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Heldin der Widerborstigkeit

Formal ist die Neuverfilmung des historischen Materials altbacken und bietet nicht mehr als ästhetisches Mittelmaß. Die Modernität und Stärke des Films liegt in der ungebändigten Individualität seiner Hauptfigur. Sie verteidigt ihre Freiheit um jeden Preis und lehnt Repression und religiösen Fanatismus instinktiv ab.

Von Rüdiger Suchsland |
    "Die Nonne", der postum erschienene Roman des weltberühmten Pariser Enzyklopädisten Denis Diderot ist bereits mehrfach fürs Kino verfilmt worden: In Form so fragwürdiger Exploitation-Stücke wie "Kloster der 1000 Todsünden", aber auch vom strengen Autoren-Regisseur Jacques Rivette, der für seine getragene Verfilmung mit Anna Karina und - man glaubt es kaum - der Deutschen Liselotte Pulver 1966 im Wettbewerb von Cannes lief.

    Irgendwo hier, zwischen Kunst und Voyeurismus, großem Anspruch und kleiner Münze muss man diesen Kostümfilm von Guillaume Nicloux ansiedeln: Ein wenig werden die dunklen Seiten der Kirche bloßgelegt, zugleich wird wie bereits zu Zeiten Diderots die Schaulust eines Publikums befriedigt, das sich an schlüpfrigen Geschichten über junge Novizinnen, notgeile Äbtissinnen und geheime Sünden unterm Schleier ergötzt.

    Zu seiner Entstehungszeit war "Die Nonne" ein Stück Gesellschaftskritik, das die Lage des Landadels und des gehobenen Bürgertums unter Ludwig XV. ins Zentrum rückt: Von Schulden und Wirtschaftskrise niedergedrückt, fehlte oft genug das Geld, um die Töchter standesgemäß zu verheiraten. Da die Hochzeit mit einem niederen Stand auch keine Option war, blieb nur das Kloster - und so wird Suzanne, die Hauptfigur der Geschichte, gegen ihren Willen hinter Klostermauern geworfen.

    Doch bei den Ursulinen hält sie es nicht lange aus, versucht zunächst im Einvernehmen mit den Eltern ihre Freiheit wiederzuerlangen. Aber dann erfährt sie von dem dunkelsten Geheimnis ihrer Familie - der eigenen Abstammung aus einem Seitensprung der Mutter.

    Sie versucht es ein zweites Mal im Kloster, scheitert aber an den überstrengen Ansprüchen ihrer Mutter Oberin Christine. Als die versucht, Suzannes innere Distanz und Widerstandwillen mit Gewalt zu brechen, erlebt diese nun eine Passionsgeschichte, eine Tortur nach allen Regeln katholischer Repression, die noch die übelsten Klischees über Bigotterie, Doppelmoral, Heuchelei und Sadomasochismus im Namen Gottes in den Schatten stellt: Die Oberin setzt sie furchtbaren Erniedrigungen aus - wird dann aber - diese andere Seite des Katholizismus verschweigt Regisseur Guillaume Nicloux nicht - von der höheren Vernunft des katholischen Systems ausgebremst und bestraft.

    Suzanne wird in ein anderes Kloster verlegt, wo es ihr grundsätzlich besser geht. Doch die Freundlichkeit und Caritas ihrer neuen Oberin, die durch den schönen Namen Sainte Eutrope nicht weniger unvergesslich wird, als durch die ironisch eingefärbte Schauspielkunst der Isabelle Huppert, entpuppt sich bald als allzu irdische, obsessive und doppelt verbotene Liebe. Suzannes Leiden geht von vorne los.

    So weit, so spannend, und erbaulich. Formal ist der Film altbacken und bietet nicht mehr als ästhetisches Mittelmaß: Er ist anständig, aber dröge. Und was um Gottes Willen ist an dieser 200-Jahre alten Kino-Klerikalschmonzette im Kino aktuell und interessant? Macht sich nach Missbrauchsskandalen und Bischofsbadewannen denn noch irgendwer Illusionen um die Weltlichkeit der Diener des Herren?

    Oder sollen wir bei dem Leidensweg des armen Mädchens, dem Familie wie Institutionen Gewalt antun, vielleicht an andere Religionen denken, die die Aufklärung noch vor sich haben?
    Oder sollen wir vielmehr im Gegenteil an die Fundamentalisten und unschönen Seiten des Christentums gemahnt werden, daran, dass auch wir einen kritischen, mutigen Kopf wie Diderot dringend wieder brauchen könnten? Einen unbeugsamen, mitunter nervtötenden Aufklärer statt den gegenwärtigen modischen Apologeten der Lebenskunst?

    Aktuell ist die Nonne aus einem anderen Grund: Suzanne ist eine Heldin der Widerborstigkeit, eine junge Frau, die, ohne wahnsinnig intellektuell und philosophisch gebildet zu sein, instinktiv Konventionen und religiösen Fanatismus ablehnt, die ihre Freiheit und Selbstbestimmung verteidigt.

    Hierin, in ihrem Anspruch auf ungebändigte Individualität, in der Verteidigung der Freiheit um jeden Preis, liegt das Moderne dieser Figur und ihrer Geschichte.