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Arbeitsminister zu Bürgergeld
Heil (SPD): Bedürftige Menschen nicht gegen Geringverdiener ausspielen

Das geplante Bürgergeld werde es auch Langzeitarbeitslosen ermöglichen, Brücken in die Arbeitswelt zu schlagen, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Dlf. Man schaffe zum Beispiel Anreize, eine Ausbildung nachzuholen und so dauerhaft in Arbeit zu kommen.

Hubertus Heil im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, Mitte Mai 2022 im Deutschen Bundestag
Bundesarbeitsminister Heil bestreitet, dass das geplante Bürgergeld Erwerbslosen weniger Anlass gibt, eine bezahlte Tätigkeit aufzunehmen. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Die Einführung des Bürgergeldes zum 1. Januar 2023 ist eines der wichtigsten Projekte der Ampelkoalition. Mit dem neuen Bürgergeld sollen drastische Sanktionen für versäumte Termine oder abgelehnte Arbeitsstellen weitgehend entfallen. Die Regelsätze werden erhöht: 502 Euro soll dieser beispielsweise für alleinstehende Erwachsene betragen - statt wie derzeit 449 Euro.
Unter anderem aus Arbeitgeberkreisen und der CDU gibt es Kritik: Mit dem Bürgergeld werde das Prinzip des Forderns und Förderns eingeschränkt. Diese weist Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) entschieden zurück: Es mache immer noch einen Unterschied in der Leistung, ob man Bürgergeld beziehe oder arbeiten gehe, sagte er im Deutschlandfunk.
Der Minister warnte davor, Geringverdiener gegen Bedürftige auszuspielen. Zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen hätten keinen Berufsabschluss. Das neue Bürgergeld setze deshalb auf mehr Qualifizierung. Man schaffe auch Anreize, eine Ausbildung nachzuholen und so dauerhaft in Arbeit zu kommen. 

Das Interview in voller Länge

Armbrüster: Herr Heil, lohnt sich Arbeit noch?
Heil: Ja, Arbeit muss sich lohnen. Deshalb haben wir den Mindestlohn erhöht auf zwölf Euro jetzt zum 1. Oktober. Wir haben dafür gesorgt, dass für Menschen mit geringem Einkommen die Beiträge gesenkt werden, ohne dass sie sich beim sozialen Schutz verschlechtern. Und wir haben für Geringverdiener auch das Wohngeld.
Ich lehne es grundsätzlich ab, dass wir in dieser Debatte, wie eben von Arbeitgeberfunktionären getan - und manchmal auch aus der CDU - in dieser Situation bedürftige Menschen gegen Geringverdiener ausspielen. Wir müssen dafür sorgen, dass Arbeit sich lohnt, aber wir müssen die gesamte Gesellschaft im Blick haben, auch diejenigen, die von Armut bedroht sind, und deshalb ist diese Reform des Bürgergeldes ein wichtiger Schritt.
Armbrüster: Aber wir sollten vielleicht auch die Zahlen kurz im Blick behalten. 502 Euro Regelsatz, dazu Miete, Nebenkosten, auch die Heizkosten werden übernommen. Das wären ja in einigen Berufen sehr attraktive Konditionen.
Heil: Das ist richtig, aber das ist auch ein Verfassungsgebot in Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht sagt, unser Sozialstaat muss ein Existenzminimum verlässlich absichern. Das tun wir mit diesem Schritt, weil die Erhöhung des Regelsatzes auch angemessen ist, weil es darum geht, dass die bisherige Methode auch der Inflation, die gerade sehr hoch ist, hinterherhinkt.

