Archiv

Investigative Einblicke in die AfD
Heimliche Herrscher, stille Geldgeber

Seit sieben Jahren beobachten die Investigativjournalisten Katja Riedel und Sebastian Pittelkow das Innenleben der AfD: Sie durchkämmten interne Dokumente, deckten Skandale auf. Ihr Buch „Rechts unten“ ist ein tiefer Einblick in die Partei.

Von Nadine Lindner | 19.12.2022
Bundestagsabgeordnete der AfD 2021 im Plenarsaal Deutscher Bundestag in Berlin und das Buchcover zu: Sebastian Pittelkow, Katrin Riedel: „Rechts unten. Die AfD: Intrigen, heimliche Herrscher und die Macht der Geldgeber“
Geld. Macht. Streit: Hinter den verschlossenen Türen der AfD – eine Langzeit-Recherche von Sebastian Pittelkow und Katrin Riedel (Foto Hintergrund: IMAGO / IPON, Buchcover: Rowohlt Verlag)
Wer regelmäßig journalistisch zur AfD arbeitet, der kennt ihre Gesichter. Ob Parteitage in Magdeburg oder Riesa, die Verhandlung vorm Verwaltungsgericht in Köln oder andere AfD-Termine: Die beiden Investigativjournalisten Katja Riedel und Sebastian Pittelkow sind vor Ort. Sie arbeiten für den Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung.
Aber das sind nur die öffentlichen Termine von Riedel und Pittelkow, viel mehr Zeit verbringen sie hinter den Kulissen, in hunderten Gesprächen mit Mitgliedern, Funktionären, Abgeordneten der Partei, berichtet Co-Autorin Katja Riedel: „Wir haben vor sieben Jahren mit unseren Recherchen angefangen zur AfD. Und der Ausgangspunkt war tatsächlich der Verdacht, dass es heimliche Gönner im Hintergrund geben könnte.“
Die Spur des Geldes - das ist der rote Faden dieses Buches. Beispiel 2016: Da tauchten zu mehreren Landtagswahlen Wahlaufrufe für die AfD auf – von denen die Partei offiziell nichts wusste. Riedel: „Da gab es Plakatkampagnen in ganz Deutschland. Seltsame große Plakate, die augenscheinlich teuer waren. Und da stand einfach nur ‚Verein für Rechtsstaatlichkeit und bürgerliche Freiheiten‘ als Herausgeber der Plakate und man wusste nicht wirklich, wer steckt da eigentlich dahinter?“
Die Autoren schreiben in ihrem Buch: „Die AfD behauptet damals, sie wisse selbst nicht, wer da genau und mit welchem Geld so laut die Werbetrommel für sie rührt. Wir finden das sonderbar.“

Minutiöse Recherche

Herzstück des Buches sind das vierte und fünfte Kapitel. In „Millionen für ein rechtes Deutschland“ und „Die Spur der Milliardäre“ arbeiten Riedel und Pittelkow minutiös die Parteispendenskandale der AfD auf – man muss tatsächlich im Plural sprechen, so vielfältig sind die Varianten über Strohmänner, Werbeagenturen oder Tarnvereine, Geld unerkannt in die Partei zu speisen.
Einer der Akteure: David Bendels, vom Verein für Rechtsstaatlichkeit und bürgerliche Freiheiten, wie sich später herausstellt, einem Tarnverein: „Der Umweg, den nun auch die heimlichen AfD-Gönner gewählt haben, geht also vereinfacht so: Mit Strohleuten und einer Vorzeigefigur wurde ein deutscher Verein gegründet, der gesetzlich nicht verpflichtet ist, Informationen zu seinen Finanzen und Spendern offenzulegen. Und er darf sogenannte Parallelkampagnen lancieren. Werbeaktionen für die AfD.“
Der Politiker David Bendels am 08.12.2015 in der ARD Talkshow "Menschen bei Maischberger"
Der ehemalige CSU-Politiker Politiker David Bendels, heute Vorsitzender des "Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten", der die AfD unterstützt (imago / Horst Galuschka / imago stock&people)
Am Ende verdichtet sich der Verdacht, dass es der Milliardär August von Finck war, der den Tarn-Verein und die Werbeagentur Goal AG nutzte, um die Kampagne für die AfD anzuschieben. Von Finck ist mittlerweile verstorben und hat sich nie selbst zu den Vorwürfen erklärt.
Es ist nicht der einzige Umweg, den das Geld in Richtung AfD nimmt. Ein anderer führt über gestückelte Spenden, insgesamt 132.000 Euro, die auf dem Wahlkampfkonto von Alice Weidel eingehen.

