Christoph Heinemann: Herr Buschkowsky, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie in dieser Woche die Nachricht vom Absturz der Germanwings-Maschine hörten und auch die, über die mutmaßliche Ursache?
Heinz Buschkowsky: Ich glaube, im ersten Moment geht vielen Menschen überhaupt nichts durch den Kopf - mir auch nicht. Es entsteht eine gewisse Leere und man fragt sich: 'Hast du das eben richtig verstanden?' Dann kommen die ersten schrecklichen Details: Eine Schulklasse ist an Bord gewesen, es wird mit Sicherheit überhaupt keine Überlebenden geben. Und später: Die Maschine ist quasi atomisiert worden, es wird schwer werden, überhaupt irgendwas zu identifizieren. Das sind so Dinge, die man sich ja nicht vorstellen kann. Ich glaube, das ist auch gut so - man will sie sich auch nicht vorstellen. Wenn man dann die Bilder sieht aus der Schule, wenn man dann die Bilder sieht der Angehörigen und dann heute zur Kenntnis nehmen muss, dass alle Anzeichen dafür sprechen, dass es sich um einen gezielten Suizid handelt, bei dem man huckepack nochmal 149 Menschen mit in den Tod reißt, dann bleibt eigentlich nur eine einzige Frage: Was war das denn? Und kann eigentlich das Denken eines Menschen sich so pervertieren, dass es ihm egal ist, dass er junge Menschen, die am Beginn ihres Lebens stehen, einfach in den Tod reißt. Also da muss eine solche Kurzschlusshandlung vorgefallen sein, die einem normalen Menschen völlig verschlossen ist. Also dieses minutenlange Schweigen, obwohl ja ihm klar war, was passiert, deutet darauf hin, dass der Mensch sich völlig aus der Realität verabschiedet hatte.
Heinemann: Der Bundespräsident hat seinen Staatsbesuch in Südamerika abgebrochen. Kann die Politik Trost spenden?
Buschkowsky: Nein, das kann sie nicht. Die Politik kann nur an der Seite stehen und kann nur durch Symbole deutlich machen, dass etwas im Land passiert ist, was unser aller Aufmerksamkeit und unser aller Anteilnahme bedarf. Deswegen ist das richtig, dass er den Besuch in Südamerika abgebrochen hat. Deswegen ist es richtig, dass die Mitglieder des Bundeskabinetts an den Unglücksort gereist sind. Natürlich können sie das Geschehen nicht mit dem Zeitraffer zurückdrehen. Aber es sind Symbole, die gesendet werden an die Hinterbliebenen, die im Moment sich in einem mentalen Vakuum befinden, die da lauten: 'Ihr seid nicht allein! Wir können euch beistehen, wir können an eurer Seite stehen. Aber wir können euch nicht wieder das Dunkel erhellen, wir können euch die Angehörigen nicht wieder lebendig machen und euch zurückgeben.'
Heinemann: Mussten Sie in Ihrer langen Amtszeit solchen Beistand leisten?
Wehmut beim Abschied aus dem Amt
Buschkowsky: In einer solchen Dramatik und Tragweite, nein. Ich kann nicht sagen, dass ich das bedaure, weil ich glaube, dass das auch für diejenigen, die anderen Menschen dann Trost zusprechen, sie im Arm haben, das die auch hinterher wieder sich justieren müssen, um da raus zu kommen.
Heinemann: Herr Buschkowsky, in der kommenden Woche, werden Sie Ihren Schreibtisch hier im Bezirksamt Berlin-Neukölln räumen - freiwillig räumen -, nach 14 Jahren als Bezirksbürgermeister insgesamt hier in Berlin-Neukölln. In welcher Stimmung scheiden Sie aus dem Amt?
