an Russland nicht mehr gut zu sprechen."
"Wir Letten sind sehr sensibel und ängstlich. Immerhin war Lettland mehrmals über Jahrhunderte oder Jahrzehnte besetzt. Wir erinnern uns noch gut an das Jahr 1990, als wir aus der ehemaligen Sowjetunion ausgetreten sind. Damals wussten wir nicht, ob die russischen Panzer unseren Traum von einem freien Land zunichte machen würden. Deshalb haben wir jetzt auch Georgien den Rücken gestärkt. Aber bei uns wurde bis heute kaum einer unserer Freiheitskämpfer mit einem Denkmal gewürdigt. Da ist es natürlich ganz unmöglich, plötzlich Symbole ehemaliger Besatzer aufzustellen."
Der lettische Außenminister Maris Riekstins hat zuletzt im Zusammenhang mit der Krise im Kaukasus deutlich gemacht, dass er den neuen Machtanspruch Russlands nicht akzeptieren wird. Immerhin habe Moskau wiederholt versucht, das unabhängige Lettland zu destabilisieren und seinen Weg in die Europäische Union und in die Nato zu verhindern. Deshalb würden bis heute weder seine Regierung noch der Stadtrat von Riga erlauben, das restaurierte Denkmal von Zar Peter öffentlich aufzustellen.
Trotzdem sei es ihm gelungen, den Reiter einmal heimlich und illegal in einen Park zu bringen, verrät der Unternehmer Jewgenij Gomberg. Stolz zeigt er die Fotos auf seinem Rechner: Peter der Große versteckt unter einem Fallschirm und später umringt von hunderten Schaulustigen. Es war im Jahr 2001. Riga wurde 800 Jahre alt.
"Das Denkmal war soeben restauriert und wir wollten es der Stadt Riga schenken. Sogar der Gouverneur von St. Petersburg wollte zur 800-Jahrfeier nach Riga kommen: Allerdings unter der Bedingung, dass das Denkmal in der Stadt aufgestellt würde. Die Stadt lehnte ab, die Delegationen aus Moskau und St. Petersburg kamen nicht. Und ich stellte den Reiter trotzdem auf. Niemand hinderte uns daran. Letten und Russen kamen. Es blieb ruhig. Bei den russischen Bürgern hatte ich das Gefühl, als sei ihr Selbstbewusstsein für ein paar Tage neu erweckt worden."
In Lettland ist jeder Dritte russischer Herkunft. Wie die Eltern von Jewgenij Gomberg sind die meisten Russen hier im Sozialismus angesiedelt worden. Im Alltag gab die russische Sprache den Ton an. Seit Lettlands Unabhängigkeit haben die Russen alle Privilegien verloren und Lettisch wurde zur Staatssprache erhoben. Wer heute lettischer Staatsbürger werden will, muss eine Prüfung auf Lettisch bestehen. Deshalb sind viele Russen staatenlos. Moskau hat wiederholt versucht, die russische Minderheit gegen die lettische Regierung aufzuhetzen. Ohne Erfolg. Obwohl viele Russen den Kreml unterstützten, sei Lettland ihre Heimat, erklärt Jewgenij Gomberg. Sogar im Streit um das Denkmal habe sich plötzlich Moskau eingemischt.
"Der Stadtrat von Riga wollte Peter den Großen so schnell wie möglich loswerden und bot ihn St. Petersburg zur 300 Jahrfeier an. St. Petersburg hätte das Geschenk gerne angenommen, aber das russische Außenministerium lehnte ab. Also haben wir in Riga eine Kopie anfertigen lassen, die jetzt in St. Petersburg steht. Und unser Peter blieb hier. Umstritten wie eine heiße Kartoffel."
Ein Thema, das auch den Leiter der Denkmalbehörde in Riga beschäftigt. Guntis Gailitis ist in der lettischen Hauptstadt verantwortlich für alle Ehrenmale. Auch er hat den restaurierten Peter aus der Nähe gesehen und kann die Berührungsängste der Politiker mit der eigenen Geschichte nicht verstehen.
