Für den Präsidenten von Madagaskar ist es ganz klar: "Covid-Organics" ist die Lösung der COVID-Krise, Afrikas Geschenk an die Welt. Die Kritik von der Weltgesundheitsorganisation, aber auch von Ärzten im eigenen Land verunsichert ihn nicht. Im französischen Fernsehen stellt Andry Rajoeling eine rhetorische Frage:
"Wenn nicht Madagaskar, sondern ein europäisches Land 'Covid-Organics' entdeckt hätte, gäbe es dann auch so viele Zweifel? Ich glaube nicht."
Auf Madagaskar als Heilmittel für viele Beschwerden populär
Auf Madagaskar wachsen zehn Prozent der Weltproduktion der chinesischen Heilpflanze Artemisia annua. Aus ihr wird der wichtige Malariawirkstoff Artemisinin gewonnen. Aber Artemisia-Tees sind auf der Insel als Heilmittel für viele Beschwerden populär, nicht nur gegen Malariafieberanfälle und grippeähnliche Infekte.
"Bei COVID-19 gibt es auch Fieber und Grippe-Symptomen, es lag also nahe zu gucken, ob es hilft", sagt Nceba Gqaleni, der an der Universität KwaZulu-Natal in Südafrika traditionelle Heilmittel untersucht.
"Ich habe in den Medien gehört, dass es Patienten besser gehen soll, aber es gab keine Belege. Ich kann also nicht beurteilen, ob es stimmt oder nicht."
Madagaskar liefert nur Behauptungen, keine Daten, bedauert auch Frank van der Kooy. Der Pharmakologe von der südafrikanischen Nord-Western Universität, würde "Covid-Organics" gerne selbst untersuchen.
"Ich würde dem liebend gern nachgehen, aber zuerst muss ich wissen, was wirklich drin ist und ob es funktioniert oder nicht. Ein Mittel, über das nichts bekannt ist, jetzt aber überall in Afrika zu verkaufen, das halte ich für falsch. Das hilft der afrikanischen Wissenschaft nicht."
Zumal Artemisia annua ja eine Pflanze aus China ist. In Afrika wächst eine andere Beifuß Variante, Artemisia afra, die bei traditionellen Heilern und der Bevölkerung gleichermaßen beliebt ist.
"Wenn ich mit Afra ins Labor komme, erkennen selbst die Reinigungskräfte die Pflanze. Sie bauen sie zuhause an und wenn sie im Winter eine Erkältung oder eine Grippe bekommen, trinken sie den Tee. Es ist eine bekannte Heilpflanze."
Preise haben sich verzehnfacht
Seit die Menschen Angst vor COVID-19 haben, haben sich die Preise verzehnfacht. Schon vor Jahren hat Frank van der Kooy herausgefunden, dass Artemisia afra kein Artemisinin enthält. Ihr Effekt beruht wohl auf anderen Inhaltsstoffen. Tatsächlich wirken Tees aus Artemisia afra genauso gut wie Artemisia annua-Tees gegen Malaria. Das hat 2019 eine Studie aus dem Kongo mit tausend Teilnehmern gezeigt.
"Sie behaupten sogar, dass die Tees viel wirksamer sind als moderne Kombinationspräparate, die gereinigtes Artemisinin enthalten. Es gab auch Kritik, deshalb sollte die Studie von unabhängiger Seite bestätigt werden. Aber sie haben es an 1.000 Patienten erprobt und die Ergebnisse sehen gut aus, besser als bei den modernen Medikamenten. Das ist sehr interessant."
Malaria wird von einem Parasiten verursacht, COVID-19 von einem Virus. Aber es ist bekannt, dass Artemisinin auch eine gewisse antivirale Aktivität hat.
"Artemisia ist eine vielversprechende Heilpflanze. Ich will Versuche mit beiden Arten machen. Das ist für heute mein Plan, nun da ich zurück im Labor bin."
Überzeugende Laborexperimente
Denn für Frank van der Kooy ist der Lockdown zu Ende. Der Chemiker Peter Seeberger vom Potsdamer Max-Planck-Institut für Kolloidforschung ist schon weiter. Vor Jahren gelang es ihm, Artemisinin schnell und effektiv zu synthetisieren. Im März hat er die Proben wieder hervorgeholt.
"Als COVID-19 kam, haben wir uns natürlich überlegt, was haben wir in unserem Arsenal. Was wir gesehen haben ist, dass es eine moderate Aktivität gegen das Virus hat und dass wahrscheinlich ein zweiter wichtiger Mechanismus im Organismus ist und das ist eine Immunomodulation, die für den Menschen nützlich sein könnte."
Denn viele COVID-Patienten kämpfen mit einer gefährlich überschießenden Immunreaktion. Tatsächlich sind die Laborexperimente so überzeugend, dass Peter Seeberger in den USA Partner für eine klinische Studie beim Menschen gefunden hat. Die wird schon bald beginnen. Aus den Erfahrungen mit Artemisinin als Malariamedikament ist bekannt, dass die Substanz sehr gut vertragen wird, und lieferbar ist sie auch.
"Die Tabletten werden, glaube ich, heute bestellt, es dauert dann vier Wochen bis sie geliefert werden und wir gehen davon aus, dass es innerhalb von vier bis fünf Wochen beginnt, im Menschen. Es sieht so aus, dass auch Tees eingesetzt werden. Dann könnten wir damit schon früher beginnen. Denn die Tees sind bereits verfügbar.
Studien mit mehreren afrikanischen Heilpflanzen
In vielen Ländern Afrikas werden sie schon heute gegen COVID-19 getrunken. Aber sie sind eben noch nicht untersucht. Und das könnte dann eben doch etwas damit zu tun haben, dass diese Idee, Artemisia gegen Covid-19 einzusetzen, in Afrika populär geworden ist, meint Nceba Gqaleni. Ein anders Malariamedikament wurde schon nach den ersten Hinweisen auf eine antivirale Wirksamkeit in Studien erprobt.
"Es hängt auch davon ab, wie tief die Taschen sind. Präsident Trump fördert in Amerika die Forschung an Hydroxycholorquin mit sehr viel Geld. Bei Artemisia afra gibt es nicht so viel Geld, um die Forschung anzutreiben."
Nceba Gqaleni hat Studien mit mehreren afrikanischen Heilpflanzen begonnen. Frank van der Kooy will sowohl Artemisia annua- wie Artemisia afra-Tees untersuchen. Weil es kaum Mittel an seiner Universität gibt, hat er dafür eine Crowdfunding Kampagne ins Leben gerufen. Madagaskar plant nun offenbar Studien mit internationalen Partnern. Und Peter Seeberger hofft, bald Daten zur Reinsubstanz Artemisinin vorlegen zu können. Es wird also bald klar sein, wir wirksam die verschiedenen Beifuß-Varianten bei COVID-19 tatsächlich sind.
"Ich denke, die Idee das einzusetzen, ist eine gute Idee. Dass die aus Afrika kommt, ist auch toll. Wir hatten die gleiche Idee zur gleichen Zeit, vielleicht auch etwas früher. Ist auch egal. Also, ich hoffe, dass der Präsident von Madagaskar recht hat. Und dann, wenn's getestet ist, dann glaube ich das auch. Bis zu dem Zeitpunkt möchte ich noch warten, bis ich mir ein endgültiges Urteil erlaube."