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Heikle Mission in Libyen
Unterwegs mit dem UN-Sondergesandten Martin Kobler

Geordnete Sicherheitsstrukturen installieren und zwischen den politischen und militärischen Lagern in Libyen vermitteln: für den deutschen UN-Sondergesandten Martin Kobler tägliche Sisyphos-Arbeit. Denn seit dem Sturz Muammar al-Gaddafi 2011 versinkt das Land im Chaos.

Von Björn Blaschke |
    Der UNO-Sondergesandte für Libyen, Martin Kobler.
    Der UNO-Sondergesandte für Libyen, Martin Kobler. (imago / Agencia EFE)
    Flughafen Tunis, sieben Uhr morgens, Martin Kobler trifft in der Abflughalle seine Mitarbeiter. Das Team will zur Arbeit fliegen, nach Libyen. Das Nachbarland Tunesiens droht in Chaos zu versinken, was die Vereinten Nationen zu verhindern versuchen. Und als deren Sondergesandter: der Deutsche, Martin Kobler. Formal ist der eher schmächtige, aber trainierte Mann mit der runden Brille einer der Vertreter des UN-Generalsekretärs. Aber wenn es zu Sicherheitsfragen kommt, muss sich auch Kobler, der für seinen freundlichen, doch nachdrücklichen Eigensinn bekannt ist, fügen: den Anweisungen seiner Personenschützer. Die geben ein Sicherheitsbriefing, noch bevor es an Bord der UN-Maschine geht...
    Flug in eine andere Dimension
    Der Flug Tunis-Tripolis dauert kaum eine Stunde. Doch es ist wie ein Flug in eine andere Dimension: Die Tunesier machten aus dem Aufstand gegen die Autokratie, 2011, einen halbwegs geordneten Neuanfang. Im selben Jahr stürzte auch Diktator Muammar al-Gaddafi. Doch die Libyer kamen aus den Wirren, die dann folgten, nie heraus. Sie versinken zunehmend in Bürgerkrieg und Bandenkriminalität.
    Libyen ist ein Land ohne funktionierende rechtsstaatliche Strukturen. Das muss auch Martin Kobler gleich nach der Landung in Tripolis erleben. Er und sein Team – ein Assistent, ein politischer Berater, ein Fotograf, eine Dolmetscherin und vor allem die fünf Personenschützer – kommen nicht aus dem Gebäude. Zwar gibt es auch am Flughafen Tripolis ziviles Bodenpersonal, aber die Kontrolle über den Airport haben Milizionäre.
    "Wie wir an dieser Situation gerade sehen – wir befinden uns ja gerade am Flughafen von Tripolis - die Sicherheitsbeamten kriegen ihre Waffen nicht ins Land und wir können nicht ohne Sicherheit in der Stadt herumfahren. Und das klemmt am Innenministerium. Das heißt, natürlich gibt es staatliche Institutionen, die aber ineffektiv arbeiten, und auch keine klaren Kommandokette zu den ihnen unterstehenden Organisationen haben."
    Ein Kampf um Macht, Öl und Geld
    Kobler und seine Leute sitzen fest. Der UN-Sondergesandte für Libyen hat Zeit, ein wenig darüber zu sinnieren, woher der Mangel an Rechtsstaatlichkeit seit dem Sturz Gaddafis rührt:
    "Es ist hier ein Kampf um Macht, um Öl und Geld. Die Grundursache ist, dass das Land nie richtig starke Institutionen hatte. Dass sie nie ne starke Armee hatten. Auch nicht unter Gaddafi. Gaddafi hat 42 Jahre lang das Land beherrscht und die Armee parzelliert; er wusste schon, warum er sie fragmentierte; er hat ja selber geputscht.
    Man erzählt sich, dass die Artillerie in der einen Ecke des Landes war und die Munition in der anderen. Das ist das Problem: Es gab weder zivile starke Strukturen noch militärisch starke Strukturen. Bis 2011."
    Als sich die gepanzerten Fahrzeuge des UN-Konvois dann doch endlich in Bewegung setzen, geht es als Erstes zu Fayez al-Sarraj. Er steht dem libyschen Präsidentschaftsrat vor sowie der Regierung. Damit ist er Staatspräsident und Regierungschef in einem. Ein kurzer Fototermin, bei dem Kobler sein freundliches Lachen zeigt, während al-Sarraj etwas verkniffen wirkt; dann müssen Mitreisende Journalisten draußen warten.