"Kaum beginnen wir, über Peter den Großen zu sprechen, weichen alle aus. Die Leute fürchten, er sei ein Machtsymbol. Aber man kann Peter den Großen nicht mit Lenin vergleichen."
Nur 80 Kilometer südlich der lettischen Hauptstadt Riga verläuft die Grenze zur Republik Litauen. Untermalt von russischer Musik aus den sechziger Jahren kann hier jeder im sogenannten "Grutas"-Park jene Lenin- und Stalinfiguren bewundern, die in der einstigen Sowjetrepublik Litauen aufgestellt worden waren. Diana Varnaite betreut im Kulturministerium das kulturelle Erbe Litauens und erklärt, weshalb der Staat die Skulpturen nicht verstecken will.
"Gleich nach der Unabhängigkeit 1991 begannen unsere Leute, die sowjetischen Denkmäler abzubauen. Im Geist des Freiheitskampfes konnte niemand mehr einen steinernen Lenin auf der Strasse ertragen. Trotzdem wollten wir objektiv bleiben. Immerhin war der Sozialismus ein wichtiger Abschnitt in unserer Geschichte. Die Frage ist, wie wir dieses Erbe heute bewerten. Deshalb hat unser Parlament alle Stadtverwaltungen verpflichtet, die Skulpturen zu sammeln und zu schützen."
"Hier sehen Sie Fragmente eines Konzentrationslagers. Denn wir wollten unser Museum einem sibirischen GULAG nachempfinden. Quasi haben wir dadurch jene Leute, die einst soviel Schrecken verbreiteten, jetzt selbst ins Konzentrationslager gesperrt."
Die Museumsführerin wendet sich einem der "Gefangenen" zu. Das ist ein sitzender Lenin, der in der Sowjetrepublik Litauen auf dem Bahnhofsvorplatz eines Kurortes thronte. Auf kleinen Lichtungen mitten im Birkenwald tauchen neben Lenin auch Stalin und litauische Kommunisten auf. Diese Ausstellungsidee habe alle Politiker sofort überzeugt, erklärt Diana Varnaite. Deshalb habe der private Investor die kommunistischen Skulpturen restaurieren und im "Grutas"- Park aufstellen dürfen.
"Aber der Protest jener Leute, die unter dem sowjetischen Regime gelitten hatten, war enorm. Meine Eltern zum Beispiel konnten nicht verstehen, wie man Lenin und Stalin wieder zeigen kann. Deshalb hat sich der "Grutas-Park" vom Zentrum für Völkermord beraten lassen. Neben jeder Skulptur ist jetzt auf Schautafeln zu lesen, welche Funktionen die einzelnen Politiker damals hatten und welche Befehle sie gegeben haben. Heute sind alle froh, dass wir die Denkmäler nicht zerstört haben. Wir wollen sie der jüngeren Generation und unseren Touristen zeigen. Sie sollen verstehen, in welcher Gesellschaft wir damals gelebt haben."
Auch Raimundas Lopata ist froh, dass man in Litauen das sowjetische Kulturerbe nicht vernichtet hat. Möglicherweise, so der Politikwissenschaftler, könne man hier gelassener als in Lettland und Estland mit dem Erbe der UdSSR umgehen, weil in Litauen nicht mal jeder zehnte Einwohner russischer Herkunft sei. Trotzdem nähme das halbe Jahrhundert Sowjetherrschaft noch viel zu viel Raum im Alltag Litauens ein.
"Wir haben ewig über unser sowjetisches Kulturerbe diskutiert. Aber wir waren selbst mal eine Großmacht. Im Mittelalter. Leider identifizieren wir uns nicht damit. Kaum ein Denkmal erinnert daran. Stattdessen hören wir auf dem NATO-Gipfel in Bukarest, wie die Russen von uns Balten verlangen, mehr Respekt zum sowjetischen Erbe in unseren Ländern zu zeigen. Die Russen wollen ihre Rolle als Weltmacht zurückgewinnen. Natürlich hat es ihnen nicht gepasst, dass sich unser Präsident weigerte, in Moskau an der großen 60-Jahrfeier des sowjetischen Sieges im Zweiten Weltkrieg teilzunehmen. Der Umgang mit der Geschichte spielt eine große Rolle in unseren bilateralen Beziehungen. Seit Estland den Bronzesoldaten abgebaut hat, werden alle drei baltischen Länder in Russland als Feinde betrachtet."