Dubiose Spenden, verdeckte Kampagnen

Was hinter Spenderlisten mit Namen von Strohmännern und Strohfrauen verschleiert werden soll, so schreiben es die Autoren: Es gibt einen zweiten Milliardär, den Schweizer Henning Conle, der zuvor bereits die rechtspopulistische SVP finanziell unterstützt hatte.
Milliardäre, die an der Öffentlichkeit vorbei Geld in die AfD pumpen: ein Problem, finden Riedel und Pittelkow: „Wenn teure Kampagnen gekauft werden, an der Parteikasse vorbei, dann drängt sich der Verdacht auf, dass die politische Willensbildung manipuliert werden soll – und die Fairness im politischen Wettbewerb auf der Strecke bleibt.“
2018 wird erstmals über dubiose Parteispenden an die AfD berichtet. Bis zum Sommer 2022 hat die Bundestagsverwaltung 1,1 Millionen Euro Strafgelder von der AfD eingefordert. Erst im September gab es Razzien in der Parteizentrale, beim Werber Ströer, auf dessen Flächen die verdeckte Kampagne stattfand – und bei David Bendels.
Doch innerhalb der AfD gibt es keinen Aufschrei, keinen Widerstand. Und das, obwohl sich die AfD doch vorgenommen hatte, anders zu sein als die von ihnen so genannten Altparteien. Berichterstattung über Parteispenden wird nicht als Versagen der eigenen Führung interpretiert, sondern als Angriff von außen, sagt Autorin Katja Riedel: „Normalweise selbst Leute, die sich hassen, schließen sich dann wieder eng zusammen, man kann das so ein bisschen eine Wagenburg-Mentalität nennen.“
An einigen Stellen liest sich das Buch wie ein Krimi, etwa wenn Riedel und Pittelkow schildern, wie sie unfreiwillig Augenzeugen einer Polizeirazzia bei einem Informanten und Gesprächspartner werden. Der Text reißt auch deshalb mit, weil er in der Wir-Form geschrieben ist, also aus der Perspektive der beiden Investigativjournalisten.
„Es klingelt wieder, mehrmals. Der Informant geht widerwillig zur Tür, da sei nichts. […] Und dann macht es schon rumms, die Tür fliegt auf. Es sind Polizisten eines Landeskriminalamtes, einer von ihnen hat einen Durchsuchungsbeschluss in den Händen, den er nun verliest.“

40.000 enthüllte Nachrichten

Der Eindruck des Surrealen verfestigt sich auch auf den Seiten, die dem Politik-Berater Tom Rohrböck gewidmet sind. Eine schillernde Figur, unter anderem mit guten Kontakten zur jetzigen Co-Parteichefin Alice Weidel. Eine parteiinterne Untersuchung versandete.
Interessant sind auch die Ausführungen zur sogenannten Quasselgruppe, einer WhatsApp-Gruppe, der in der letzten Legislaturperiode von 2017 bis 2021 ein Großteil der AfD-Bundestagsfraktion angehörte. Ein mittlerweile enthüllter Debatten- und Diskussionsort.
Durch tausende Nachrichten in dieser internen Gruppe können Riedel und Pittelkow unter anderem nachzeichnen, wie es zu einem der umfassendsten Kursschwenks der Partei kam: Trug sie anfangs die Corona-Regeln noch mit, war sie seit dem Frühjahr 2020 eine der lautesten Gegnerinnen.
Die Autoren schreiben dazu: „Das, was wir in der Quasselgruppe erfahren, erlaubt uns nun eine vorsichtige Deutung, warum die AfD auch in Sachen Corona, wie bei so vielen Themen zuvor, zur Dagegen-Partei wird: Die Kehrtwende liegt offenbar am Druck der Straße. Zu einer relevanten Größe herangewachsen ist die AfD ja nicht als Professorenpartei, sondern auf Demonstrationen, auf dicht gedrängten Plätzen.“
Ansonsten liefern die über 40.000 WhatsApp-Nachrichten Ressentiments, Umsturzfantasien, Hass auf die ehemalige Bundeskanzlerin: „Die Ratte Merkel an der Spitze!“, „Diese Volksverräterin gehört lebenslang in den Knast!“, aber auch Zweifel an der eigenen Partei und ihrem Führungspersonal: „Und der Chaosladen will Deutschland retten?“, „Hirnlos, was hier abgeht.“

