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Helena Adler: "Die Infantin"
Kunstwerk aus dreckigen Nabelschnüren

Angst und Stallmist bleiben beim Lesen beinahe unter den Fingern kleben. Helena Adler erzählt in ihrem neuen Roman von Kindheit und Jugend auf einem österreichischen, erzkatholischen Bauernhof. Ihrer namenlosen Infantin spenden Eltern und Geschwister wenig Geborgenheit. Nur der Fernseher weiß Trost.

Von Julia Friese |
Helena Adler: „Die Infantin trägt den Scheitel links“
Das Mädchen auf dem Cover ihres Romans hat die Autorin selbst mit Augenklappe und Teufelshörnern versehen. Denn Helena Adler ist auch Künstlerin, unter anderem im Bereich der inszenierten Fotografie. (Buchcover Jung & Jung Verlag, (c) Evatrifft Fotografie)
"Die Infantin trägt den Scheitel links" ist ein Roman wie ein Galerierundgang. Einundzwanzig Kunstwerke stellt Helena Adler in ihm aus, die zusammen die Erzählung eines Aufwachsens auf dem Land ergeben. Die Kapitel tragen Gemälde, die die Autorin inspirierten, im Namen. Da wären Baselitz' "Die große Nacht im Eimer und Goyas "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer", so wie immer wieder Pieter Bruegel. In den Bildern des niederländischen Rennaissance-Malers findet die Adler Protagonistin - die namenlose Infantin - ihr Zuhause. In den Achtziger Jahren wächst sie auf einem österreichischen Bauernhof auf. Ihre Kindheit sei ein belebtes Bruegel-Bild, sagt sie. Aber Bilder sind immer das, was der Betrachter in ihnen sieht. Adler malt viel dunkler, grotesker, morbider als Bruegel es je tat.
"Es ist die schwarze Erhabenheit, die ihre Flügel ausbreitet und sich auf dem Hof niederlässt. Sie sitzt auf jedem Dachgiebel, ich höre sie schmatzen. Die schwarze Erhabenheit ist immer hungrig. Sie besteht aus Wahnsinn, Abgrund und Kriegsüberresten, ein Erbe das der nächsten Generation zusammen mit Kropfband und Goldhaube andachtsvoll überreicht wird. Sie wartet auf mich. Denn dein ist das Reich, die Kraft und Herrlichkeit, sagen sie feierlich, und ich wünschte nichts sehnlicher, als dass ich an Gott glaubte."
Familie aus Teufeln und Ungeheuern
Die Infantin fühlt sie fremd, allein. Ihre Schwestern sind Teufel auf Schlittschuhen, der Vater ein Bär und ein Trinker. Und die Mutter rastet nie, aber häufiger aus. Nach einem Streit mit dem Vater, hängt sie dessen Zähne, Haare und Kopfschwarte im Wohnzimmer auf. Adler trägt das Unheimliche so dick auf, dass man es beim Lesen unter den Fingern fühlt. Ihre Sprache scheint ein eigener Organismus zu sein, durch den der Katholizismus zuckt, wie ein gerade enthaupteter Körper.
"Mama, dein Dasein besänftigt mich. Obwohl du für andere ein Ungeheuer bist. Du lässt mich Eischaum von den Mixerstäben ablecken und ich stelle mir vor, wie es meine Zunge hineindreht und langzieht und wir beide darüber lachen. Der Duft von warmen Zelten dringt in meine Nase. Der Teig ist noch ganz weich und warm. Du bist unser täglich Brot."
Flucht in die Popkultur
In beinahe jeder Szene der Kindheitserzählung finden sich Gewalt und Tod. Katzenbabys treten nur auf, um kurz vor ihrem Ableben noch die Eiteraugen mit Kamillentee ausgespült zu bekommen. Flöhe und Wanzen jubeln, wenn die Infantin ins Bett geht, weil sie sich nun endlich weiter von ihr ernähren können. Und den so verhassten wie gefürchteten älteren Schwestern will die Infantin gleich mit ihren Eislaufschuhen die Schädeldecke aufsägen. Doch so brutal, wie Adler die Lebensrealität der Infantin beschreibt, so zärtlich wendet sie sich den Popkultur ihrer Kindheit zu. Falco, Baywatch und Lucky Luke werden erwähnt, während Weihnachtsbäume "Windohrringe wie Nena" tragen. Einen besonders schönen Kontrast zum knochenkalten Österreich bieten die Kaugummmiwelten aus Beverly Hills 90210, die Adler wie rosa Sticker auf ihre düsteren Bilder klebt, wenn sie schildert, wie sich die Infantin in den "Strahlejungen Brandon" verliebt. Die Rettung aus dem Alptraum 80er-und-90er-Jahre-Kindheit ist eben der Fernseher. Die Infantin beschreibt ihn fast zärtlicher als die eigene Mutter:
"Im Inneren besteht der Fernseher aus Muskeln und Nervengewebe. Das Venenkabel versorgt ihn mit Blut und Sauerstoff, bei ausreichender Zufuhr pulsiert das Bild in prächtigen Farben. Wird die Aorta beschädigt, erlischt das Funksignal. Der Bildausfall führt zu Amnesie, der Tonfall löst einen Hörsturz aus. Und ein Blitzeinschlag Multiorganversagen. Schon zweimal wurde der Fernseher notoperiert, weil es aufgrund fehlender Blutversorgung zu einem Vorhofflimmern kam. Wenn er seine Augen schließt, knistert sein schwarzes Bildschirmgesicht, als könnte man seine Träume hören, die wie kleine Blitze durch seinen Schlaf jagen."
Eilige Schlussszene
In der Familiengeschichte der Infantin haben sie gleich mehrere dunkle Geheimnisse und Traumata verflochten. Die Mutter wurde von einem nahen Verwandten missbraucht, ein Cousin entpuppt sich als Bruder und der Vater betrügt die Mutter im Freudenhaus. Die Infantin will selbst nie Mutter werden. Nachdem sie einen Hund beobachtet, wie er die Nachgeburt einer Kuh auffrisst, steht ihr Entschluss.
Das letzte Bild - und letzte Kapitel - in Helen Adlers Kindheitsausstellung zeigt sie nichtsdestotrotz als Mutter. Es folgt mit zeitlichen Abstand zum vorherig Erzählten, als sei es nur da, um dem Buch einen runden Abschluss zu geben. Es wirkt eilig. An den Rest angespuckt und angeklebt. Das hätte es nicht bedurft. Denn "Die Infantin trägt den Scheitel links" ist kein Plot getriebener Unterhaltungsroman. Es ist ein lustvoll schmatzender Wortaufstrich aus Flöhen, Blut und Mist. Ein Kunstwerk aus dreckigen Nabelschnüren, das sich einem beim Lesen nur allzu angenehm um den Hals wickelt.
Helena Adler: "Die Infantin trägt den Scheitel links"
Jung und Jung, Salzburg und Wien, 184 Seiten, 20 Euro