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Heinrich Mann
„Der Untertan“ bleibt ein zeitloses Phänomen

Nach oben buckeln, nach unten treten: Heinrich Manns „Untertan“ ist sprichwörtlich geworden. Im diesem März steht der 150. Geburtstag von Heinrich Mann an, und zu diesem Jubiläum erscheinen einige Sonderausgaben des „Untertan“. Eine davon basiert auf der von Mann autorisierten Ausgabe von 1918.

Andrea Bartl im Gespräch mit Catrin Stövesand |
Das Buchcover von Heinrich Mann: "Der Untertan" und ein Portrait des Kaisers Wilhelm II.
Sonderausgabe des "Untertan" zu Heinrich Manns 150. Geburtstag (Cover Reclam Verlag / Portrait Wilhelm II. imago/dpa)
Andrea Bartl hat das Nachwort zu der Sonderausgabe von "Der Untertan" geschrieben, die bei Reclam erschienen ist. Sie ist Literaturwissenschaftlerin an der Universität Bamberg und Vize-Präsidentin der Heinrich-Mann-Gesellschaft sowie Mitherausgeberin des Heinrich-Mann-Handbuches. Ihrer Ansicht nach ist "Der Untertan" heute aktueller als noch vor 30 Jahren. Der Typus des Protagonisten Diederich Heßling sei ohnehin zeitlos: der verwöhnte Fabrikantensohn, einerseits der Mitläufer ohne Rückgrat, der Untertan, andererseits ein Choleriker, ein Lebemann, Egoist und Tyrann.
Heute würde er vielleicht geschäftstüchtig FFP2-Masken gegen Provision vermarkten, merkt die Literaturwissenschaftlerin an, oder lasse sich von Influencern allerlei Meinungen und Wahn empfehlen.
Der Schriftsteller Heinrich Mann, Porträtaufnahme aus dem Jahr 1931, digital koloriert|
1918 erschienen - Heinrich Manns "Der Untertan"
Mit seinem satirischen Bestseller "Der Untertan" ist Heinrich Mann in die Literaturgeschichte eingegangen. In dem Roman nimmt er die Autoritätsgläubigkeit im wilhelminischen Kaiserreich aufs Korn und zeichnet mit seinem Protagonisten Diederich Heßling bereits 1918 das Bild des perfekten Nazis.

Der Fall Lück und George Floyd

Diese Sonderausgabe des "Untertan" basiert auf der Fassung von 1918. Diese wurde - im Unterschied zu den Vorabdrucken – nicht in punkto Kritik am Kaisertum zensiert. So wurde in den in Zeitschriften veröffentlichten Auszügen etwa der auf Tatsachen beruhende Fall Lück, die Erschießung eines Arbeiters durch einen Wachposten, abgeschwächt eingeordnet. Heinrich Mann weist dem Kaiser im autorisierten Text eine Mitverantwortung zu, eine Art geistige Brandstiftung. Und daher erinnere der Fall sehr an die Tötung von George Floyd in den USA, meint Bartl.
Portrait von George Floyd bei einem Gedenkmarsch einen Tag vor Prozessbeginn 
George-Floyd-Prozess in den USA  - "Dass wir strukturellen Rassismus diskutieren, ist sehr wichtig"
Die Debatte um strukturellen Rassismus sei Mainstream geworden, sagte die Psychologin Ursula Moffitt im Dlf. Doch es gebe auch starke Gegenwehr und Rassismus sei tief verankert.
Die Kritik am Kaisertum wird mehr als deutlich im Roman, die Sozialdemokratie kommt aber auch nicht so gut davon, in Gestalt des Maschinenspezialisten in Heßlings Fabrik, Napoleon Fischer.
Heinrich Mann habe ein ambivalentes Verhältnis zur Sozialdemokratie gehabt, betont Andrea Bartl. So habe er auch in anderen Schriften die Errungenschaften für die Arbeiterschaft hervorgehoben, aber zugleich vor Korrumpierbarkeit durch Macht und Kapitalismus gewarnt – und für diese Gefahr steht die Figur Fischer.

Zeitlose Gesellschaftsdiagnose

Eine andere Figur, Wolfgang Buck, der als Schauspieler dem Publikum den Spiegel vorhält, entlarvt Diederich, dringt aber nicht damit durch. Auch das weckt Assoziationen zu aktuellen Diskursen, Warnungen vor rechtem Gedankengut, vor Instrumentalisierung, die nicht gehört werden. Auch Buck scheitere letztlich an seiner Korrumpierbarkeit, sei mehr auf eigene Wirkung bedacht als an Veränderung interessiert.
Heinrich Mann habe sich ein Leben lang mit Fragen von Macht und Unterwerfung auseinandergesetzt, auch im zwischenmenschlichen Bereich, fasst Bartl zusammen. Und für eine solche zeitlose Gesellschaftsdiagnose in Manns Lebenswerk stehe "Der Untertan" exemplarisch.
Heinrich Mann: "Der Untertan",
herausgegeben von Werner Bellmann,
Reclam Verlag, 494 Seiten, 36 Euro.