Buschkowsky: Ja, es waren ja halt nicht nur diese 14 Jahren. Die letzten 26 Jahre habe ich hier in Neukölln hauptamtlich Politik gemacht. Ich habe die Finanzen gehütet. Ich war der Jugenddezernent. Davor war ich Fraktionsvorsitzender der SPD. Die letzten 36 Jahre meines Lebens waren ein Fulltime-Job für dieses Neukölln, das meine Heimat ist. Ich bin hier geboren, ich bin hier aufgewachsen, ich habe hier allen Blödsinn gemacht, den junge Männer nun mal in der Sturm- und Drangzeit tun.
Heinemann: Ein Beispiel?
Buschkowsky: Nein, nein, nein, nein, nein, nein. Es ist aber alles verjährt.
Heinemann: Gut.
Buschkowsky: Und diese 36 Jahre, die gehen in Fleisch und Blut über, und ich kann nicht gerade sagen, dass ich im Moment getragen bin von grenzenloser Fröhlichkeit, von dem Gefühl, ich müsste hier durch die Räume tanzen. Nein, nein, da ist schon ein ziemlicher Teil an Wehmut dabei. Da ist schon immer wieder die Frage: 'Hast du dich nicht geirrt? Ist das nicht ein Traum?'
Heinemann: Wenn Sie ein Beispiel herausnehmen sollten, wie hat sich Neukölln in Ihrer Amtszeit verändert, was ist das Herausragende, was Ihnen sofort einfällt?
Buschkowsky: Es gibt da nicht nur ein Beispiel. Es gibt einen Satz, der es beschreibt: Das Neukölln des Jahres 2015 hat mit dem Neukölln des Jahres 1960/1970 nichts zu tun!
Heinemann: Was hat sich geändert?
Wir sind ein Einwanderungsland
Buschkowsky: Es ist eine völlig andere Stadt geworden, mit einem völlig anderen öffentlichen Design. Die Menschen sind andere geworden. Die Bevölkerungsstruktur hat sich völlig verändert. Wir sind heute eine Einwandererstadt. Zwei Drittel der Kinder, die jährlich unsere Schulen verlassen, sind Kindern von Einwanderern. Es ist eine völlig neue Lebenswelt in diese Stadt gekommen - der Islam als neue Religion, mit einem völlig anderen Wertegerüst, als ich es kenne, als ich aufgewachsen bin hier. Und die Menschen haben eine andere Kleidung, als sie in Mitteleuropa üblich ist. Wenn sie hier aus dem Fenster schauen, dann sehen sie plötzlich traditionell gekleidete Frauen und Männer, die sie normalerweise in ihrem Gedankengerüst niemals nach Mitteleuropa versetzen würden. Also das ist alles etwas völlig anderes, als das alte Arbeiterquartier. Neukölln ist ja nie der Ort der Schönen und Reichen gewesen, sondern hier wohnten und wohnen zum Teil noch handfeste Menschen mit klaren Vorstellungen, was man tut und was man nicht tut und was man seinen Kindern beizubringen hat. Also: "Wenn du was haben willst, dann musst du was dafür tun.“ "Wenn du in der Straßenbahn oder im Autobus sitzt und ein älterer Mensch kommt rein, dann stehst du gefälligst auf.“ "Warum denn? Ich will auch sitzen!“ – Weil es sich so gehört!“ Das sind Dinge, die ich heute nur noch schwer wiederfinde.
Heinemann: Das haben Sie beschrieben unter anderem in Ihren beiden Bestsellern - Ihr Thema: die Integration. Was kann man in Neukölln lernen über gelungene oder gescheiterte Integration?
Buschkowsky: Man muss ja damit beginnen, sich zu bekennen: Ja, wir sind ein Einwanderungsland! Das wird ja von vielen Politikern der ersten Liga heute immer noch bestritten.
Heinemann: Es sind nur noch wenige.
Buschkowsky: Ja, aber Unverbesserliche gibt es immer. Und wir sind sogar gezwungen, ein Einwanderungsland zu bleiben.
