Es gibt so viele Türen auf der Welt, an denen man mal klopfen könnte ... Zu dieser Tür führen fünf Stufen zum kleinen Vorgarten und nach vier Metern drei hölzerne Stufen zur Eingangstür. Das einfache, zweigeschossige Holzhaus ist eher bescheiden, zwei Fenster links neben der zentralen Tür, zwei Fenster rechts und darüber im Obergeschoss fünf Fenster, einfach, klar, ohne jede aufwändige Architektur. An dieser einfachen braunen Tür haben schon viele amerikanische Präsidenten und prominente Persönlichkeiten geklopft ... und sicherlich unzählige Menschen aus aller Welt. Am Türschild steht "Mr. & Mrs. Abraham Lincoln.
Parkranger Gene Finke, dessen Vorfahren aus Deutschland stammen, hat uns die Tür geöffnet und begrüßt uns mit einem freundlichen Lächeln.
"Willkommen im Abraham Lincoln
Haus, come on in"
Zuhause, bevor ich zu dieser Reise aufbrach, hatte ich viele historische Bilder von diesem Haus gesehen, das älteste stammt aus dem Jahr 1860 ... . Genau dieses Foto zeigt, wie wohlbehalten das Haus nahezu eineinhalb Jahrhunderte überstanden hat. Gene Finke weiß unzählige Details, vor allem auch, welche Möbelstücke und Accessoires Originale sind und aus dem Besitz der Familie Lincoln stammen. Gene Finke geleitet uns im Hausflur zunächst in den linken Raum des Erdgeschosses ...
"Wir stehen in den Salons der Familie Lincoln. Dies sind die Räume im Haus, deren Möblierung am aufwändigsten gestaltet ist. Die Lincolns benutzten diese beiden Räume für gesellschaftliche Anlässe und um Gäste zu empfangen."
Das Wort "Salons" hört sich für unsere Ohren großräumig an. Die beiden Salons der Lincolns sind eher kleine Räume. Um einen Kamin gruppieren sich gemütliche Sessel, natürlich auch der obligatorische Schaukelstuhl. In einem gedrechselten Regal mit 4 Ebenen stehen einige Bücher und eine Kristallkaraffe mit Gläsern, in denen man den Gästen gerne zur Begrüßung einen Cherry anbot. Die Tapete und auch der Teppich weisen kräftige Muster auf und, wie Gene Finke erzählt, sind sie im ganzen Haus entweder noch original oder den alten historischen Fotos entsprechend wiederhergestellt worden. In diesem Salon gab es ein wichtiges historisches Ereignis.
"Eine Delegation kam aus Chicago hier nach Springfield und verkündete Abraham Lincoln in diesem Salon, dass er formal als Kandidat für die Präsidentschaft nominiert wurde."
Manchmal wünscht man sich eine Zeitmaschine, mit der man für einige Momente diese historischen Augenblicke wieder erleben könnte. Im Haus der Lincolns ist man nahe an dieser Vorstellung, denn im Haus hat man den Eindruck, die Bewohner seien gerade nur nebenan zu Nachbarn zum Nachmittagstee gegangen. Wir begeben uns nun in die Küche. Ein großer Holzofen dominiert den Raum, und an den Wänden hängen Pfannen, Töpfe und Tiegel. Auf dem Küchentisch liegt frisches Gemüse und Obst. Aus der Küche gelangen wir wieder in den Hausflur und zur Treppe ins Obergeschoss.
"Wir begeben uns nun die Treppe hinauf zu den Schlafzimmern der Lincolns. Lassen Sie Ihre Hand ruhig das Treppengeländer hinaufgleiten. Es ist der Originalhandlauf, den Abraham Lincoln benutzte. Etwas zu berühren, das er täglich berührte, ist sicher etwas Besonderes, als gäbe man ihm heute noch die Hand."
Treppen in Häusern sind seltsame Erinnerungsträger. Sie sind in manchen Häusern dominante, repräsentativ gestalterische Elemente der Inneneinrichtung, die vieles erzählen können. Diese hier ist einfach, bescheiden, unscheinbar, und doch wehte auf ihr der Wind der Geschichte.
