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Heine und Böhmermann
Von alten und neuen Zensur-Bekämpfern

Der Literaturwissenschaftler Joseph Kruse sieht Parallelen zwischen der Causa Böhmermann und Heinrich Heine. Ähnliche Aufregung um Gedichte habe es vor knapp 200 Jahren ebenfalls öfter gegeben, sagte der langjährige Leiter des Heinrich-Heine-Instituts in Düsseldorf. Von den Standards der öffentlichen Kritik im 19. Jahrhundert könne man jedoch selbst heute noch viel lernen, so Kruse.

Joseph Kruse im Gespräch mit Karin Fischer |
    Joseph A. Kruse, Literaturwissenschaftler und früherer Leiter des Heinrich-Heine-Instituts in Düsseldorf
    Joseph A. Kruse, Literaturwissenschaftler und früherer Leiter des Heinrich-Heine-Instituts in Düsseldorf (picture-alliance/ dpa - Hermann Wöstmann)
    Karin Fischer: Zu unserem ersten Thema. Der Fall Böhmermann ist nicht zu Ende, Sie haben es in den Nachrichten gehört, die Bundesregierung lässt ein Ermittlungsverfahren gegen den Satiriker wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten zu. Das bedeutet: jetzt entscheiden die Gerichte. Und für uns ist es die Gelegenheit, uns das Thema Satire und Majestätsbeleidigung mal historisch vorzunehmen. Mitte des 19. Jahrhunderts waren Unsittlichkeit, Gotteslästerung und Majestätsbeleidigung die häufigsten Gründe, Bücher oder Zeitschriften aus dem Verkehr zu ziehen und deren Verfasser ins Gefängnis zu bringen. Ein Name, der dazu fallen muss, ist der von Heinrich Heine, und der andere, der zu ihm fallen muss, ist der von Joseph Kruse. Er leitete bis zu seiner Emeritierung 34 Jahre lang das Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf, und ihn habe ich vor der Sendung nach den Parallelen zwischen Heine und Böhmermann befragt.
    Joseph Kruse: Die Parallelen bestehen darin, dass es zur Zeit Heines genau solche Aufregungen gab, weil der Autor sich nach Meinung der Zensur - etwas geschah in der Sprache, was sie für ungehörig hielten.
    Fischer: Majestätsbeleidigung und Zensur, heute weiß man wenig darüber. Der Paragraf 103 Strafgesetzbuch ist den meisten von uns überhaupt nicht bekannt gewesen. Wo verlief denn damals zu Heines Zeiten die Grenze zwischen Satire und Beleidigung?
    Kruse: Um 1835 wurde diese berühmte "Richtung der gegenwärtigen politischen Literatur", wie sie damals verstanden wurde, verboten, wegen eben Majestätsbeleidigung und Religionsbeleidigung.
    Fischer: Sie haben dafür aber bestimmt ein paar Beispiele.
    Kruse: Da gab es damals von Karl Gutzkow, der selber der Theologie entlaufen war, der protestantischen, den Skandalroman "Wally, die Zweiflerin". Da ist dieses junge christliche Mädchen ganz ergriffen, dass ihr die Göttlichkeit Jesu oder Christi weggenommen werden soll. Und das fand der Zensor unmöglich, dass überhaupt sie sich einmal unter einer durchsichtigen Hülle dem Geliebten nackt zeigt. Das sind die sexuell-erotischen Spielformen, aber das andere ist auch der Angriff gegen die Religion, die ihrerseits den Thron oder den Staat stützt. Das wurde so begriffen, dass dann gesagt wurde, wenn das auch die einfachen Leute lesen, dann reicht's.
    Heine sah bevorstehende Verbote voraus und passte seine Sprache an
    Fischer: Und Heinrich Heine hat, wie wir wissen, schon in jungen Jahren ja überhaupt kein Blatt vor den Mund genommen.
    Kruse: Das haben wohl offenbar alle Leser so empfunden. Die späteren Gedichte, sowohl die politischen, aber auch die Prosa schon des ganz jungen Mannes in der Studentenzeit, sind so, dass er aufgrund dieser Außenseiterstellung - er kommt aus der kleinen jüdischen Gemeinde in Düsseldorf - und will der großen christlichen Gemeinschaft irgendwie sich durchaus hingeben als romantischer Dichter, aber ihr auch zeigen, was er ganz ungewöhnlich findet als Individuum, das sich mit dem Leben, der Geschichte und den Sitten und der Moral beschäftigt.
    Fischer: 1850 wurde in Preußen dann die freie Meinungsäußerung festgeschrieben und damit konnte ein Werk nur noch nach der Veröffentlichung aus dem Verkehr gezogen werden. Sind wir da wieder beim aktuellen Fall?
    Kruse: Ja da gibt es die wunderbare Bemerkung Heines, dass er gegen die Zensur ja anschrieb und dauernd verboten wurde. Man musste gucken, wie er durchkam. Dass er sich in der Schreibweise anpasste an das jeweilige Verbot, das erwartet werden konnte, und man sagt, jetzt hat er sich so Mühe gegeben mit der deutschen Sprache und auf einmal darf er tun und sagen was er will, das macht er ironisch damit klar, dass die Verstellung in der Sprache auch immer eine, die Leute aufklärende Art und Weise bedeutet.
    Fischer: Also das, was bei Jan Böhmermann die Schmähsatire sein soll, das uneigentliche Sprechen gab es sehr weit verbreitet schon damals?
    Kruse: Das gab es weit verbreitet damals, wobei man natürlich immer darüber streiten kann, ob etwas uns vom Geschmack her gefällt. Aber dass das Maul, wie Heine es nennen würde, aufgetan werden kann und dass auch Tiervergleiche und alles Mögliche für Heine, ob den Hohenzollern-Bereich angehend, den preußischen König, oder den bayerischen König, oder auch er beschreibt die Szene mit dem französischen König. Da wird die Zeichnung langsam des Louis Philippe zu einer Birne. Wir kennen das Beispiel aus der modernen Demokratie in Deutschland, dass jemand mit einer Birne verglichen wird. Das gab einen Prozess und Heine hat sich da natürlich heftig eingemischt und gefunden, was Karikatur ist und was im Grunde öffentliche Personen auf dieser Höhe angeht. Da muss der einfache kleine Mensch durch die Kunst und durch die Literatur irgendwie kritisierbar bleiben.
    Fischer: Was ist Ihre Lieblingssatire von Heinrich Heine?
    Kruse: Die hübscheste Stelle, die ich finde, die auch jetzt momentan zutrifft, ist die im Buch "Le Grand", wo seine Kindheit beschrieben wird, der Rhein und so weiter und er als Gangesadeliger quasi und in Venedig sich aufhält, also alles metaphorisch, und wie er dann im Grunde ein Kapitel über die Zensur schreibt. Das geht folgendermaßen: "Die Deutschen Zensoren - - -" Dann bleibt "Dummköpfe" stehen - - -. Übrigens eine Szene, die damals, wie ich mal hörte, in DDR-Zeiten im Theater so wunderbar vorgelesen wurde, dass der ganze Saal sich vor lauter Vergnügen nicht lassen konnte. Das sind alles Dinge, die, glaube ich, je nachdem, wie die politische Welle und das Barometer steigt, dann doch zeigen, dass die im 19. Jahrhundert im Grunde einen Stand erreicht haben der Kritik, der so unglaublich ist, dass wir heute noch viel davon lernen können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.