Heinemann: Sie sagen doch: "So wie bisher, geht Einwanderung nicht weiter!“
Buschkowsky: Ja, natürlich sage ich das. Ich sage ja erst mal nur: Wir sind ein Einwanderungsland; wir müssen eins bleiben, weil unsere Geburtenfaulheit dafür gesorgt hat, dass unsere Gesellschaft sich nicht mehr aus sich selbstständig regenerieren kann. So, und dann ist eben halt die Frage, dass die, die neu ins Land kommen, dass die in das Land kommen und Teil des Landes und der Lebensregeln werden wollen und nicht ihr eigenes Ding machen.
Heinemann: Sie beschreiben auf hunderten Seiten, dass genau das nicht klappt - warum nicht?
Buschkowsky: Da ist der Punkt, das nenne ich Integration. Nicht irgendwo ankommen, irgendwo Teil zu werden und zu sagen: 'Ja, ich bin in euer Land gekommen, um mit euch zusammen zu leben', sondern dass wir Erscheinungsformen haben: 'Wir sind in dieses Land gekommen, aber wir machen weiter wie zu Hause', obwohl die Leute zu Hause nicht vor lauter Wohlstand weggelaufen sind, sondern weil das Leben für sie unwirtlich war. Und da sage ich: Das geht nicht!
Probleme durch andere Werteordnung
Heinemann: Was ist da schief gegangen?
Buschkowsky: Der Bösewicht heißt "Ignoranz" - einfach zu sagen: 'Tja, das ruckelt sich schon von alleine und wir gucken mal. Je länger die Leute hier sind, desto besser integrieren die sich selbst.' Da hat übrigens der erste Ausländerbeauftragte, Heinz Kühn, 1979 schon gesagt: 'Das ist ein Irrweg. Ihr müsst gucken, dass ihr die Kinder aus den bildungsfernen Familien, dass ihr die ausbildet, dass ihr ihnen in der Schule etwas beibringt, was man in einer modernen Leistungsgesellschaft haben muss: nämlich Kompetenzen - Wissenskompetenzen und soziale Kompetenzen'. Aber es hat keiner hingehört. Dann gab es eine Süssmuth-Kommission 2000/2001, die hat gesagt: 'Wir müssen weg von der Zufallseinwanderung, wir brauchen eine Konzeption!' 'Nein', haben wieder andere gesagt, 'wir sind kein Einwanderungsland, dann brauchen wir auch keine Konzeption.' Und so sind ganze Generationen entstanden von jungen Leuten, die für sich in dieser Gesellschaft, für sich überhaupt keine Perspektive sehen, die die Grundrechenarten nicht beherrschen, die keinen Satz in deutscher Sprache mit vernünftigem Anfang und Ende bilden können. So, und die transferieren wir bis heute nahtlos aus der Schule ins Jobcenter. Jetzt sagen viele: 'Na, hören Sie doch auf, alles schwarzzumalen. In meinem Bekanntenkreis gibt es viele, viele, viele gelungene Integrationskarrieren.' Na klar, gibt es die, aber wenn sie die Verkehrssicherheit einer Kreuzung untersuchen sollen, zählen Sie da die Autos, die unfallfrei rübergefahren sind oder werten Sie das Unfallgeschehen aus? Ich sage Ihnen, dass wir durchaus ein Riesenproblem haben, was im Wesentlich auch gespeist wird durch eine andere Werteordnung.
Heinemann: Aber wie heißt genau das Problem? Wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen, dann ist es doch gleichgültig, ob sie die Scharia oder das Privatfernsehprogramm vergöttern. Das heißt, ist das Problem nicht ein soziales? Haben wir nicht ein Unterschichtenproblem - egal, was für ein kultureller Hintergrund dahinter steht?