Mit Hupkonzerten, Demonstrationen und Straßenschlachten haben die Russen in Estland im vergangenen Jahr gegen die Verlegung des sogenannten Bronzesoldaten protestiert. Der überlebensgroße Soldat aus Bronze ist ein sowjetisches Kriegerdenkmal und stand auf dem Tönismägi - einem kleinen Hügel im Zentrum der estnischen Hauptstadt Tallinn. Leicht gebeugt, wirkte die Figur traurig und erschöpft, über dem Haupt des Soldaten: Hammer und Sichel in Stein gemeißelt. "Platz der Befreiung", so wurde der Tönismägi im Sozialismus genannt. Noch heute kommt es hier zum Streit zwischen russischen und estnischen Passanten.
"Meine Großmutter hat im Krieg gekämpft. Wir Russen haben Estland vom Faschismus befreit. Hätte uns die Regierung jetzt nicht unser Denkmal weggenommen, wären wir nicht so erbost."
"Welche Großmutter hat uns befreit? Ihr Russen habt unser Estland besetzt und meine Großmutter hat unter Euch gelitten. Schrecklich, was uns die Kommunisten angetan haben. Euch will heute jeder integrieren, wir Esten mussten uns damals anpassen, sonst hätte man uns nach Sibirien geschickt oder gleich erschossen."
In der Sowjetrepublik Estland feierte die Kommunistische Partei hier an jedem 9.Mai den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg. Nach Estlands Austritt aus der Sowjetunion war es still geworden um den Tönismägi. Bis zum 9.Mai 2005. 60 Jahre nach Kriegsende hatte der russische Botschafter in Tallinn im Auftrag von Wladimir Putin vor laufenden Kameras einen Kranz am Denkmal des sowjetischen Soldaten niedergelegt. Begleitet von russischen Kriegsveteranen mit sowjetischen Fahnen. Ein Jahr später kam es zu Prügeleien, eine estnische Flagge wurde verbrannt. Diese Bilder wurden nicht nur im Estnischen Fernsehen gezeigt, sondern auch überall in Russland ausgestrahlt, weiß Maarja Löhmus. Die Politologin hat erst kürzlich in einer Untersuchung dokumentiert, dass der Zweite Weltkrieg nicht nur ein Dauerthema der sowjetischen Propaganda war, sondern Russland noch heute dazu diene, seinen Machtanspruch geltend zu machen.
"Der Kreml wollte zeigen, dass die Statue trotz Estlands Unabhängigkeit noch immer zu Russland gehört. Gleichzeitig hat er seine 8.000 Kriegsveteranen und deren Angehörige in Estland mobilisiert. Moskau wollte die baltischen Länder schwächen und dem Rest der Welt beweisen, wie instabil Estland und wie machtvoll das erstarkende Russland ist. Mit der Verlegung des Denkmals haben wir ein Zeichen gesetzt. Estland geht seinen Weg. Sogar die Randalierer vor Gericht haben eingelenkt und wollen einen Konflikt mit dem estnischen Staat vermeiden.”"
Auch der estnische Verteidigungsminister fühlt sich bestätigt. Die Verlegung des Denkmals habe dem Bronzesoldaten seine Symbolkraft genommen, bemerkt Jaak Aarvikso. Zwar habe Moskau noch versucht, mit einem Handelsboykott und Angriffen über das Internet Estland zu schwächen, aber mit einem Exportvolumen von unter zehn Prozent sei die Abhängigkeit vom russischen Markt nicht mehr so groß wie früher.
