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Helen Rutter: „Ich heiße Billy Plimpton“
Anders ist gut

Billys Traum ist es, als Komiker das Publikum zum Lachen zu bringen. Doch der Elfjährige stottert. Nach einem Schulwechsel beginnt er sehr erfolgreich, Schlagzeug zu spielen - da spielt sein Stottern keine Rolle. Doch was wird aus seinem Traum von der Bühne?

Von Kerstin Poppendieck |
Ein Portrait der Schriftstellerin Helen Rutter und das Cover ihres Romasn „Ich heiße Billy Plimpton“
Helen Rutter: „Ich heiße Billy Plimpton“ (Cover Atrium verlag / Portrait © Natasha Merchant)
Der Wechsel von der Grundschule auf die weiterführende Schule ist für fast jedes Kind eine große Sache. Für Billy Plimpton ist es eine Riesensache. Seit Wochen kann er an nichts anderes mehr denken. Denn Billy stottert. So stark, dass er kaum einen Satz vollständig herausbekommt. Und nachdem er in der Grundschule jahrelang verspottet und gemobbt wurde, wünscht er sich jetzt nichts mehr als einen Neustart.
"Wenn ich normal sprechen könnte, ja, dann wäre der erste Schultag an der Bannerdale High School ein Zuckerschlecken. Deshalb werde ich alles tun, was mir einfällt, um das Stottern loszuwerden und so zu sein wie alle anderen. Oder sogar vielleicht besser. Ich könnte der beliebteste Junge in der ganzen Schule sein, stellt euch das mal vor. ,Kennst Du Billy Plimpton? Der ist echt super und außerdem irre witzig.'"

Nichts hilft

Stotterfreies Sprechen üben vor dem Spiegel, Selbsthilfebücher, ein angeblich vom Stottern heilender Tee mit dem unaussprechlichen Namen Matricaria recutita, Götter um Hilfe bitten, logopädische Therapie – in seiner Verzweiflung versucht Billy Plimpton alles Mögliche, um sein Stottern loszuwerden. Doch nichts funktioniert. Und auch Plan B: Konsequentes Schweigen in der Schule hilft nichts. Wieder wird Billy ausgelacht. Aber er findet auch Freunde. Kinder denen es völlig egal ist, dass er stottert, die ihn mögen, weil er freundlich ist und witzig. Und dann gibt es Mr. Osho, einen Lehrer, wie man ihn jedem Kind wünscht: unterstützend, ermutigend und einfühlsam. Er schlägt Billy vor, Schlagzeug zu spielen.
"Sie wissen, dass ich noch nie richtig Schlagzeug gespielt habe, Sir? Ja, was denkst Du denn, warum wir das jetzt nachholen? Ich habe gesehen, wie Du mit den Stiften getrommelt hast, und der Rhythmus muss endlich mal raus. Wenn Du ihn weiter in dir verschließt, wirst Du noch platzen. Deshalb stottere ich. Mein Gehirn ist bis ganz oben gefüllt. Das meint auch meine Logopädin. Noch ein Grund mehr, dich endlich mal am Schlagzeug auszutoben, hm?"

Ein stotternder Comedian?

Das Schlagzeug spielen hilft Billy, selbstbewusster zu werden. Hier gibt es kein Stottern. Er ist sogar so gut, dass er in die Schulband aufgenommen wird. Aber dann ist da ja auch noch Billys eigentlicher Traum: als Comedian auf einer großen Bühne zu stehen und das Publikum zum Lachen zu bringen. Beim Talentwettbewerb der Schule will er auf jeden Fall dabei sein. Aber als Schlagzeuger oder als Comedian?
"Warum gibt es keine stotternden Detektive? Weil sie länger brauchen, um etwas rauszukriegen."
Jedes Kapitel des Buches beginnt mit einem Witz. Notwendig für die Geschichte sind diese Witze nicht, machen aber Spaß.
"Ich heiße Billy Plimpton" ist das Debüt der Britin Helen Rutter. Inspiriert zu der Geschichte hat sie ihr Sohn, der selbst stottert. Da ist es nicht verwunderlich, wie einfühlsam und warmherzig sie die Geschichte des elfjährigen Jungen erzählt. Gleichzeitig wird man für den Alltag und die Herausforderungen von Kindern, die stottern, sensibilisiert. Zum Beispiel wenn Billy die Reaktionen von Menschen beschreibt, die ihn stottern hören. Da gibt es die Ermutiger, die mit ihrem "Nur weiter" auch schnell nerven, oder die Gedankenlesenden, die stellvertretend den Satz beenden. Das nervt auch. Am liebsten sind ihm die Abwartenden, die ihm Zeit geben und geduldig sind, meistens.
"Natürlich gibt es nicht ganz so gute Abwartende. Ihr glaubt ja nicht, wie offensichtlich es ist, wenn jemand abwartet, obwohl er oder sie eigentlich überhaupt keine Lust dazu hat. Das ist ätzend. Zu diesen Leuten würde ich am liebsten sagen: Lass es einfach. Du hast doch sicher etwas Besseres zu tun. Das ist für uns beide kein Spaß. Aber ich sage es nicht, denn das würde noch länger dauern."
Gerade am Anfang des Buches gibt es mehrere Passagen wie diese, bei denen man sich selbst prüfen und sein eigenes Verhalten hinterfragen kann.

Zum Lachen und Weinen gleichzeitig

Dass die Autorin Helen Rutter auch schon als Comedian auf der Bühne und vor der Kamera stand, merkt man dem lockeren und witzigen Schreibstil deutlich an. Geschrieben aus der Ich-Perspektive von Billy, erzählt Helen Rutter ihre Geschichte in einem kindgerechten Ton mit prägnanten Sätzen ohne komplizierte Formulierungen. Die vielen Dialoge machen die Geschichte lebendig und helfen, sich in die einzelnen Figuren hineinzuversetzen.
Billy ist unglaublich sympathisch. Man leidet mit ihm, wenn er gemobbt wird und verletzt ist, man fiebert mit ihm, wenn er zum ersten Mal vor der Klasse spricht. Das Gefühlschaos, dass oftmals in Billy herrscht, beschreibt Helen Rutter sehr berührend. Aber auch die anderen Protagonisten beschäftigen einen lange - der außergewöhnliche Lehrer, Billys Freunde und selbst der fiese Mobber, der sich am Ende als gar nicht fies entpuppt. Dieses Buch bringt einen zum Lachen und Weinen gleichzeitig, es ist unterhaltsam und macht nachdenklich. Billy Plimpton schafft es, sich selbst zu akzeptieren. Ja, er ist anders, aber letztlich ist jeder anders. Und das ist gut so.
Helen Rutter: "Ich heiße Billy Plimpton"
Aus dem Englischen von Henning Ahrens
Atrium Verlag, Zürich. 288 Seiten, 15 Euro, ab zehn Jahren.
Hörbuch gelesen von Julian Greis
Hörcompany, Hamburg. 1 MP3 CD, 320 min.