Buschkowsky: Also, ich weiß nicht, was die Vier-Frauen-Ehe mit einem Sozialproblem zu tun hat. Ich weiß nicht, was eine unterschiedliche Wertstellung weiblichen und männlichen Lebewesen mit einer sozialen Problemstellung zu tun hat. Wir haben hier Fahrschulen nur mit weiblichen Fahrlehrerinnen, weil eine Frau nicht mit einem Mann alleine in einem Auto sitzen darf. Was hat das bitte alles mit sozialem Status zu tun? Wir haben es hier schon mit einer anderen Werteordnung zu tun. Wir haben es auch mit einer Religion zu tun, die Menschen auffordert, sich in einem bestimmten Verhalten zu üben, und dieses Verhalten steht zur westlichen Welt in einem Spannungsverhältnis. Und wer eben sagt: 'Mit dieser Gesellschaft will ich gar nichts zu tun haben, die ist mir zu sündig, die ist mir zu verdorben', aber gleichzeitig der Auffassung ist, dass diese Gesellschaft meinen Lebensstandard sicherzustellen hat und zwar in der Art, wie ich mir das vorstelle, da sage ich immer: Dieser Mensch sollte einfach mal überlegen, ob er wirklich an der richtigen Stelle aus dem Zug gestiegen ist.
Heinemann: Sie kritisieren, dass in Neukölln arabisch-stämmige junge Männer etwa die Hälfte aller Straftaten begehen - das haben Sie geschrieben in Ihrem Buch - und gleichzeitig kritisieren Sie die Justiz, der Staat, die Justiz sei zu nachgiebig. Ist das Hilflosigkeit oder falsch verstandene Toleranz?
Integration heißt nicht, Aufgabe der Lebensregeln
Buschkowsky: Dem zugrunde liegt ein falscher Begriff von Integration. Weil ich glaube, Integration heißt nicht, Aufgabe der Lebensregeln der Gesellschaft auf dem Altar der Beliebigkeit.
Heinemann: Wo tut er das?
Buschkowsky: Zum Bespiel in den Fällen zu sagen: Wenn Sie drei, vier Ehefrauen haben wollen, das gehört zur kulturellen Identität. Zur kulturellen Identität gehört auch, dass der Patriarch in der Familie als Herrscher über Leben und Tod Gewalt anwendet. Rabatte in Strafprozessen - Duzende von Beispielen. Das berühmte "Frankfurter Urteil“, dass die Scheidungsklage einer Frau ablehnt, weil ihr Mann sie immer verdrischt, mit der Begründung: Dort, wo der Mann her kommt, ist das allgemeine Übung. Die Frau ist das Eigentum des Mannes. Er hat kein Unrechtsbewusstsein. Scheidungsbegehren abgelehnt. Ich glaube nicht, dass so ein Urteil heute nochmal möglich ist, weil es führte ja damals zu einem Aufschrei. Aber es gibt viele, viele Stellen, wo wir sagen: 'Ach, mein Gott, nun lass sie doch, ist doch nicht so schlimm.' Das halte ich eben für falsch. Ich glaube schon, dass insbesondere die Wertstellung einzelner Menschen, die Ächtung der Gewalt, die Gleichheit der Geschlechter, dass das unverhandelbar ist. Und deswegen glaube ich, dass hier die Gesellschaft etwas unmissverständlicher sein dürfte, sein müsste, um klar zu machen: Du bis hier herzlich willkommen, wir möchten auch, dass du ein Teil von uns bist und deswegen hätten wir gerne, dass du dich unserer Art und Weise, wie wir leben, anschließt.
Heinemann: Gilt Ihre Kritik auch für das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das ja entschieden hat oder eine Entscheidung veröffentlicht hat in diesem Monat, dass ein Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen an Schulen nicht pauschal gelten darf?
