Das Podium widmete sich der zentralen Frage, vor der Glaube in Schriftreligionen heute steht: wie umgehen mit Texten, die heilig und ewig sein sollen, aber heute Befremden auslösen? Mit Mouhanad Khorchide sprach für den Islam ein Theologe, der für Arbeit am Text steht, die Heiligkeit nicht aufhebt, aber doch zeitgeschichtliche Spuren erkennbar macht.
Das ist auch unter Muslimen nicht immer mehrheitsfähig – noch nicht, wie Khorchide betonte –, aber es verbindet ihn mit den christlichen Theologinnen und Theologen auf dem Podium.
Der katholische Kirchenhistoriker Hubert Wolf fasste die Gemeinsamkeit so zusammen:
"Es ist super, dass es muslimische Theologie – und nicht Religionswissenschaft – mit den anderen Theologien gemeinsam gibt, denn wir lernen ungeheuer viel voneinander über den Übergang mit der heiligen Schrift, die Gottes Wort ist – aber eben in Menschenwort. Wie sollten wir es denn sonst verstehen?"
Khorchide erzählte, wie sich sein Bild von Jesus durch Textarbeit am Koran in letzten Jahren verändert hat – der Koran kritisiere nämlich gar nicht den Glauben an Jesus als Sohn Gottes, sondern nur ganz konkret den Gedanken einer biologischen Zeugung.
Der Hinweis auf den historischen Kontext sollte jedoch nicht dazu dienen, problematische Stellen in den Heiligen Schriften zu entschärfen. Mit auf Podium saß Christl Maier, Expertin fürs Alte Testament und Mitglied des Kirchentagspräsidiums. Vor allem ihr hat dieser Kirchentag das griffige alttestamentliche Losung "Was für ein Vertrauen" zu verdanken. Sie hat für die Bibelarbeiten in Dortmund bewusst Texte ausgesucht, die knifflig und kompliziert sind. Denn, sagt Maier, Bibeltexte seien nicht dafür da, ein schönes Gefühl zu vermittlen.
Deswegen sei der richtige Ablauf nicht, erst historisch-kritisch Hintergrund aufdröseln, dann trotzdem alles wortwörtlich als Gottes Wort für heute umsetzen. Man müsse auch noch begründet entscheiden, ob dieser Text eine Leitlinie fürs Leben heute sein könne, sagt Christl Maier:
Wir können heute viele Gesetzestexte, die im AT stehen, einfach nicht mehr so nehmen, wie sie dastehen, und auch nicht so, wie sie mal gemeint waren. Weil wir eine völlig andere Gesellschaft haben. Da kann ich zehnmal sagen: Das ist Gottes Wort in Menschenwort, da sage ich trotzdem: Das ist nicht Leitlinie dieses Textes.
Aber, wandete da Mouhanad Khorchide ein, damit sei doch Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet:
Brauchen wir nicht Kriterien, die vom Text ausgehend fixiert sind, damit es nicht heißt, unsere Lebenswirklichkeit interpretiert immer den Text, weil damit legitimieren wir, dass auch ein Fundamentalist auch sagt: Ich lese entsprechend meinen Strukturen dieses und jenes in den Text hinein, was verwenden Sie als Kriterien?
Das Publikum teilte diese Bedenken: Historisches Verständnis der Texte ja, aber Gott sollte schon noch zu hören sein, war die Forderung. Das könnten Christen gemeinsam mit Muslimen tun. Mouhanad Khorchide beschrieb das wechselseitige Lernen so:
Da haben die Kollegen mir gesagt: Ihr Muslime erinnert uns daran, dass wir wieder die Bibel ernster nehmen sollten als auch Gottes Wort. Und ich habe ihnen gesagt: Sie erinnern uns Muslime, dass es auch in Menschenwort ist, weil wir großteils vergessen haben, dass das Unbedingte nur in bedingten Kategorien offenbaren kann.