„Unausgesprochener Deal“

Wenn man bei der Lektüre dieses Buches nun das Gefühl hat, dass es absurder nicht werden könnte, blättert man weiter und es folgt das nächste Kapitel über die zahlreichen Reisen von AfD-Angehörigen nach Russland bzw. in die von Moskau völkerrechtswidrig annektierten Gebiete. Höhepunkt ist die Audienz von Parteichef Tino Chrupalla beim russischen Außenminister Sergej Lawrow.
Russlands Außenminister Sergei Lawrow (links) und  AfD-Co-Chef Tino Chrupalla am 8.12.2020 in Moskau
Im Dezember besuchte AfD-Co-Chef Tino Chrupalla Russlands Außenminister Sergei Lawrow in Moskau (imago images / ITAR-TASS / Russian Ministry of Foreign Affa via www.imago-images.de)
Die Autoren von „Rechts unten“ berichten allein aus den Anfangsjahren der Partei von über 70 Reisen von 50 Bundes-, Landes- oder Europaabgeordneten: „Der Profit dieser Reisen beruht zunächst auf einem unausgesprochenen Deal. [..] Russland kann sich mit dem Namen des Politikers und vielmehr noch mit dessen Mandat aufwerten. [D]ie westlichen Funktionäre profitieren ihrerseits von Bildern […], die beim Wähler Eindruck schinden sollen. [..] Vor allem aber fühlen sich die AfD-Funktionäre […] aufgewertet – eben wie echte Staatsmänner […], anders als daheim in Deutschland, wo ihnen vor allem Ablehnung entgegenschlägt.“
Auch für eine langjährige Beobachterin der Partei kommen hier neue Details, Handlungsmotive und Verknüpfungen zum Vorschein.
An einer Stelle wird ein selbst gegebenes Versprechen jedoch nicht ganz eingelöst, wenn im Klappentext das Bild einer Partei angekündigt wird, die von Chaos und Machtkämpfen geprägt ist und nun Zitat – „abermals an einem Wendepunkt“ steht. Das klingt fast nach Zeitenwende für die AfD, aber diese Wende wird nicht erläutert.
Wenn „Rechts Unten“ Schwächen hat, dann zeigen sie sich im ersten und letzten Kapitel. Denn hier gelingt es Riedel und Pittelkow nicht, die minutiös recherchierten Details in einen größeren Analyse-Rahmen zu setzen. Das Einführungskapitel ist unübersichtlich und sprunghaft. Im letzten Kapitel fällt der Ausblick leider nur oberflächlich aus: gerade in Bezug auf eine längere Entwicklung angesichts des kommenden zehnten Geburtstags im nächsten Jahr.
Für Einsteiger ist dieses Buch eher nicht geeignet, alle, die einen ersten Überblick zur Partei suchen, sollten auf andere Autoren ausweichen. Wer sich aber für die inneren Dynamiken der AfD interessiert, wird hier viel Neues erfahren und garantiert einige Male ungläubig mit dem Kopf schütteln über das, was in der AfD so vor sich geht. Lesenswert!
Sebastian Pittelkow, Katja Riedel: „Rechts unten. Die AfD: Intrigen, heimliche Herrscher und die Macht der Geldgeber“, Rowohlt Verlag, 352 Seiten, 20 Euro.