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Heilige Nacht
Zu Fuß von Jerusalem nach Bethlehem

An Heiligabend ziehen jedes Jahr die Benediktiner-Mönche von der Dormitio Abtei in Jerusalem bis in die Geburtskirche nach Bethlehem - zu Fuß. Begleitet werden sie dabei von ausländischen Besuchern. Außerdem mit dabei: 50.000 Namen von Menschen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Kroatien, die in dieser Nacht nicht mit nach Bethlehem ziehen können.

Von Torsten Teichmann, Tel Aviv | 25.12.2014
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    Die Dormitio Kirche in Jerusalem. (imago)
    Der Bäcker in der Krippenstraße startet seinen weißen Peugeot 205. Es ist früh am Morgen und noch dunkel in Bethlehem. Der Motor übertönt eine Gruppe von gut 100 Pilgern und Gästen. Sie stehen neben der Bäckerei. Sie sind die Nacht hindurch von Jerusalem nach Bethlehem gewandert - mit Pater Nikodemus von der Dormitio Abtei. Ihr Ziel: die Geburtskirche in Bethlehem.
    "Es sind nur noch ein paar Meter", sagt Nikodemus, "wir sind also schon in der Altstadt. Ab jetzt also meine Einladung, meine Bitte, diese letzten Meter wirklich in Stille zu gehen. Die Chance zu nutzen, seinen Gedanken freien Raum zu lassen, auch wenn die Gespräche bisher sicher gut waren." Zu Fuß nach Bethlehem in der Heiligen Nacht - für die Benediktiner-Mönche der Dormitio hat das Tradition. Der Weg beginnt um Mitternacht in Jerusalem auf dem Zionsberg.
    Die Glocken der Abtei läuten zur Vigil: liturgische Text, Gebete, viel Gesang. Keine klassische Messe. Ein Zugeständnis an die Gäste, die um Mitternacht in die Dormitio kommen. Es sind überwiegend junge, jüdische Israelis aus Jerusalem und Tel Aviv. "Also wir haben natürlich hier nicht das Phänomen eines klassischen interreligiösen Dialogs, dass jetzt hier Rabbiner sitzen, die mit uns Weihnachten feiern, sondern eher ein liberales Publikum, was auch in den Nachrichten mitbekommt: Die ganze Welt feiert Weihnachten, wie ist denn das jetzt so", erklärt Pater Nikodemus.
    "Juden, Muslime, Christen und Drusen sollen in Gleichheit und Respekt zusammenleben"
    Zehn Kilometer entfernt, in der Geburtskirche in Bethlehem, verlangt der lateinische Patriarch Fouad Twal zu dem Zeitpunkt, dass Juden, Muslime, Christen und Drusen in Gleichheit und Respekt zusammenleben. In der ersten Reihe sitzt der Palästinensische Präsident Machmud Abbas: "Wir hoffen mit Gottes Hilfe, dass das Weihnachtsfest im kommenden Jahr in Frieden und Ruhe gefeiert werden kann, dass wir Rassismus und Gewalt überwinden."
    Grenzen überwinden, das ist auch liberal eingestellten Israelis in dieser Nacht kaum möglich. Und so sind es die ausländischen Besucher, die gegen viertel vor drei nach einem Gebet von der Dormitio aus in Richtung Bethlehem laufen. Pater Nikodemus trägt dabei eine graue Umhängetasche. Darin ist eine große Papier-Rolle, eine Liste mit Namen. Namen von Menschen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Kroatien, die in dieser Nacht nicht mit nach Bethlehem ziehen können: "Wer möchte, schickt einfach uns seinen Namen. Wir schreiben ihn auf die Rolle, legen diese Rolle wirklich nieder - in die Krippe, auf den Geburtsstern. Das ist jetzt so angewachsen, dass wir in diesem Jahr zum ersten Mal über 50.000 Namen haben."
    Am Checkpoint 300 begegnen die Pilger palästinensischen Arbeitern, die in umgekehrter Richtung Bethlehem verlassen, um in Israel zu arbeiten. Es ist 4.00 Uhr. Durch Drehkreuze und ein Metalltor im israelischen Sperrwall, der an der Stelle eine Betonmauer ist, erreicht die Gruppe Bethlehem. Kurz vor der Altstadt bleiben alle noch einmal stehen. Ein Bibelzitat und ein Gedanke. "Im eben gehörten Text des Propheten Michael heißt es nicht, es wird Frieden sein, sondern er wird der Friede sein. Der Friede, den wir in der Hingabe finden, ist Gott selbst, ist das kleine Kind, das in uns Mensch wird." Dann ist Schweigen. Stille Nacht, heilige Nacht. Es ist 5.00 Uhr früh.