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Heilendes Schlangengift

Pharmakologie. - In den 60er Jahren hatte ein Arzt in Malaysia beobachtet, dass das Blut von Menschen, die von der malaiischen Grubenotter gebissen wurden, äußert schlecht gerann. In den 80er Jahren versuchte man, dieses Phänomen für die Schlaganfall-Therapie zu nutzen. Doch die klinischen Studien brachten kein eindeutiges Ergebnis. Nun nimmt ein Pharmaunternehmen aus Schleswig-Holstein einen neuen Anlauf und hat dazu eigens eine Schlangenzucht aufgemacht, in der sie die Grubenotter hegt und pflegt.

Von Frank Grotelüschen | 19.07.2007
    "Wir füttern die Schlangen mit Mäusen. Alle 21 Tage bekommen die Tiere jeweils eine Maus. Lebend."

    Rolf Kreutz ist Herr über mehr als 200 Giftschlangen. Er leitet die Schlangenfarm von Nordmark, einem Pharmaunternehmen in Uetersen bei Hamburg. Seine Zöglinge sind malaiischen Grubenottern: 50 bis 70 Zentimeter lang, schwarz-braun gemustert. In der Schlangenfarm liegen sie friedlich und träge in ihren Plastikboxen. Doch zu nahe kommen sollte man ihnen nicht. Ein Biss hätte unangenehme Folgen. Kreutz:

    "Das ist ein Hämotoxin, was die Schlange uns verabreichen würde. Das bedeutet, dass in erster Linie Gewebe zerstört wird. Es werden Blutgefäße zerstört, dass es zu Verstümmelungen oder Verkrüppelungen von Gliedmaßen kommen kann. Wer gebissen wird, wird nachhaltige Probleme haben."

    Aber: Dieses Gift hat auch heilende Wirkung, glaubt man bei Nordmark: Und zwar als medizinische Sofortmaßnahme bei der häufigsten Art von Hirnschlag, dem ischämischen Schlaganfall. Er wird durch ein Blutgerinnsel hervorgerufen, das Teile des Gehirns von der Blutzufuhr abschneidet; die Hirnzellen in diesem Bereich sterben ab. Genau dem soll Ancrod entgegenwirken – so heißt der Wirkstoff aus dem Schlangengift. Ancrod macht vereinfacht gesagt das Blut dünnflüssiger, erklärt Manfred Kurfürst, bei Nordmark verantwortlich für die Produktion biologischer Wirkstoffe.

    "Ein Blutgerinnsel kann dann aufgelöst werden. Das Blut, das sirupartig wird nach einem Gehirnschlag, wird dann wieder dünnflüssig und kann Bereiche umspülen, die vorher nicht mehr zugänglich sind."

    Die Hoffnung: Wird der Wirkstoff innerhalb von sechs Stunden nach dem Hirnschlag verabreicht, dämmt er dessen Auswirkungen – irreversible Schäden im Gehirn – spürbar ein. Bereits in den 80er Jahren hatte man Ancrod in klinischen Studien untersucht. Das Ergebnis jedoch war unklar. Kurfürst:

    "Es gab zwei Studien, eine in den USA, eine in Europa. Die Studie in USA war erfolgreich. In Europa war diese Studie nicht eindeutig. Die Wirksamkeit konnte hier nicht statistisch belegt werden."

    Die Folge: Das Präparat erhielt keine Zulassung. Dennoch glaubt man in Uetersen an das Medikament – mit der Begründung, die europäische Studie habe damals Hochrisikopatienten mit eingeschlossen, und die hätten das Ergebnis verfälscht. Also hat Nordmark nun mit Partnern in den USA einen neuen Anlauf gestartet: eine weltweite Studie mit mehr als 1700 Patienten. Den Wirkstoff produziert Nordmark in Uetersen – und hat dazu eine nagelneue Schlangenfarm auf das Firmengelände gesetzt. Zurzeit leben hier 118 erwachsene Grubenottern, importiert aus Malaysia. Sie sind genügsam, sagt Kreutz. Als Lebensraum genügt ihnen eine Plastikbox, kaum größer als ein Schuhkarton. Außerdem brauchen sie 28 Grad Wärme, knapp 80 Prozent Luftfeuchte – und viel, viel Ruhe. Kreutz:

    "Das Ziel ist, den Bestand auf 1200 bis 1500 Tieren auszubauen. Das heißt, wir müssen innerhalb der nächsten Jahre in der Lage sein, durch Nachzucht der Tiere, die wir hier haben, auf diesen gewünschten Bestand zu kommen."

    Rund 100 Jungtiere sind bereits geschlüpft, sagt Kreutz. Die Weibchen bekommen vor der Paarung eine Maus. Wären sie ausgehungert, würden sie sich nach vollzogenem Akt womöglich über das Männchen hermachen – das nämlich ist ein ganzes Stück kleiner und steht deshalb durchaus auf des Weibchens Speiseplan. Alle drei Wochen werden die Schlangen gemolken. Dazu müssen die Schlangenpfleger mit den Fingern die Giftdrüsen zwischen Augen und Nasenloch massieren. Ein heikler Augenblick, denn, so Kreutz:

    "Wir haben es hier nicht mit einem kalkulierbaren Risiko zu tun, sondern mit einem unkalkulierbaren Tier, was vielleicht 90 Mal das Gleiche macht und beim 91. Mal sagt: Jetzt reagiere ich anders! Und zwar unerwartet."

    Passiert ist zum Glück noch nichts, sagt Rolf Kreutz. Im nächsten Jahr dann sollen die klinischen Studien abgeschlossen sein. Und für 2009 hofft Nordmark dann auf die Zulassung des Präparats, zunächst für die USA.