Buschkowsky: Also bei diesem Thema muss ich aufpassen, dass mir die Formulierungen nicht entgleisen. Ich beginne mal mit dem Guten. In einem hat das Urteil recht: Ich kann nicht Kruzifixe an die Wand hängen und gleichzeitig das Kopftuch verbieten - das geht nicht. Es muss uns auch schon jede Religion gleichviel wert sein. Das ist das Eine. Dann hört aber mein Verständnis auf. Die, die dieses Urteil gefällt haben, haben keine Ahnung – null -, wie es in Gebieten, in Stadtlagen wie Neukölln zugeht oder in Mannheim oder in Kiel-Gaarden oder in Hamburg-Veddel oder in Duisburg oder in Dortmund oder wo immer Sie auch wollen, weil es ist die falsche Botschaft. Es ist die völlig falsche Botschaft, weil es wird hier weiter geprägt die alt überlieferte Form: Die Frau hat zu gehorchen, sie hat rein und devot zu sein und sie ist das Eigentum ihres Mannes. Und die Botschaft ist: Oma trägt Kopftuch, die Tanten tragen Kopftuch, Mutter trägt Kopftuch und die Lehrerin trägt es auch. Der soziale Druck im Wohngebiet auf die säkularen, auf die liberalen Muslime nimmt immens zu. Und die haben nur eine Entscheidungsalternative, wegziehen oder mit den Wölfen zu heulen. Und was das Gericht da gemacht hat, es hat eine Säule unserer Gesellschaft ohne Not geschleift: Staatliches Handeln hat wertneutral zu sein! Dieser Grundsatz ist aufgegeben worden. Das Gericht hat gesagt: Die Wertneutralität staatlichen Handelns übt keine normative Funktion aus, sondern ist eher eine offene Haltung. Können Sie mir das mal erklären? Ich verstehe es nicht. Ich kleiner, dummer Neuköllner verstehe es nicht, was Wertneutralität für eine offene Haltung ist. Ich empfehle jedem, wenn er ein bisschen seine Kontenance wahren will und wieder Kraft schöpfen will, das Minderheitenvotum der Richter zu lesen. Also ich habe noch nie in so barschen und deutlichen Worten gelesen, wie einige Verfassungsrichter ihre Mehrheitskollegen abwatschen. Dieses Urteil ist ein weiteres Einknicken vor, ich sage mal, denen, die wie Lautsprecher durch das Land gehen und immer einfordern, dass sie benachteiligt sind, dass sie Opfer sind. Ich sage Ihnen aber mal eines: Für mich ist ein Einwanderer und seine Kinder, das sind keine Patienten, das sind Staatsbürger, wie alle anderen auch, und sie haben sich auch, wie alle anderen auch, zu benehmen. Unsere Lebensregeln gelten für alle.
"Nur ein toter Buschkowsky ist ein guter Buschkowsky!"
Heinemann: Sie sind in der Integrationsfrage ja ähnlich mit Ihrer eigenen Partei überkreuz. Sie haben sich gerade in der Wochenzeitung "Die Zeit" mit Generalsekretärin Fahimi gestritten, der sie "Einwandererkitsch" vorwerfen. Was heißt das?
Buschkowsky: Wenn Sie das ganze Interview gelesen haben, fanden Sie, dass Frau Fahimi mir sehr viel Substanz entgegenzuhalten hatte? Ich fand das nicht. Ich fand, dass sie eigentlich zu allentscheidenden Fragen mir ausgewichen ist oder mit dem charmanten Halbsatz geantwortet hat: "Da hast du Recht, Heinz."
Heinemann: Ist das typisch für die SPD?
Buschkowsky: Ich glaube, ja. Die weiß nämlich gar nicht, wo sie hin will.
Heinemann: Warum nicht?
Buschkowsky: Weil es innerhalb der SPD halt auch ein Sammelsurium an Grundüberzeugungen gibt. Es gibt weite Teile der SPD, die nenne man Basis. Wenn ich dort auftrete und spreche, verlasse ich immer von Wohlgefühl getragen den Saal. Es gibt andere Bereich der SPD, das ist meist so die verfasste Funktionärsschaft, da gibt es schon so ein klammheimliches Denken: 'Ach, der schon wieder - nur ein toter Buschkowsky ist ein guter Buschkowsky!'