    Heikle Gespräche
    Alle Gespräche mit al-Sarraj sind für Kobler heikel. Er versucht zu vermitteln. Zwar sind Präsident al-Sarraj und dessen Regierung von der internationalen Gemeinschaft anerkannt, aber in Libyen steht ihm eine Oppositionsregierung gegenüber. Sie und ihr starker, militärischer Patron, General Khalifa Hafta sitzen im Osten Libyens.
    Aber auch im Westen des Landes und dort innerhalb der Hauptstadt Tripolis haben Präsident al-Sarraj und seine Leute mächtige Gegner. Sodass der Präsidentschaftsrat auf einem Marinestützpunkt arbeitet. Ihm wohlgesonnene Milizionäre schützen ihn dort. Was nötig ist: Nur einen Tag vor dem Treffen Koblers mit dem libyschen Präsidenten entging al-Sarraj knapp einem Anschlag.
    Nach dem Gespräch mit ihm breitet Kobler im Auto sitzend ein buntbedrucktes DÍN A3-Blatt aus. Viele Linien sind darauf zu sehen, einige zieht Kobler mit dem Finger nach ...
    "Das ist ne Karte Verteilung von Milizen hier. Man sieht, dass es so ungefähr 30 wichtige Milizen hier in Tripolis gibt. Bewaffnete Gruppen - mal größer, mal kleiner - und es gibt diejenigen, die den Präsidentschaftsrat unterstützen und da kommen wir gerade aus der Marine-Basis, und das ist das Gebiet unterstützender Brigaden.
    Es gibt aber weiter östlich, wo wir jetzt hinfahren, fahren wir in dieses rote Gebiet, wo die Milzen von Khalifa Gweil sind. Die sich so langsam aber auch ausdehnen und die ne Bedrohung sind für den Präsidentschaftsrat."
    Milizionäre, irreguläre Einheiten, müssen einen Präsidenten, der von der internationalen Gemeinschaft anerkannt ist, schützen?Ja. Eine kleine Falte zwischen den Augenbrauen Koblers zeigt, dass ihm das missfällt. Und deshalb arbeitet der gebürtige Stuttgarter verstärkt am Aufbau einer einheitlichen libyschen Armee – wie er kurz vor seinem nächsten Treffen sagt:
    "Das Drängendste ist der Aufbau einer Sicherheitsstruktur, einer einheitlichen libyschen Armee, in der alle vertreten sind, mit einer klaren Kommando-Kette. Diejenigen bewaffneten Gruppen, die jetzt Tripolis beherrschen, müssen ja demobilisiert werden. Aber wenn man jetzt jemandem sagt: 'Gebt Eure Waffen ab!' Wem sollen sie sie denn geben? Das heißt, diese Struktur aufzubauen, halte ich jetzt für das wirklich Wichtigste."
    Kobler trifft an diesem Tag noch einen Milizen-Chef, der dringend seine Waffen niederlegen will. Kobler besucht ein Lager, in dem illegal eingewanderte Migranten eingesperrt sind, denn die UN arbeiten daran, diese Menschen wieder in ihre Heimatländer zurückzubringen. Und Kobler würde am liebsten noch mehr machen. Aber dazu reicht die Zeit nicht. Aus Sicherheitsgründen verlässt er Tripolis vor Einbruch der Dunkelheit wieder Richtung Tunis.
    Ständig auf Reisen
    Am nächsten Tag muss er nach New York, wie jeden Monat dem UN-Sicherheitsrat Bericht erstatten. Oder hatte er doch einen Termin mit einem der Außenminister der Nachbarländer Libyens? Kobler ist ständig auf Reisen, um für Libyen und die Libyer zu vermitteln. Und wie bekommt der Mensch, der in jedem Top-Diplomaten steckt, seinen Ausgleich? Kobler, Jahrgang 1953, setzt auf Fitness, joggt jeden zweiten Tag ...
    "Naja, es ist ganz wichtig, dass man bei dieser Shuttle-Diplomatie, dass man sich ne persönliche Balance bewahrt. Ich habe zum Beispiel eine Enkelin bekommen im letzten Dezember, und das gibt dann schon wieder Auftrieb, dass es auch anderes gibt als Nation Building in Libyen."