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"heiner 1-4" am Berliner Ensemble
Hornbrille, Zigarre und Whiskyglas

Anfang Januar wäre Heiner Müller 90 geworden - Anlass für Fritz Kater, ein Stück über die Nachwendejahre des DDR-Dramatikers zu schreiben. "heiner 1-4" wurde nun am Berliner Ensemble uraufgeführt, wo Müller bis zu seinem Tod 1995 Intendant war. Doch die Hommage wird Heiner Müller nicht gerecht.

Von Barbara Behrendt |
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Fünf Darsteller spielen Heiner Müller am Berliner Ensemble (Matthias Horn)
    Eine schwarz gerahmte Bühne. Fünf dunkle Gestalten, die mit einer dicken Hornbrille hantieren, eine Zigarre anzünden, ein Whiskyglas füllen – und diese für Heiner Müller so charakteristischen Requisiten auf der leeren Bühne platzieren. Dazu proklamieren sie Bonmots aus späten Interviews mit dem wortgewaltigen DDR-Dramatiker, dem nach dem Mauerfall jahrelang die Schreibaufgabe verloren gegangen schien:
    Interviewer: "Herr Müller, wann kommt Ihr nächstes Stück?"
    Müller: "Keine Ahnung. Schiller hat mal sieben Jahre nichts geschrieben."
    Der in der Vergangenheit buddelte, der Tote wieder auferstehen ließ.
    Müller: "Unsere Sehnsucht nach Vereinfachung will Gegenwart ohne Vergangenheit. Aber ohne Herkunft keine Zukunft. Nur in der Gegenwart leben ist bewusstlos leben. Für mich ist das Neue eben das Alte. Und das Alte endet in Stalingrad."
    Der immer wieder Engel, auch den Engel der Geschichte, in seinen Texten auftreten ließ.
    Müller: "Man braucht Engel. Wenn es nicht mehr weitergeht. Wenn man keine Hoffnung mehr hat."
    Hilflose Bebilderung von Müllers Welt
    Dazu lässt der Regisseur Lars-Ole Walburg pathetisch Engel mit kohlrabenschwarzen Flügeln die Bühne abschreiten. Zuvor sind Soldaten mit Helm und Uniform über die Bühne gerobbt, auch ein Pionier mit blauem Halstuch ist wiederauferstanden – eine recht hilflose Bebilderung der Müllerschen Welt. Dazu die bedeutungsschwer hinstatuierten Zitate, die Müllers Art, lakonisch ins Glas zu nuscheln, ins Gegenteil verkehren.
    Und doch ist es noch der beste Teil dieser versuchten Hommage an Heiner Müller, denn zumindest ist die berserkerstarke Sprache des politischen Müllers zu hören. Ansonsten setzt sich Fritz Katers Stück "heiner 1 – 4" in eigenen Worten mit dem Privat- und Theatermann auseinander.
    Mutmaßungen statt Beschreibung
    In "heiner 1" lässt Kater, hinter dem sich der Regisseur Armin Petras verbirgt, zwei Menschen jenen Bildband anschauen, den Müllers junge Witwe Brigitte Maria Mayer nach dessen Tod veröffentlich hat - mit privaten Fotos aus der kurzen Zeit, die den beiden miteinander geblieben war.
    "Also sie ist halb nackt. Und er hat einen Frotteebademantel, gestreift, für alte Männer. Schau mal, der gleiche noch mal, den sie anhat. Hat er sich zweimal gekauft. Für wenn mal Besuch kommt, lustig. Alle Frauen mussten den gleichen anziehen. Er hat ein sehr glückliches Lächeln."
    "Glücklich, aber ein bisschen müde."
    "Sie ist nicht müde."
    "Nein, sie ist 24, er ist 60."
    "Sie lehnt sich an ihn, sie mag ihn wirklich."
    Carina Zichner und Veit Schubert sprechen die Worte ins Publikum, das Foto soll im Kopf des Zuschauers entstehen. "Bildbeschreibung" ist die Passage betitelt, nach Müllers berühmtem Prosatext. Doch hier wird weniger beschrieben als hineininterpretiert – Mutmaßungen über Liebe und Abschied in einer intimen Beziehung.
    Flache Insider-Farce für Theaterleute
    Noch problematischer dann die Annäherungsversuche in Teil drei und vier. Der Theaterapparat der 1990er Jahre soll da persifliert werden, als Müller das Berliner Ensemble leitete. Heraus kommt eine flache Insider-Farce, die wohl selbst Zeitzeugen nur ein müdes Lächeln abringt. Im letzten Kapitel dann lässt Kater Müller durch das heutige Berlin irren:
    "Ich hasse euch alle. Alles, was nach mir ist, wird sein, als wenn es nie gewesen wäre."
    Rätselhaft, weshalb ihm diese Worte in den Mund gelegt werden. Ebenso undurchschaubar bleibt, für wen Kater das Stück geschrieben hat. Was uns Müller heute noch zu sagen hat, wer er war, wofür er stand, bleibt für Laien kryptisch. Für Experten muss der Text dagegen lächerlich schmal wirken.
    Ohnehin fragt man sich, weshalb es ein Drama über einen Dramatiker braucht. Wenn das Berliner Ensemble von der Sprachkraft dieses gewichtigen, vielschichtigen Autors überzeugt ist, sollte es schlicht seine Stücke spielen. Und zwar nicht im Kleinen Haus, wo seit Oliver Reeses Intendanz sämtliche neuen Stücke landen, so auch dieses, sondern auf der Großen Bühne. Alles andere ist unglaubwürdig für ein Haus, das vorgibt, sich dem zeitgenössischen Autorentheater verschrieben zu haben.