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Heinrich-Heine-Biografie
"Die Erfindung des europäischen Intellektuellen"

Heinrich Heine gilt als einer größten deutschen Schriftsteller. Sein Werk sei aber immer wieder von den verschiedensten Seiten vereinnahmt worden, sagt Rolf Hosfeld, der jetzt eine neue Heine-Biografie vorgelegt hat. Diese Einseitigkeit der Sicht sei nicht angemessen.

Von Helmut Mörchen | 19.01.2015
    Frauen laufen am 16.10.2012 an einer Statue des Schriftstellers Heinrich Heine auf dem Gelände der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) vorbei.
    Die Statue des Schriftstellers Heinrich Heine auf dem Gelände der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. (picture alliance / dpa / Marius Becker)
    Bei seinem Namen fällt vielen die „Loreley" ein, manchen, dass er als Jude angefeindet wurde und dass er im preußischen Deutschland keinen Platz fand. Aus dem Pariser Exil rief er klagend aus: "Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht". Heinrich Heine - einer der größten Schriftsteller deutscher Zunge. Aber wird er noch gelesen? Wer Robert Schumanns "Dichterliebe" hört, den Liederzyklus aus Heines berühmtester Gedichtsammlung, dem "Buch der Lieder", folgt vielleicht mehr den musikalischen Klängen als den Dichterworten.
    Und wer sich heute der Prosa Heines zuwendet, dem wird es möglicherweise ähnlich gehen wie einem willigen Leser von "Ideen. Das Buch Le Grand", der in einem Internetblog den Hilferuf ausstößt: "Worum geht es in dem Buch? Ich bin jetzt beim 4. Kapitel und verstehe 0,0 von dem was der da schreibt - also die Handlung. Kann mir jemand dabei behilflich sein?"
    So kommt wohl Rolf Hosfelds Biographie zum rechten Zeitpunkt, um vor allem auch jüngeren Lesern Heinrich Heine nahe zu bringen. Er erzählt sehr lebendig und anschaulich Heines Weg von der Geburtsstadt Düsseldorf über die Jugendjahre in Hamburg, die Studienjahre in Bonn, Göttingen und Berlin bis zur Emigration nach Paris. So gewinnt der Leser der Biographie erhellende Einblicke in Politik, Wirtschaft und Kultur Deutschlands und Europas. Hosfeld entfaltet im Blick auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ein buntes kaleidoskopähnliches Panorama der europäischen Gesellschaft. Spannend ist, wie er dabei Parallelen zu Lebensverhältnissen heute zieht:
    Annäherungen an ein bürgerliches Berufsleben
    "Ja, ich meine, Heine war einer der ersten wirklich freien Schriftsteller. Nun darf man nicht vergessen, er kam aus guter Familie, das heißt, zumindest was seinen Onkel anbetrifft, der zählte zu den reichsten Menschen in Deutschland und es gab doch eine gewisse Erwartung an ihn, dass aus ihm, um es mal salopp zu sagen, was Ordentliches wird. Und umgekehrt war es auch immer eine demütigende Angelegenheit, von der Familie abhängig zu sein. Natürlich hat das dazu geführt, dass er auch aus verschiedenen Gründen sich einem bürgerlichen Berufsleben versucht hat anzunähern. Er hat Jura studiert, er hat ein relativ schlechtes Examen gemacht, und man hat sich dann in Hamburg von Familienseite bemüht, ihm irgendwie eine Position zu verschaffen. Er hat das mit relativ wenig Energie betrieben, aber er hat immer wieder versucht, sozusagen Fuß zu fassen in der Vorstellung, ein Schriftsteller braucht irgendwie eine Art Brotberuf, aus dem heraus er arbeiten kann. Das ging so weit, dass er sich sogar darum bemühte, eine Professur in München zu bekommen bei Ludwig I. Das war sicher eine Mischung aus einer gewissen Selbsttäuschung, ob das, wenn es funktioniert hätte, gut gegangen wäre, da habe ich meine Zweifel, aber natürlich hat er diese Probleme und auch diese Brüche, die vielen Menschen unserer Generation auch eigen sind."
    Orientierungslosigkeit, Anpassungsbereitschaft um einer Karriere willen, hochfahrendes Planen und klägliches Scheitern, der Wechsel materiell üppiger Zeiten mit Phasen prekärer Engpässe: Diese Mixtur im Leben eines in der Terminologie Richard Sennetts "flexiblen Menschen" heute hat schon Heines Leben damals bestimmt.
