Ein großes Schaufelrad dreht sich langsam und fördert einen völlig besoffenen, heruntergekommenen Mann aus dem Untergrund auf die Bühne. So als würde hier etwas aus den Gesteinsschichten der Vergangenheit transportiert, holt dieses Rad der Geschichte den Revolutionsemissär Debuisson in die Gegenwart zurück.
"Erinnerung an eine Revolution" nannte Heiner Müller seinen "Auftrag" im Untertitel. Immer weiter dreht sich das Rad, bis auch die einstigen Kameraden der Konspiration auf Jamaika, Galoudec und Sasportas von den gewaltigen Speichen des dunkelgrauen Rades auf die Vorderbühne gehopst sind. Sie sollten, auf Geheiß des französischen Revolutionsdirektoriums einen Sklavenaufstand in der englischen Kolonie initiieren und so auch die Revolution in die Karibik bringen.
Das großen Rad, das Schicksalssymbol ist unberechenbar, mal bleibt es stehen, mal dreht es sich unvermittelt weiter, immer im Gegenspiel zu den Wünschen der Protagonisten. Einmal, als ein verlegener Galoudec allein auf der Bühne zurückbleibt und gerne wieder in die Unsichtbarkeit des Untergrundes verschwände, wippt er verstohlen und erfolglos an dem reglosen Rad.
Claude Duparfait spielt den bretonischen Bauern als neckisch verschüchterten Kerl. Der schwarze Jean-Baptiste Anoumon spielt den "Sohn der Sklaverei" Sasportas und Charlie Nelson einen verbrauchten und zynischen Anführer. Als in seinem ersten kleinen Solo von Blut die Rede ist, schüttet er sich Rotwein über Gesicht und Hemd.
Das ist geblieben von der glorreichen Französischen Revolution: Ein bisschen private Drogenabhängigkeit vom klischeebehafteten Nationalgetränk. Einmal aber treten die drei Emissäre tatsächlich im Blutgewand auf die Bühne. Unter Perücken persiflieren sie da eine Begegnung von Danton und Robespierre. All das wird äußerst bühnenoffen auf der schmalen Vorderbühne exekutiert, mit Anklängen an Farce und das Agit-Prop.
Verkürzung auf das Wesentliche
Viel Beiwerk hat Michael Thalheimer aus dem Text gestrichen und den Auftrag in einem eineinhalb Stunden kurzen Abend auf die Kernszenen konzentriert. Hier stehen drei Männer, jeder für sich und alle allein, als wütende, verbitterte Kämpfer einer längst verlorenen Sache vor dem Gericht der Geschichte. So wie sie den Verrat an den Zielen der Revolution dem Pariser Publikum ins Gesicht schleudern, wird klar, dass Thalheimer hier mit Heiner Müller an nationalen Lebenslügen rütteln will. Die Revolution? Vergessen! Der Kolonialismus? Verdrängt! Der Rassismus? Ungeklärt! Das hat etwas von einer charmanten Naivität, die das Publikum dem deutschen Regisseur gerne nachsieht, da seine französischen Akteure die beißende Satire mit ungeheurem Elan und komischem Furor exekutieren.
Aber da sind auch, quasi kontrapunktisch, zwei Szenen von wilder Zartheit, die die Aufführung Noémie Develay-Ressiguier verdankt, die sowohl den "Engel der Verzweiflung" als auch "Erste Liebe" verkörpert, die den alten Haudegen Debuisson an seinen frühen Liebesverrat erinnert:
Dem deutschen Stefan Konarske hat der Regisseur das berühmte Solo "Der Mann im Fahrstuhl" anvertraut, das hier in deutscher Sprache mit französischer Texteinblendung gegeben wird. Als zu sehr der deutschen Geschichte zugehörig empfand Thalheimer offensichtlich den Text, zu unverbunden mit den anderen Themen und Motiven des Abends. Ein schauspielerisches Solo mit einer irren Besessenheit ist zu bewundern, eine wütende Verzweiflung über die Unerfüllbarkeit von Aufgaben, über die Unerreichbarkeit der Chefs, über das Unmaß des eigenen Scheiterns.
Am Ende hat Napoleon in Frankreich die Macht übernommen. Der Auftrag ist widerrufen und hinfällig. Die drei Revolutionäre fallen aus der ihnen revolutionsbedingt auferlegten, historischen Rolle zurück in ihre sozialen Kontexte. Jetzt gibt es plötzlich wieder Herren und Sklaven.
Eine bitterböse Version
Billig gesagt - das Sein bestimmt das Bewusstsein – und macht aus Debuisson, dem Sohn der Sklavenherrschaft den gierigen Bürger, der sich aus dem Kuchen der Welt seinen Anteil herausschneiden will.
Michael Thalheimer gelingt als Gastregisseur am Théâtre de la Colline eine bitterböse französische Version desAuftrags und für Augenblicke vergisst man tatsächlich den Staub, der sich auf Heiner Müllers Paradestück gelegt hat.