"Mr. und Mrs. Lincolns Schlafzimmer waren getrennt, wie es oft in der damaligen Zeit üblich war. Mrs. Lincoln schlief wohl gelegentlich in ihrem eigenen Zimmer, denn Mr. Lincoln arbeitete oft bis spät in die Nacht in seinem Schlafzimmer. Dazu hatte er eigens diesen Schreibtisch dort in der Ecke aufgestellt. Der Schreibtisch ist original, und an ihm hat er abends Briefe an seine politischen Freunde geschrieben und auch viele seiner Reden verfasst."
Der Schreibtisch ist klein, eine Art Sekretär mit Fächern an der Rückseite, aber lediglich so breit, dass der Stuhl fast zentimetergenau zwischen die grazilen Tischbeine passt.
"Hier in Illinois gab es eine große deutschstämmige Bevölkerung. In den meisten Staaten durften Immigranten nicht wählen, erst nach 5 Jahren, nachdem sie die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben hatten. In Illinois mussten die Einwanderer nur eine Wohnung nachweisen, und sie durften wählen. Und weil sich viele deutsche Immigranten registrieren ließen, bemühte sich Abraham Lincoln sehr ihre Stimmen zu gewinnen. Er schrieb sie persönlich an und veröffentliche Artikel in ihren deutschsprachigen Zeitungen. Er wusste, dass Sie die Sklaverei ablehnten und ihr kritisch gegenüberstanden. Das war auch das Ziel von Mr. Lincoln und seiner republikanischen Partei."
"Deutsche Besucher sind häufig zu Gast im Haus der Lincolns", erzählt Gene Finke. Zu manchen hat er noch heute Kontakt.
"Wir freuen uns sehr, die hier zu sehen. Sie sind erstaunlich gut informiert über Abraham Lincoln. Nach meiner Einschätzung wissen Deutsche meistens mehr über Abraham Lincoln und seine Ideale als Amerikaner. Sie sprechen auch sehr gut englisch. Es macht mir sehr viel Spaß, meinen deutschen Besuchern das Haus der Lincolns zu zeigen. Eines Tages sprach mich einer dieser deutschen Gäste an und stellte sich als Christian Finke vor. Er sah wohl mein Namensschild und dachte, wir seien möglicherweise verwandt. Tatsächlich hieß mein Urgroßvater auch Christian Finke. Verwandt waren wir leider nicht, aber ich habe ihn dann mit viel Freude durch das Haus geführt."
Auch uns hat Gene Finke mit viel Freude durch das Haus der Lincolns geführt, und er gab uns noch wertvolle Ratschläge mit auf unserem weiteren Weg durch Springfield. Das ganze Viertel rund um das Haus der Familie Lincoln wurde in den Zustand um 1860 gebracht, was den Besucher regelrecht in diese Zeit zurück versetzt. Apropos Deutsche in Springfield. Etwa 90 Jahre nach Lincolns Zeit, Ende der 50iger und Anfang der sechziger Jahre, kamen die beiden Schwestern Edith Baumhardt und Gisela Motzkus in diesen Ort, der dreieinhalb Autostunden südwestlich von Chicago, wir würden sagen, mitten auf dem Land liegt. Wir treffen die beiden Damen auf dem großen Platz vor dem Old State Capitol, und Edith erzählt uns von ihren damaligen Eindrücken.
"Die größte Überraschung war... ich habe natürlich gedacht: Illinois, in der Mitte von Amerika, die Hauptstadt ist Springfield, das muss ja was sein, denn ich kannte ja Berlin, obwohl es kaputt war. Meine Verwandten holten mich vom Bahnhof ab, es war im März, ein kalter Tag, Schnee auf der Erde, aber sonst sonnig. Meine Verwandten setzten mich in ihren großen Wagen und fuhren los. War waren fast bei ihnen zuhause, da fragte ich: "Ja hört mal, wo ist den Springfield?" "Ja so was, das sind wir doch gerade durchgefahren, hast Du denn das nicht gesehen." Also, Sie können sich vorstellen, wie groß oder wie klein Springfield war."
Die deutsche Gemeinde in Springfield scheint seit Abraham Lincolns Zeit sehr lebendig zu sein, und das, wie wir von Edith hören, bis auf den heutigen Tag.