""Natürlich haben wir keine Beweise, mit denen wir vor Gericht ziehen könnten. Aber es gibt eine deutliche Beziehung dieser Attacken zu politischen Ereignissen, wie der Blockade der Estnischen Botschaft in Moskau. Sie waren bestens koordiniert. Das war die Arbeit von Profis. Denn kein Einzelner kann im selben Moment eine Millionen Computer attackieren - und zwar nur in Estland. Es geht um das moderne Russland und um alte Machtansprüche, die Moskau an sein 'nahes Ausland' hat. An die ehemaligen Sowjetrepubliken. Unser Bronze-Soldat war ein kleines Steinchen in dem Spiel. Wie steht Russland zur EU, wie steht Russland zur NATO? Jetzt liegt der Fokus in Georgien, bei der letzten Wahl lag er in der Ukraine, schauen wir wie es weitergeht.”"
Kaum hatten sich in Estland die Wogen geglättet, wurde in Lettland vor wenigen Wochen wieder heftig gegen Russland demonstriert. Hunderte Letten zogen mit Transparenten und Sprechchören vor die russische Botschaft in Riga und machten sich für die Souveränität Georgiens stark. Dabei hätte Vieles für eine Verbesserung der lettisch-russischen Beziehungen gesprochen, betont der Politikwissenschaftler Atis Lejins. Immerhin hatten beide Länder Ende letzten Jahres den Grenzvertrag ratifiziert, und es wurde laut über ein neues Gaskraftwerk in Lettland nachgedacht. Aber seit Russlands Gegenangriff auf Georgien hätte sogar der reitende Zar Peter der Große in Lettland wieder einmal eine Chance verspielt.
""Peter der Große machte aus uns ein russisches Land. Das Land, das hier regierte, war progressiv. Schweden. Die Schweden gaben den Bauern ihre Rechte zurück. Als Peter der Große Lettland eroberte, gab er alle Privilegien wieder in die Hände der Deutschbalten. Und wir wurden Knechte, in der richtigen Bedeutung des russischen Wortes. Knechte. Verstehen Sie? Wir wurden zweihundert Jahre in unserer Entwicklung zurückgeworfen. Wir versuchen heute gute Beziehungen zu Russland zu haben, aber wir dürfen nie unsere Sicherheitsinteressen aufgeben. Wir wollen kein Satellit Russlands werden. Deshalb wünschen wir uns eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik. Ansonsten ist sogar die EU verloren. Weil sich kein einziges Land, nicht mal Deutschland, gegen Russland behaupten kann."
Jewgenij Gomberg lässt sich nicht beirren. Der russische Unternehmer glaubt fest daran, dass das restaurierte Reiterdenkmal von Zar Peter trotz aller Widerstände eines Tages in Riga offiziell aufgestellt werden wird. Häufig betrachtet er eine alte Postkarte aus dem Jahr 1915. Sie zeigt den bronzenen Reiter auf jenem Podest, das heute das lettische Freiheitsdenkmal trägt.
"Im Jahre 2010 wird das Denkmal auf meinem Parkplatz 100 Jahre. Im Stillen hoffe ich, dass es genau dann offiziell einen Platz in Riga erhalten wird. Ich habe sogar schon einen Artikel geschrieben mit der Überschrift: 'Der nicht aufgestellte Peter der Große ist wie der nicht beigesetzte Lenin. Der Kommunismus lebt, solange Lenin nicht im Grabe ist'. Wenn Peter der Große aufgestellt wird, dann bedeutet das wirklich einen Wendepunkt im Bewusstsein der Letten."
Es muss wohl noch viel Wasser die Düna hinab fließen bis dieser Wendepunkt erreicht wird. Der 90. Jahrestag der Proklamation der Republik Lettland am 18. November wird wieder ein Anlass sein, an die Jahrzehnte der Okkupation Lettlands durch die Sowjetunion zu erinnern. Auch in Estland und Litauen belasten die dunklen Schatten der Vergangenheit bis heute sehr nachhaltig das Verhältnis zu Russland und den Russen. Als die EU-Kommission jetzt beschloss, die auf Eis gelegten Verhandlungen mit Russland über ein neues Rahmenabkommen wieder aufzunehmen, da sprach sich ein Land dagegen aus: die baltische Republik Litauen.