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Heinrich Hoffmann
"Struwwelpeter": Vorläufer des Comic-Strips

Als der Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann 1844 kein geeignetes Weihnachtsgeschenk für seinen Sohn in den Buchläden fand, schuf er den "Struwwelpeter". Neu war, dass die Geschichte vom Bild ausging. Damit hat der vor 125 Jahren gestorbene Autor einen Vorläufer der Comic-Strips geschaffen.

Von Carola Zinner | 20.09.2019
    Der Struwwelpeter von Heinrich Hoffmann (1809-1894)
    Der Arzt und Verfasser des "Struwwelpeter" habe sich was getraut, so die Jugendbuchexpertin Roswitha Budeus-Budde (picture alliance / akg)
    "Ich nahm das Notizbuch aus der Tasche; ein kleiner Bube wird mit dem Bleistift schnell hingezeichnet und nun erzählt, wie sich der Schlingel nicht die Haare, nicht die Nägel schneiden lässt."
    "Sieh einmal, hier steht er, pfui, der Struwwelpeter!"
    Der Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann hatte eine ganz besondere Methode, seinen kleinen Patienten die Angst vor dem Doktor zu nehmen: Er skizzierte einfach am Krankenbett ein paar Alltagsszenen und drehte sie ins Absurde.
    "... und immer länger zeichne ich Haare und Nägel, bis zuletzt von der ganzen Figur nichts mehr zu sehen ist als Haarsträhne und Nägelklauen."
    "Pfui, ruft da ein jeder: Garst´ger Struwwelpeter."
    Der "Struwwelpeter", eines der berühmtesten deutschen Kinderbücher, entstand quasi nebenbei: Als Hoffmann sich 1844 auf die Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für den kleinen Sohn machte, in den Buchläden aber nur Fantasielos-Belehrendes fand, machte er sich einfach anhand seiner Skizzen selbst ans Werk.
    Zeitgenössische Aufnahme des Arztes und Schriftstellers Heinrich Hoffmann.
    Heinrich Hoffmann, Autor des "Struwwelpeters" (dpa)
    "Die Bilder zeichnete ich leicht in flüssiger Weise, und die kindlichen Verse fügten sich folgsam in kecken Reimen einer an den anderen, und so ward das Ganze fertig."
    Gespür für Dramaturgie und Sensation
    Ein Jahr später erschien die gedruckte Fassung auf dem Markt. Hoffmann hatte vorsichtshalber ein Pseudonym gewählt: "Reimerich Kinderlieb".
    "Als die Mutter kommt nach Haus, sieht der Konrad traurig aus. Ohne Daumen steht er dort, die sind alle beide fort."
    Besonders "kinderlieb" mutet es zwar aus heutiger Sicht nicht mehr an, wenn zack, die Finger des Daumenlutschers weg sind oder das hübsche Paulinchen nach dem Motto: "Das kommt davon" zu einem Häuflein Asche verbrennt, nachdem es verbotenerweise mit dem Feuerzeug gespielt hat. Trotzdem übt der "Struwwelpeter" auf seine Leser nach wie vor eine ganz eigentümliche Faszination aus, sagt die Jugendbuchexpertin Roswitha Budeus-Budde:
    "Weil er sich etwas getraut hat. Der konnte einfach zeichnen. Er hat einen Sinn für Dramaturgie. Und für das, was Menschen an Sensationen mögen!"
    Und – auch das war neu - die Geschichten gehen vom Bild aus; erst dann kommt der Text. Damit, sagt Beate Zekorn-von Bebenburg, die Leiterin des Frankfurter Struwwelpeter-Museums, wurde Hoffmann zum Begründer einer Form, die über Wilhelm Busch bis zu den erfolgreichen Bildergeschichten des 20. und 21. Jahrhunderts führt.
    "Er hat damit einen Vorläufer der Comic-Strips geschaffen."
    Bis heute tauchen immer wieder ganz unvermutet irgendwo Paulinchen, der fliegende Robert oder andere Bewohner des Struwwelpeter-Landes auf, sei es im Protestsong, sei es in der Karikatur. Den Anfang machte hier Hoffmann persönlich, der als Mitglied des Vorparlamentes in der Frankfurter Paulskirche 1848 die ständig disputierenden Abgeordneten genervt als Varianten seines "Suppenkaspar" zeichnete, die lieber zugrunde gingen, als sich auf etwas einzulassen, das nicht zur Gänze ihrem Geschmack entsprach.
    Engagement für bessere Unterbringung von Patienten
    Angesichts der Prominenz des "Struwwelpeters" gerät oft eine andere wichtige Seite des 1809 geborenen Menschenfreundes und Reformers in Vergessenheit: Hoffmanns Arbeit an der Frankfurter "Anstalt für Irre und Epileptische", die er seit 1851 als Psychologe leitete. Entsetzt über die fehlenden Behandlungsmöglichkeiten und die schlechte Unterbringung seiner Patienten sammelte er unermüdlich für einen Neubau. 1864 wurde das moderne Haus im Grünen eröffnet, das Heinrich Hoffmann unter dem Motto "Liebe und Freundlichkeit" bis wenige Jahre vor seinem Tod am 20. September 1894 leitete. Beate Zekorn-von Bebenburg:
    "Hoffmann machte Ansätze einer modernen Gesprächstherapie, zeichnete das auch auf, er führte Arbeitstherapie ein."
    Und er verwies - auch hier ein Vordenker - immer wieder auf die große Bedeutung der Kindheit für das seelische Wohlbefinden des Menschen.
    "Glücklich ist, wer sich einen Teil des Kindersinnes aus seinen ersten Dämmerungsjahren in das Leben hinüberzuretten verstand."