"Wir haben einen Deutschen Club gegründet, 1967 hier in Springfield, der heute noch sehr aktiv ist. Also ganz toll, Deutsches Okoberfest, Karneval, Fastelovend und Fasching, Fahrradtouren, Mai-Feste, alles. Und wir haben auch eine deutsche Schule gehabt, die leider jetzt geschlossen ist, weil die Nachkommen alle groß geworden sind."#
Fastelovend in Springfield, Illinois. Irgendwie erinnert mich Edith an die unvergessene Gisela Schlüter. Um nun weiter den Spuren von Abraham Lincoln zu folgen, geleiten uns Edith und Gisela zu dem dreigeschossigen Haus an der Ecke der Plaza. Es sind die Lincoln-Herndon Law Offices, wo er als Rechtsanwalt arbeitete. Das Ziegelsteingebäude wurde 1841 erbaut.
Die alten Holzstufen sind ausgetreten, teils schief, und das Knarren und Ächzen kündet von ihrem Alter. Im dritten Stock empfängt uns Justin Blandford.
"Wir befinden uns hier im Lincoln-Herndon Law Office, und wir gehen über dieselben
alten Fußbodenbretter, über die auch Lincoln ging, als er sein Rechtsanwaltsbüro
in diesem Gebäude hatte. Wir haben dieses alte dreigeschossige Gebäude vollständig
restauriert und für Besucher geöffnet. Während Lincolns Zeit war auch der
Gerichtssaal in diesem Gebäude."
Die Räume von Lincolns Law Office waren seit vielen Jahren verlassen und leer. Glücklicherweise wurde nichts an dem Originalzustand seines seitlichen Eingangs, der Treppe und seinen Büroräumen im dritten Stock baulich verändert, so dass man nach der perfekten Restaurierung heute wirklich über die mehr als 160 Jahre alte Treppenstufen und die Fußbodenbohlen geht, die er damals benutzte. Neben diesen wirklich historischen Brettern, auf denen er ging, gibt es in Springfield eine ganz andere Art, Präsident Lincoln zu begegnen, nämlich in der Presidential Library und dem dazugehörigen Museum.
In diesem Museum sind alle wichtigen Stationen seines Lebens in unglaublich perfekten lebensgroßen Szenen mit allen Details, die man durchwandern kann, nachgestellt. So findet man sich vor dem Weißen Haus im Kreise der Lincoln Familie wieder oder in jenem Theater in Washington, genau in der Sekunde, in der die tödlichen Schüsse fallen. Man durchwandert diese unglaublich echt wirkenden Szenen, als wäre die Zeit für einen Moment eingefroren. Gisela Motzkus, Ediths Schwester, führt die Besucher durch die einzelnen Szenen aus dem Leben Lincolns, dessen politisches Ziel unter anderem die Beendigung der Sklaverei in den Südstaaten war. Das Problem der Rassentrennung war für Gisela noch 1963 erlebbar, als sie in Amerika einwanderte und in Springfield ankam.
"Als ich rüberkam, war der Rassenunterschied noch sehr stark ausgeprägt, und das war etwas, was mir besonders auffiel, denn man ging in die Restaurants. Die Schwarzen durften in die Restaurants gehen, wurden aber nicht bedient. Sie mussten an der Tür warten. Sie konnten von der Speisekarte bestellen, was sie wollten. Sie durften es aber nicht im Restaurant essen, sie mussten es nach Hause nehmen. Das war es, was mich am Anfang sehr beeindruckt hat, dass man die Schwarzen ziemlich als zweite Klasse behandelt hatte."
Mit Edith und Gisela wandern wir weiter auf den Spuren des sechzehnten Präsidenten der Vereinigten Staaten und dem ersten Präsidenten der Republikanischen Partei. Der Anfang und das Ende der Karriere Lincolns fanden im Herzen von Springfield, im Old State Capitol, statt.