    Wie schwer es ist, heutzutage Schriftsteller zu werden und sich als Dichter zu behaupten, thematisiert etwa in diesem Herbst ein Roman wie "Nachkommen" von Marlene Streeruwitz. In dieser Hinsicht hatte es damals Heine besser als seine Nachfolger und Nachkommen im Literaturbetrieb heute. Zwei Verleger förderten seine literarische Karriere nachdrücklich und kontinuierlich, wie dies in unserer Verlagslandschaft heute nur noch selten möglich ist. Ohne Julius Campe wäre Heines "Buch der Lieder" nicht erschienen, ohne Johann Friedrich Freiherr von Cotta gäbe es Heines politische Prosa nicht. Rolf Hosfeld würdigt die Bedeutung beider Verleger für Heines Schreiben, vor allem aber für die Verbreitung seiner Texte, im Fall der Lyrik bis heute. Die Gedichtsammlung "Das Buch der Lieder", deren Welterfolg Heine selbst noch erleben konnte, erscheint gerade wieder in einer neuen Prachtausgabe des Verlags Hoffmann und Campe. Rolf Hosfeld zurückblickend:
    Gefördert von Verlegern
    "Julius Campe war im Verlagsleben in Hamburg damals ein Newcomer, aber ein sehr agiler und irgendwie unkonventioneller Mensch, der sich sehr stark außerhalb dieser guten Gesellschaft Hamburgs bewegt hat, er war ein ehemaliger Freicorpsmann, also während der Befreiungskriege gegen Napoleon, also irgendwo ein Mensch mit einer relativ abenteuerlichen Biographie. Aber er war ein großer Förderer eben der jungen demokratischen Literatur in dieser Zeit, und er war derjenige, der Heines Talent tatsächlich erkannt hat und ihn auch bewusst gefördert hat. Cotta war der große deutsche Verleger schlechthin, er hat Schiller verlegt, er hat Goethe verlegt, er war ein Magnat in gewisser Hinsicht, er besaß mehrere Zeitschriften, er hatte große Geschäfte auch auf anderem Sektor, er war irgendwie engagiert bis in die Dampfschifffahrt auf dem Rhein und dem Bodensee. Er hatte durch die Zeit des Rheinbundes immer große napoleonische Sympathien und diese großen napoleonischen Sympathien entdeckte er bei Heine wieder, insofern hat auch Cotta in Heine jemanden gesehen, an dem ihm etwas liegt, gerade in seinem Bedürfnis nach deutsch-französischer Verständigung."
    Johann Friedrich Freiherr von Cotta, zur Zeit der industriellen Revolution also schon der Chef eines breit aufgestellten Konzerns, erweiterte seine verlegerischen Aktivitäten weit über Dichtung und Wissenschaft hinaus. Er schuf ein Zeitungs- und Zeitschriftenangebot mit breiter Ausstrahlung, an der Spitze die "Augsburger Allgemeine Zeitung", die "Neuen allgemeinen politischen Annalen" und das eher unpolitische "Morgenblatt für gebildete Stände". Diese Blätter hatten noch keine Massenauflagen, ihre Verbreitung fanden sie in den Kaffeehäusern und Lesezirkeln in der sich neu herausbildenden bürgerlich liberalen Öffentlichkeit des 19. Jahrhunderts.
    Cotta hatte den vielseitig begabten und umtriebigen Friedrich Ludwig Lindner, Mediziner, Schriftsteller und Journalist, nach dessen Ausweisung aus Stuttgart beauftragt, von München aus die Cottaschen Verlagsblätter neu zu gestalten und zielgruppengerecht aufeinander abzustimmen. In diesem Prozess umwarben Cotta und Lindner Heine als Flaggautor für ihre Publikationen. So erschienen seit Ende der Zwanzigerjahre Heines Reisebilder in den "politischen Annalen" und in den vierziger Jahren wurde Heine Pariser Korrespondent der "Augsburger Allgemeinen Zeitung".
    Dass die für die Cottaschen Blätter verfassten Reportagen und Feuilletons anschließend gebündelt in Sammelbänden bei Campe erschienen, sicherte dann Heines Prosa Wirkung über den Tag hinaus.
    "Jedes Zeitalter bekommt neue Augen"
    Für die unmittelbare Erstrezeption der Reisebilder war aber ihr zeitnahes Erscheinen revolutionär. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war ja auch die Epoche einer ersten Globalisierung. Aber die neuen Verkehrsmittel, das Dampfschiff und die Eisenbahn, wurden vorerst nur von Minderheiten genutzt, reichen Geschäftsleuten und betuchten Touristen. Die zuhause bleibenden Bildungsbürger erfuhren Neues aus der weiten Welt in der Tagesprosa der Journalisten. Und aus den wichtigsten europäischen Ländern wie Italien, England und Frankreich berichtete eben kein Geringerer als Heinrich Heine. So schuf er als einer der ersten so etwas wie ein grenzüberschreitendes europäisches Bewusstsein.
    Diesen bisher wenig gewürdigten Aspekt stellt Rolf Hosfeld deshalb ins Zentrum seiner Heine-Biografie: "Es gibt ein ganz schönes Wort von Heinrich Heine, das heißt, jedes Zeitalter bekommt neue Augen und sieht die Dinge auch mit neuen Augen. Und ich glaube, man hat allen Grund, sich mit Heine neu zu beschäftigen aus einer heutigen Sicht. Weil ich glaube, trotz der – man kann nicht sagen – Flut, es gibt natürlich eine ganze Menge Heine-Literatur, gibt es ein kleines Problem mit diesem sehr großen Schriftsteller, und das ist das Problem der Vereinnahmung. Es gibt sehr einseitige Sichten auf Heine, man hat ihn oft als Romantiker rezipiert und ihn dann umgekehrt zum politischen Schriftsteller gemacht. Diese Einseitigkeiten der Sicht sind nicht ganz angemessen. Und die Biographie hat ja auch ein Thema, es geht um die Herausbildung des europäischen Intellektuellen."
    Rolf Hosfelds lesenswertes Heine-Buch folgt nun seinen ebenfalls ungewöhnlichen Biographien über Karl Marx und Kurt Tucholsky. Man darf gespannt sein, welchen großen "Namen" er sich als Nächsten vornehmen wird.
    Rolf Hosfeld: "Heinrich Heine. Die Erfindung des europäischen Intellektuellen. Biografie"
    Siedler Verlag, München 2014, 511 Seiten, 24,99 Euro.