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Heinrich Finkelstein
"Sein Leben für die Kinder gelebt"

Vor 150 Jahren wurde der Kinderarzt Heinrich Finkelstein geboren. Er kämpfte gegen eine hohe Kindersterblichkeit an. Dabei beschränkte er sich nicht darauf, Kinderkrankheiten zu erforschen und zu behandeln: Er setzte sich auch für eine bessere Säuglingsfürsorge und einen rechtlichen Mutterschutz ein.

Von Andrea Westhoff |
    Ein Schriftzug des Berliner Charité Krankenhauses.
    An der Berliner Charité arbeitete Heinrich Finkelstein lange im Dienste der Kinder. (dpa/picture-alliance/Hubert Link)
    ''Heinrich Finkelstein war einer der größten Kinderärzte unserer Zeit'', schrieb einer seiner Schüler in einem Nachruf. Allerdings fügte er dann hinzu: "Außerhalb der Fachkreise kannten nicht viele diesen bescheidenen Mann.''
    Dafür gibt es mehrere Gründe: Finkelstein war als Jude 1939 aus Deutschland geflohen und wurde wie so viele andere Exilanten fast vergessen.
    Eine stille und bescheidene Persönlichkeit
    Aber ein wenig lag es wohl auch an seiner Persönlichkeit, glaubt Dr. Karl-Josef Eßer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin:
    "Finkelstein war ein sehr stiller Arzt, der sich auch nicht in den Vordergrund gedrängt hat, er hat eigentlich sein Leben wirklich für die Kinder, aber auch für die Mütter gelebt, und ich denke, das kennzeichnet ihn besonders."
    So weiß man tatsächlich nicht viel Privates über Heinrich Finkelstein: Geboren wurde er am 31. Juli 1865 in Leipzig als Sohn eines Kaufmanns, der auch Vorsteher der jüdischen Gemeinde war. Er liebte die Berge und studierte deshalb zuerst Geologie in München. Aber dann, ausgelöst wohl durch den Tod seines Bruders, entschloss er sich doch zum Medizinstudium in Leipzig und fand hier in Otto Heubner einen großen Lehrer. Als dieser 1894 die erste Professur für Kinderheilkunde an der Charité bekam, folgte ihm Finkelstein als Assistent nach Berlin. Das massenhafte soziale Elend hier berührte ihn tief:
    "Es wird kolportiert, dass die anderen Kollegen ihn immer missbilligend darauf hingewiesen haben, dass seine Rechnungen, die er geschrieben hat, viel zu niedrig gewesen sind."
    Die Armut - ein Gesundheitsfaktor
    Und er war überzeugt, dass die Armut ein wesentlicher Gesundheitsfaktor ist:
    ''Der Reichen Kinder leben, weil alle Bedingungen erfüllt werden, die Bürgschaft für ihr Gedeihen geben. Der Armen Kinder sterben, weil in bitterer Not die Ernährung und Pflege versagt.''
    "Er ist zum Beispiel dafür eingetreten, bereits 1905, dass eine Ausdehnung der gesetzlichen Fürsorge auch für berufstätige Schwangere und Wöchnerinnen erfolgen sollte.", sagt Dr. Karl-Josef Eßer
    Und er leistete selbst praktische Armenfürsorge: Von 1901 an war Heinrich Finkelstein 17 Jahre lang leitender Oberarzt des Städtischen Waisenhauses und eines Berliner Kinderasyls – ein Ort, wo obdachlose Frauen mit ihren Babys Unterkunft und Hilfe fanden. Dann wurde er Direktor des Kinderkrankenhauses im Arbeiterbezirk Wedding.
    Daneben hat Finkelstein auch Grundlegendes für die Kinderheilkunde geleistet, betont Karl-Josef Eßer:
    "In der Säuglingsmedizin war damals die Säuglingssterblichkeit das schlimmste Thema, und er hat die in enormer Art reduziert, dadurch, dass er die Anzahl der Schwestern, die auf den Stationen waren, deutlich erhöht hat."
    Den Mensch sehen, nicht das Symptom
    Er erkannte als einer der ersten die Bedeutung des „Hospitalismus": dass nämlich unzureichende Pflege und Zuwendung Ursache sind für erhöhte Infektionsraten, körperliche Mangelerscheinungen und auch schwere seelische Störungen. Und Finkelstein hat die erste künstliche Säuglingsnahrung mit entwickelt, eine spezielle Eiweißmilch, die vielen kleinen Patienten das Leben rettete und die er an arme Mütter kostenlos abgeben ließ. Vor allem aber vertrat Heinrich Finkelstein einen ganzheitlichen Ansatz in der Kinderheilkunde, er war überzeugt:
    ''Nur derjenige wird Säuglinge (...) mit Erfolg behandeln können, der sich gewöhnt, das kranke Kind und nicht den kranken Darm zum Gegenstand seiner Aufmerksamkeit zu machen.''
    Sein Hauptwerk, das „Lehrbuch der Säuglingskrankheiten" von 1905, galt jahrzehntelang international als Standardwerk. Auch deshalb bekam Finkelstein 1936 eine Gastprofessur in Chicago, kehrte allerdings wieder zurück nach Berlin, trotz der Repressalien wegen seiner jüdischen Herkunft:
    "Er wollte im Ausland niemandem zur Last fallen, aber er ist dann doch letztlich nach Chile ausgewandert, ist in Chile sehr hoch angesehen gewesen und dort von den Kollegen finanziell unterstützt worden" ...bis zu seinem Tod am 28. Januar 1942.
    Inzwischen – spät genug – erinnern sich zumindest auch die Kinderärzte hierzulande wieder an Heinrich Finkelstein, als Pionier der Säuglingsmedizin:
    "Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin hat ihn 1982 posthum gewürdigt, Heinrich Finkelstein ist für uns alle ein Vorbild in Menschlichkeit, in Sozialdenken, in Prävention, und in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen in der Art, dass man sich selbst zurücknimmt und den Patienten in den Vordergrund setzt."