Das Old State Capitol of Illinois ist zweifellos eines jeder Gebäude in den Vereinigten Staaten, in deren ehrwürdigen Mauern entscheidende Momente amerikanischer Geschichte stattgefunden haben. Da das neue State Capitol heute in einem anderen, ebenso sehenswerten Gebäude untergebracht ist, konnten im alten Capitol alle Räume, die Inneneinrichtung, die Archive, aber auch die Architektur in ihren Originalzustand zur Zeit Abraham Lincolns ... kann man sagen ... zurückgestaltet werden. Das sind sie zweifellos. Ein Museum ist ein Museum, aber hier, in diesen Räumen fand es statt. Ob in den Büros der Abgeordneten, ob in der Bibliothek oder in den Besprechungsräumen der Parteien, fast glaubt man, die Debatten zu hören oder die Sekretäre bei ihren geschäftigen Angelegenheiten zu beobachten. Die beeindruckende zentrale Treppe unter der lichtflutenden Kuppel führt uns in das Herz des Old State Capitol, das House of Representatives, in dem uns Justin Blandford erwartet.
"Willkommen im Sitzungssaal des Repräsentantenhauses. Das ist das Kronjuwel im alten Capitol des Staates Illinois und ein wirklich historischer Raum. In diesem Raum wirkte Abraham Lincoln als Abgeordneter ab 1846. In diesem Sitzungsraum hielt er viele wichtige Reden, beispielsweise seine "House Devided" - Rede 1848. Dies ist auch der Raum, in den Lincoln als letztes zurückkehrte, nachdem er in Washington ermordet wurde. Er wurde hier vorne zum letzen Mal am 4. und 5 Mai 1865 auf einem großen schwarz dekorierten Katafalk aufgebahrt. Mehr als 70.000 Bürger kamen durch diesen Raum, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Dies hier ist seine Originalabgeordnetenbank und der Stuhl, auf dem er immer saß, und wenn Sie in der Mitte des Raumes das Bild George Washingtons anschauen, es ist heute immer noch dasselbe Bild, das auch er damals sah."
Ob dieser Ort und auch der Platz vor dem Old State Capitol einmal mehr Geschichte schreibt, das wird am 4. November entschieden, wenn sich der erste afroamerikanische Präsidentschaftskandidat, der eine reelle Chance hat, zur Wahl stellt. Unter den Säulen des Haupteingangs erinnerte sich Barak Obama am 23. August an seinen historischen Auftritt im Februar dieses Jahres an der gleichen Stelle.
"On a cold February day, right here, on the steps of the Old State Capitol I announced my candidature for the president of the United States"
Damit schließt sich der Kreis unserer Wanderung durch Springfield, die im Salon der Familie Lincoln begann, wo Abraham Lincoln verkündet wurde, dass er als Kandidat zur Präsidentschaft nominiert worden ist.
Parkranger Gene Finke, dessen Vorfahren aus Deutschland stammen, hat uns die Tür geöffnet und begrüßt uns mit einem freundlichen Lächeln.
"Willkommen im Abraham Lincoln
Haus, come on in"
Zuhause, bevor ich zu dieser Reise aufbrach, hatte ich viele historische Bilder von diesem Haus gesehen, das älteste stammt aus dem Jahr 1860 ... . Genau dieses Foto zeigt, wie wohlbehalten das Haus nahezu eineinhalb Jahrhunderte überstanden hat. Gene Finke weiß unzählige Details, vor allem auch, welche Möbelstücke und Accessoires Originale sind und aus dem Besitz der Familie Lincoln stammen. Gene Finke geleitet uns im Hausflur zunächst in den linken Raum des Erdgeschosses ...
"Wir stehen in den Salons der Familie Lincoln. Dies sind die Räume im Haus, deren Möblierung am aufwändigsten gestaltet ist. Die Lincolns benutzten diese beiden Räume für gesellschaftliche Anlässe und um Gäste zu empfangen."
Das Wort "Salons" hört sich für unsere Ohren großräumig an. Die beiden Salons der Lincolns sind eher kleine Räume. Um einen Kamin gruppieren sich gemütliche Sessel, natürlich auch der obligatorische Schaukelstuhl. In einem gedrechselten Regal mit 4 Ebenen stehen einige Bücher und eine Kristallkaraffe mit Gläsern, in denen man den Gästen gerne zur Begrüßung einen Cherry anbot. Die Tapete und auch der Teppich weisen kräftige Muster auf und, wie Gene Finke erzählt, sind sie im ganzen Haus entweder noch original oder den alten historischen Fotos entsprechend wiederhergestellt worden. In diesem Salon gab es ein wichtiges historisches Ereignis.