Heinemann: Geht das so weit?
Buschkowsky: Also, ich meine, die Bandbreite bei Buschkowsky ist wirklich: Zum einen wurde ich verglichen mit dem norwegischen Massenmörder Breivik und zum anderen hat man mir den Gustav-Heinemann-(Bürger)Preis angeklebt. Die SPD weiß eigentlich nicht ganz genau: Was machen wir mit dem nun eigentlich? Das geht aber meinem Vorsitzenden Sigmar Gabriel genauso. Der ist nach Dresden gefahren und hat mit PEGIDA diskutiert. Ich fand das klasse, aber was ist über ihm ausgekübelt worden; Boah ey, hat der abgekriegt. Aber der Mann hat doch recht. Die Menschen demonstrieren dort, weil sie Angst haben, und die Aufgabe der Politik ist es, den Menschen die Angst zu nehmen und nicht darüber nachzudenken, wie ich sie ganz schnell mundtot mache, indem ich sie als Schande bezeichne oder Ähnliches.
Heinemann: Sie haben in dem Zusammenhang in Ihrem Buch gesprochen von dem "Gehässigkeitsfaktor" und von dem "Schweigegebot" in Deutschland. Wie haben Sie das erlebt?
Das traut sich hier keiner zu sagen
Buschkowsky: Na ja, immer wenn sie irgendwas sagen, wo sie hinterher schieben können: 'Wissen Sie, das können Sie alles selbst feststellen. Gehen Sie einfach mit offenen Augen und offenen Ohren durch die Welt, dann werden Sie das sehen'. Also gerade das, was Sie vorhin angesprochen haben: 'Arabische junge Männer haben bei mir hier einen Anteil von neun Prozent an der Bevölkerung, sie stehen aber für 50 Prozent aller Straftaten'. So, das ist schon wieder rassistisch. Weil ich habe gesagt "arabische junge Männer". Ich hätte eigentlich korrekt sagen müssen: Es gibt bei uns junge Männer, die reziprok oder sonst wie zu ihrem Bevölkerungsanteil Straftaten begehen. Sie hätten zwar nicht gewusst, worüber ich rede, aber es wäre politisch korrekt gewesen. Ich mache Ihnen ein weiteres Beispiel. Schüler in den Schulen, die andere verdreschen, ihnen auf den Kopf treten, die die Lehrer bespucken, also früher waren das Rowdys oder Krawalltypen, heute nennen wir sie "verhaltensoriginelle Schüler". Da weiß auch keiner mehr, was ist. Jemand, der im Sozialtransfer steht, der ist im Jobcenter plötzlich ein Kunde und der hat nicht massive Vermittlungshemmnisse, sondern der hat eine komplexe Profillage. Also unsere Sprache wird so verballhornt, dass sie eigentlich die wahren Dinge verdeckt. Also darüber sollte mal einer promovieren. Also teilweise hat das richtig komödiantische Züge. Wenn sie jetzt sagen - und bei mir ist das so - im statistischen Durchschnitt sind muslimische Eltern weiter von einem normalem Verhältnis zum Bildungserwerb ihrer Kinder entfernt als zum Beispiel polnische Eltern oder asiatische, also Sie, da kriegen sie richtig ausgekübelt. Und wenn sie zum Beispiel sagen: Ich erwarte von jedem Einwanderer als Bringschuld, dass er die Bereitschaft zur Integration mitbringt, dann sind sie ein deutschtümelnder alter Mann. Wenn sie sagen: Also es gibt bestimmte Teile des Islam, die sind eigentlich mit einer modernen Welt nicht kompatibel, das ist ein klarer Beweis dafür, dass sie islamophob sind. So gibt es Dinge, wo sie beigebracht kriegen: 'Du redest über Sachen, wie man nicht reden