 Aus Hartz IV soll ein Bürgergeld werden

Aber mir ist wichtiger, dass wir Menschen aus der Situation rausbringen. Mein Ziel ist es nicht, Menschen in Bedürftigkeit zu verwalten, sondern Brücken in den Arbeitsmarkt zu bauen, und genau das tun wir. Um es mal in Fakten zu sagen: Zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen in Deutschland haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Im alten Hartz-IV-System ist es dann oft so, dass man die mal kurzfristig in Hilfsjobs bekommt. Das Jobcenter sieht sie nach ein paar Monaten wieder.
Jetzt sagen wir, wir schaffen auch die Möglichkeit, auch Anreize, tatsächlich einen Berufsabschluss nachzuholen, sich zu qualifizieren und damit dauerhaft in Zeiten des Fachkräftemangels in Arbeit zu kommen. Das ist meine Vorstellung eines Sozialstaats, der unbürokratischer und verlässlicher Menschen in Not absichert, aber der vor allen Dingen Brücken aus der Bedürftigkeit baut.
Armbrüster: Es gibt jetzt sicher Leute, die sehen das auch sehr positiv und sagen, gut, das ist jetzt der Einstieg in das bedingungslose Grundeinkommen.
Heil: Das ist Quatsch, denn es geht mit dem neuen Bürgergeld um eine verlässliche Absicherung, eine neue verlässliche Grundsicherung und Wege in den Arbeitsmarkt. Ich bin als Arbeits- und Sozialminister der festen Überzeugung, dass für die meisten Menschen Arbeit mehr ist als Broterwerb. Arbeit ist für viele Menschen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Ich habe ja eben beschrieben: Mein Ziel ist es, Menschen rauszuholen durch Chancen auf Qualifizierung, durch Nachholen eines Berufsabschlusses beispielsweise, und ich bin auch froh, dass wir für die Langzeitarbeitslosen, die ganz, ganz, ganz lange draußen sind – ich habe einen Mann kennengelernt, der hat erst nach 22 Jahren Arbeit gefunden, weil wir den sozialen Arbeitsmarkt geschaffen haben -, dass wir mit diesem Bürgergeld die Chance schaffen, auch diesen langzeitarbeitslosen Menschen sinnvolle Beschäftigung, sozialversicherungspflichtige Arbeit zu geben.
Der Mann, von dem ich eben gesprochen habe, der hat seine Ausbildung geschmissen, weil er psychische Probleme hatte, weil die Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Der hat nicht mehr Tritt gefasst, der hat auf der Straße gelebt und der hat jetzt Arbeit als Hausmeister in einer Grundschule. Für den ist Arbeit mehr als Broterwerb. Es ist, Kolleginnen und Kollegen zu haben, etwas zu leisten, und deshalb bin ich der festen Überzeugung, unsere Gesellschaft darf kein gebrochenes Verhältnis zur Arbeit bekommen.

Heil: Staat muss Existenzminimum garantieren

Armbrüster: Was sagen Sie dann den vielen Menschen, die sagen, das ist durchaus ein attraktives Angebot, dieses Bürgergeld, vor allen Dingen mit den Leistungen, die noch dazufließen, ich würde mich dann aus dem Arbeitsleben lieber verabschieden?
Heil: Nein, das ist nicht unser Ziel, denn Tatsache ist, der Staat muss Menschen – und wir haben das in der Pandemie ja erlebt und erleben das auch gerade in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten -, die sich nicht selbst helfen können, verlässlich absichern und sie nicht hängen lassen, ein Existenzminimum garantieren. Aber unser Ziel bleibt es, Menschen aus dieser Situation rauszuführen, und mit dem neuen System schaffen wir das besser. Es wird unbürokratischer. Wir haben das ja nicht aus irgendwelchen Parteitagen entwickelt, sondern im Dialog mit Praktikern aus den Jobcentern, mit Erkenntnissen aus der Wissenschaft. Das geht um einen Sozialstaat auf der Höhe der Zeit, der nicht den Blick in die Vergangenheit richtet, sondern nach vorne geht.
Wenn ich übrigens eine Anfügung machen darf? – Im Vorbericht war eine Sache nicht ganz korrekt. Das Thema Mitwirkungspflichten, das bleibt, aber das konzentrieren wir auf das, wo es notwendig ist. Ich sage es mal deutlich: Leute, die chronisch keine Termine wahrnehmen, die haben auch mit Rechtsfolgen im neuen System zu rechnen. Aber der Geist des neuen Systems ist nicht der von Misstrauen, sondern von Ermutigung, von Befähigung und Menschen, wo immer es geht, zu helfen und zu einem selbstbestimmten Leben in Arbeit zu befähigen.

Zusammenhalt in der Gesellschaft durch Bürgergeld stärken

Armbrüster: Was sagen Sie dann, Herr Heil, Arbeitgebern, die an dieser Stelle sagen, dieses Bürgergeld ist eine sehr große Konkurrenz und ich kann da mit meinen Gehältern nicht mithalten? Möglicherweise werden sich einige von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verabschieden.
Heil: Nein, denn Tatsache ist, es macht immer noch einen Unterschied, auch in der Leistung. Ich habe ja vorhin gesagt, wir müssen sehen, dass wir die unteren Löhne erhöhen - das tun wir auch mit der Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Oktober – und auch mit der Entlastung von Geringverdienern bei Beiträgen, mit Hilfe auch des Wohngeldes. Das macht auch einen Unterschied.
Aber ich lehne es ab, dass wir Geringverdiener gegen Bedürftige ausspielen. Wir müssen in solchen Zeiten unsere Gesellschaft zusammenhalten. Wir machen das mit Entlastungspaketen bis in die Mitte der Gesellschaft. Wir haben auch gestern auf dem Arbeitgebertag gehört, dass die Wirtschaft vom Staat Unterstützung braucht in diesen Zeiten. Das ist auch in Ordnung. Wir werden ja heute die Kurzarbeitsregeln beispielsweise verlängern, um Betrieben und Unternehmen zu helfen, Menschen in Arbeit zu halten. Aber wir müssen uns auch um die kümmern, denen es jetzt gerade besonders schwer geht, die keine Rücklagen haben, und das sind Menschen im alten Hartz-IV-System, denen wir mit dem neuen Bürgergeld besser helfen, sie verlässlich absichern und ihnen neue Chancen schaffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.