"Eine Delegation kam aus Chicago hier nach Springfield und verkündete Abraham Lincoln in diesem Salon, dass er formal als Kandidat für die Präsidentschaft nominiert wurde."
Manchmal wünscht man sich eine Zeitmaschine, mit der man für einige Momente diese historischen Augenblicke wieder erleben könnte. Im Haus der Lincolns ist man nahe an dieser Vorstellung, denn im Haus hat man den Eindruck, die Bewohner seien gerade nur nebenan zu Nachbarn zum Nachmittagstee gegangen. Wir begeben uns nun in die Küche. Ein großer Holzofen dominiert den Raum, und an den Wänden hängen Pfannen, Töpfe und Tiegel. Auf dem Küchentisch liegt frisches Gemüse und Obst. Aus der Küche gelangen wir wieder in den Hausflur und zur Treppe ins Obergeschoss.
"Wir begeben uns nun die Treppe hinauf zu den Schlafzimmern der Lincolns. Lassen Sie Ihre Hand ruhig das Treppengeländer hinaufgleiten. Es ist der Originalhandlauf, den Abraham Lincoln benutzte. Etwas zu berühren, das er täglich berührte, ist sicher etwas Besonderes, als gäbe man ihm heute noch die Hand."
Treppen in Häusern sind seltsame Erinnerungsträger. Sie sind in manchen Häusern dominante, repräsentativ gestalterische Elemente der Inneneinrichtung, die vieles erzählen können. Diese hier ist einfach, bescheiden, unscheinbar, und doch wehte auf ihr der Wind der Geschichte.
"Mr. und Mrs. Lincolns Schlafzimmer waren getrennt, wie es oft in der damaligen Zeit üblich war. Mrs. Lincoln schlief wohl gelegentlich in ihrem eigenen Zimmer, denn Mr. Lincoln arbeitete oft bis spät in die Nacht in seinem Schlafzimmer. Dazu hatte er eigens diesen Schreibtisch dort in der Ecke aufgestellt. Der Schreibtisch ist original, und an ihm hat er abends Briefe an seine politischen Freunde geschrieben und auch viele seiner Reden verfasst."
Der Schreibtisch ist klein, eine Art Sekretär mit Fächern an der Rückseite, aber lediglich so breit, dass der Stuhl fast zentimetergenau zwischen die grazilen Tischbeine passt.
"Hier in Illinois gab es eine große deutschstämmige Bevölkerung. In den meisten Staaten durften Immigranten nicht wählen, erst nach 5 Jahren, nachdem sie die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben hatten. In Illinois mussten die Einwanderer nur eine Wohnung nachweisen, und sie durften wählen. Und weil sich viele deutsche Immigranten registrieren ließen, bemühte sich Abraham Lincoln sehr ihre Stimmen zu gewinnen. Er schrieb sie persönlich an und veröffentliche Artikel in ihren deutschsprachigen Zeitungen. Er wusste, dass Sie die Sklaverei ablehnten und ihr kritisch gegenüberstanden. Das war auch das Ziel von Mr. Lincoln und seiner republikanischen Partei."
"Deutsche Besucher sind häufig zu Gast im Haus der Lincolns", erzählt Gene Finke. Zu manchen hat er noch heute Kontakt.
"Wir freuen uns sehr, die hier zu sehen. Sie sind erstaunlich gut informiert über Abraham Lincoln. Nach meiner Einschätzung wissen Deutsche meistens mehr über Abraham Lincoln und seine Ideale als Amerikaner. Sie sprechen auch sehr gut englisch. Es macht mir sehr viel Spaß, meinen deutschen Besuchern das Haus der Lincolns zu zeigen. Eines Tages sprach mich einer dieser deutschen Gäste an und stellte sich als Christian Finke vor. Er sah wohl mein Namensschild und dachte, wir seien möglicherweise verwandt. Tatsächlich hieß mein Urgroßvater auch Christian Finke. Verwandt waren wir leider nicht, aber ich habe ihn dann mit viel Freude durch das Haus geführt."