sollte, mein Lieber. Und wenn du das nicht sein lässt, dann müssen wir dich ein bisschen ächten. Hast du verstanden!' Und so wurden es immer weniger, die gewagt haben, den Kopf aus der Masse herauszuheben, weil keiner hat Lust zum Gegenstand von "Management by Champignon" zu werden: Wer den Kopf rausstreckt, kriegt ihn abgehauen! Und denken Sie mal nach, wie viele Namen fallen Ihnen noch ein von Menschen, die über gesellschaftliche Fehlentwicklungen reden, so dass man es versteht, so, wie sie es sehen? Weil ich sage immer wieder: Wissen Sie - wenn mir vorgehalten wird, das hat was mit Hybris zu tun: Neukölln ist überall -, ich sage: Wissen Sie, das ist die Botschaft an die Leute, die im Sessel sitzen und sagen: 'Gell Mama, gut, dass wir da nicht leben.' Und ich sage: 'Hey, nimm mal den Hinter hoch, geh mal in das Nachbarwohnviertel in deiner eigenen Stadt, da wirst du eventuell das gleiche Milieu treffen, wie ich es beschreibe.' Weil es ist auch so, quer durch die Bundesrepublik, von Norden bis Süden. Ich habe Hunderte von Vorträgen in Deutschland gehalten und was meinen Sie, wie oft ich den Satz gehört habe: 'Alles, was Sie erzählen, das ist ja, als ob Sie hier bei uns leben würden.' Und ich bin einmal von einer Staatskanzlei eingeladen worden zu einem Vortrag und dann habe ich vor dem Mittagessen gefragt: 'Sagen Sie mal, ich werde doch mit Sicherheit nichts erzählen, was Sie nicht wissen. Können Sie mir mal beantworten, warum Sie mich aus Berlin, mehrere hundert Kilometer einfliegen, damit ich das hier vortrage?' Da war die Antwort: 'Das ist ganz einfach, weil sich das hier keiner zu sagen traut, was Sie sagen.'
Ich habe vergessen, dass ich ein Auslaufmodell bin
Heinemann: Herr Buschkowsky, Sie haben noch viel zu sagen - gleichzeitig ist nächste Woche Schluss. Werden Sie weiter schreiben?
Buschkowsky: Hatte mich gerade so in Betriebstemperatur geredet und vergessen, dass ich ein Auslaufmodell bin. Ich weiß nicht, ob ich noch weiter schreiben werde. Dafür spricht, dass ich eine gewisse Übung habe. Dagegen spricht, dass eigentlich in beiden Büchern alle meine Gedanken aufgeschrieben sind, die ich zu diesem Thema habe. Mein Problem ist, dass die Gesellschaft sie bisher nicht so aufgenommen hat, wie ich mir das wünschen würde - siehe Bundesverfassungsgericht.
Heinemann: Sie werden weiter Interviews geben?
Buschkowsky: Ja, wenn ich so nette Interviewpartner habe, wie heute, ist das kein Problem.
Heinemann: Also auch im Deutschlandfunk?
Buschkowsky: Na, im Deutschlandfunk ganz besonders, weil ich hier immer eine sehr offene Art gefunden habe, mit Problem umzugehen und wo es nie darum ging: 'Erklären Sie mal, was in der Integration in Deutschland in den 50 Jahren schief gegangen ist. Erklären Sie, wie man das hätte besser machen können und Ihre Vorschläge für die Zukunft, aber bitte in 90 Sekunden.' Deswegen habe ich immer sehr, sehr gerne dem Sender zur Verfügung gestanden.
Heinemann: Herr Buschkowsky, danke schön für das Gespräch.
Buschkowsky: Keine Ursache. Ich überlege mir es jetzt nochmal, ob ich nächste Woche wirklich aufhöre.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.