Auch uns hat Gene Finke mit viel Freude durch das Haus der Lincolns geführt, und er gab uns noch wertvolle Ratschläge mit auf unserem weiteren Weg durch Springfield. Das ganze Viertel rund um das Haus der Familie Lincoln wurde in den Zustand um 1860 gebracht, was den Besucher regelrecht in diese Zeit zurück versetzt. Apropos Deutsche in Springfield. Etwa 90 Jahre nach Lincolns Zeit, Ende der 50iger und Anfang der sechziger Jahre, kamen die beiden Schwestern Edith Baumhardt und Gisela Motzkus in diesen Ort, der dreieinhalb Autostunden südwestlich von Chicago, wir würden sagen, mitten auf dem Land liegt. Wir treffen die beiden Damen auf dem großen Platz vor dem Old State Capitol, und Edith erzählt uns von ihren damaligen Eindrücken.
"Die größte Überraschung war... ich habe natürlich gedacht: Illinois, in der Mitte von Amerika, die Hauptstadt ist Springfield, das muss ja was sein, denn ich kannte ja Berlin, obwohl es kaputt war. Meine Verwandten holten mich vom Bahnhof ab, es war im März, ein kalter Tag, Schnee auf der Erde, aber sonst sonnig. Meine Verwandten setzten mich in ihren großen Wagen und fuhren los. War waren fast bei ihnen zuhause, da fragte ich: "Ja hört mal, wo ist den Springfield?" "Ja so was, das sind wir doch gerade durchgefahren, hast Du denn das nicht gesehen." Also, Sie können sich vorstellen, wie groß oder wie klein Springfield war."
Die deutsche Gemeinde in Springfield scheint seit Abraham Lincolns Zeit sehr lebendig zu sein, und das, wie wir von Edith hören, bis auf den heutigen Tag.
"Wir haben einen Deutschen Club gegründet, 1967 hier in Springfield, der heute noch sehr aktiv ist. Also ganz toll, Deutsches Okoberfest, Karneval, Fastelovend und Fasching, Fahrradtouren, Mai-Feste, alles. Und wir haben auch eine deutsche Schule gehabt, die leider jetzt geschlossen ist, weil die Nachkommen alle groß geworden sind."#
Fastelovend in Springfield, Illinois. Irgendwie erinnert mich Edith an die unvergessene Gisela Schlüter. Um nun weiter den Spuren von Abraham Lincoln zu folgen, geleiten uns Edith und Gisela zu dem dreigeschossigen Haus an der Ecke der Plaza. Es sind die Lincoln-Herndon Law Offices, wo er als Rechtsanwalt arbeitete. Das Ziegelsteingebäude wurde 1841 erbaut.
Die alten Holzstufen sind ausgetreten, teils schief, und das Knarren und Ächzen kündet von ihrem Alter. Im dritten Stock empfängt uns Justin Blandford.
"Wir befinden uns hier im Lincoln-Herndon Law Office, und wir gehen über dieselben
alten Fußbodenbretter, über die auch Lincoln ging, als er sein Rechtsanwaltsbüro
in diesem Gebäude hatte. Wir haben dieses alte dreigeschossige Gebäude vollständig
restauriert und für Besucher geöffnet. Während Lincolns Zeit war auch der
Gerichtssaal in diesem Gebäude."
Die Räume von Lincolns Law Office waren seit vielen Jahren verlassen und leer. Glücklicherweise wurde nichts an dem Originalzustand seines seitlichen Eingangs, der Treppe und seinen Büroräumen im dritten Stock baulich verändert, so dass man nach der perfekten Restaurierung heute wirklich über die mehr als 160 Jahre alte Treppenstufen und die Fußbodenbohlen geht, die er damals benutzte. Neben diesen wirklich historischen Brettern, auf denen er ging, gibt es in Springfield eine ganz andere Art, Präsident Lincoln zu begegnen, nämlich in der Presidential Library und dem dazugehörigen Museum.
In diesem Museum sind alle wichtigen Stationen seines Lebens in unglaublich perfekten lebensgroßen Szenen mit allen Details, die man durchwandern kann, nachgestellt. So findet man sich vor dem Weißen Haus im Kreise der Lincoln Familie wieder oder in jenem Theater in Washington, genau in der Sekunde, in der die tödlichen Schüsse fallen. Man durchwandert diese unglaublich echt wirkenden Szenen, als wäre die Zeit für einen Moment eingefroren. Gisela Motzkus, Ediths Schwester, führt die Besucher durch die einzelnen Szenen aus dem Leben Lincolns, dessen politisches Ziel unter anderem die Beendigung der Sklaverei in den Südstaaten war. Das Problem der Rassentrennung war für Gisela noch 1963 erlebbar, als sie in Amerika einwanderte und in Springfield ankam.
"Als ich rüberkam, war der Rassenunterschied noch sehr stark ausgeprägt, und das war etwas, was mir besonders auffiel, denn man ging in die Restaurants. Die Schwarzen durften in die Restaurants gehen, wurden aber nicht bedient. Sie mussten an der Tür warten. Sie konnten von der Speisekarte bestellen, was sie wollten. Sie durften es aber nicht im Restaurant essen, sie mussten es nach Hause nehmen. Das war es, was mich am Anfang sehr beeindruckt hat, dass man die Schwarzen ziemlich als zweite Klasse behandelt hatte."
Mit Edith und Gisela wandern wir weiter auf den Spuren des sechzehnten Präsidenten der Vereinigten Staaten und dem ersten Präsidenten der Republikanischen Partei. Der Anfang und das Ende der Karriere Lincolns fanden im Herzen von Springfield, im Old State Capitol, statt.
Das Old State Capitol of Illinois ist zweifellos eines jeder Gebäude in den Vereinigten Staaten, in deren ehrwürdigen Mauern entscheidende Momente amerikanischer Geschichte stattgefunden haben. Da das neue State Capitol heute in einem anderen, ebenso sehenswerten Gebäude untergebracht ist, konnten im alten Capitol alle Räume, die Inneneinrichtung, die Archive, aber auch die Architektur in ihren Originalzustand zur Zeit Abraham Lincolns ... kann man sagen ... zurückgestaltet werden. Das sind sie zweifellos. Ein Museum ist ein Museum, aber hier, in diesen Räumen fand es statt. Ob in den Büros der Abgeordneten, ob in der Bibliothek oder in den Besprechungsräumen der Parteien, fast glaubt man, die Debatten zu hören oder die Sekretäre bei ihren geschäftigen Angelegenheiten zu beobachten. Die beeindruckende zentrale Treppe unter der lichtflutenden Kuppel führt uns in das Herz des Old State Capitol, das House of Representatives, in dem uns Justin Blandford erwartet.
"Willkommen im Sitzungssaal des Repräsentantenhauses. Das ist das Kronjuwel im alten Capitol des Staates Illinois und ein wirklich historischer Raum. In diesem Raum wirkte Abraham Lincoln als Abgeordneter ab 1846. In diesem Sitzungsraum hielt er viele wichtige Reden, beispielsweise seine "House Devided" - Rede 1848. Dies ist auch der Raum, in den Lincoln als letztes zurückkehrte, nachdem er in Washington ermordet wurde. Er wurde hier vorne zum letzen Mal am 4. und 5 Mai 1865 auf einem großen schwarz dekorierten Katafalk aufgebahrt. Mehr als 70.000 Bürger kamen durch diesen Raum, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Dies hier ist seine Originalabgeordnetenbank und der Stuhl, auf dem er immer saß, und wenn Sie in der Mitte des Raumes das Bild George Washingtons anschauen, es ist heute immer noch dasselbe Bild, das auch er damals sah."
Ob dieser Ort und auch der Platz vor dem Old State Capitol einmal mehr Geschichte schreibt, das wird am 4. November entschieden, wenn sich der erste afroamerikanische Präsidentschaftskandidat, der eine reelle Chance hat, zur Wahl stellt. Unter den Säulen des Haupteingangs erinnerte sich Barak Obama am 23. August an seinen historischen Auftritt im Februar dieses Jahres an der gleichen Stelle.
"On a cold February day, right here, on the steps of the Old State Capitol I announced my candidature for the president of the United States"
Damit schließt sich der Kreis unserer Wanderung durch Springfield, die im Salon der Familie Lincoln begann, wo Abraham Lincoln verkündet wurde, dass er als Kandidat zur Präsidentschaft nominiert worden ist.