Als Karl-Heinz Klein mit seinem Fahrrad ans Speyerer Rheinufer kommt, um den Leichnam Helmut Kohls zu empfangen, steht er noch stark unter dem Eindruck des ergreifenden Europäischen Traueraktes in Straßburg. Der stattliche Mann im Rentenalter gibt zu, dass er mit den Tränen kämpfen musste:
"Für mich war die Rede von Macron – speziell von Juncker, Clinton sehr stark und auch Merkel. Das waren für mich die größten Reden, die auch wirklich ans Gemüt gingen. Da haben wir alle zu kämpfen gehabt."
Karl-Heinz Klein empfindet es wie viele andere Beobachter gestern: Die beeindruckenden Reden der Staatsmänner und Frauen am mit der Europafahne bedeckten Kohl-Sarg in Straßburg können eine Stärkung für den Europagedanken sein: Wie in diesem Jahr bereits die Bewegung "Pulse of Europe" oder der Wahlsieg Emmanuel Macrons in Frankreich:
"Ich bin der Hoffnung, dass sich ab heute sich in Europa eine ganz große Wende finden muss."
Nie wieder Krieg in Europa
Bernhard Quadflieg ist zwar in Speyer geboren, doch seine Mutter ist Straßburgerin. Sie gehörte 1953 zu den französischen und deutschen Katholiken, die gemeinsam die Speyerer Bernhardskirche als Friedenskirche stifteten. An diesem Gotteshaus wurde Helmut Kohl gestern Abend bestattet - nach der langen Abschiedsreise von Straßburg über Ludwigshafen bis zum Requiem im Dom zu Speyer.
Kohls letzte Ruhestätte liegt im sogenannten "Adenauer-Park", der so heißt, weil Nachkriegsbundeskanzler Konrad Adenauer in den 50er Jahren persönlich die Friedenskirche eingeweiht hatte. Nie wieder Krieg in Europa, das ist auch für Bernhard Quadflieg - den Speyerer mit französischen Wurzeln – das politische Vermächtnis Helmut Kohls und Auftrag an künftige Generationen:
"Es ist schon richtig, dass er in Speyer bestattet wird, im Adenauerpark. Bei der Bernhardskirche, die die Friedenskirche ist. Wo meine Mutter auch, die aus Straßburg kommt, mitgewirkt hat, an der Stiftung der Bernhardskirche."
Doch noch wichtiger als die Friedenskirche an seinem Grab war für Helmut Kohl zeitlebens der Speyerer Dom, die größte noch erhaltene romanische Kirche der Welt. Hier hatte er bereits als Kind Schutz vor Bombenangriffen gefunden. In den Dom kam Helmut Kohl sein Leben lang immer wieder zurück, nicht nur mit Staatsgästen wie nach dem Mauerfall mit Michael Gorbatschow. Sondern immer wieder auch ganz allein und unangemeldet. Daran erinnert sich Walter Hoinka, der in den 80er Jahren Mitglied des Domchors war:
"Wann war denn das – ich glaube so 1982 oder 83, da war sich im Speyerer Domchor, war noch ein kleiner Bub, wir hatten gerade gesungen. Ich will dann den Dom verlassen, auf einmal steht da eine mächtige Wand vor mir und ich gucke rauf und denke: Oh, Gott, was ist das denn, das ist ja Herr Kohl. Ich sage dann: Guten Tag, Herr Kohl, ganz anständig. Er gibt mir die Hand und da war ich doch ganz schön überrascht."
Als der "Mantel Gottes durch die Geschichte wehte"
Geschichten solcher Art kann man viele hören an diesem Tag in Speyer – wenn auch immer wieder darüber diskutiert wird, ob eine Beisetzung Helmut Kohls im Familiengrab in Ludwigshafen nicht angemessener gewesen wäre.
Für Malgorzata Banasik ist diese Diskussion zweitrangig. Die Polin ist zum Abschied von Helmut Kohl gekommen, weil sie sich noch gut daran erinnern kann, wie es war, bevor 1989 im gespaltenen Europa plötzlich der "Mantel Gottes durch die Geschichte wehte". Helmut Kohl hat den Saum dieses Mantels ergriffen und tatkräftig daran mitgewirkt, den eisernen Vorhang zu öffnen. Daran erinnerte gestern in Straßburg Jean-Claude Juncker und das vergisst auch Malgorzata Banasik nicht:
"Wenn ich früher nach Deutschland fuhr, konnte ich nur Ostdeutschland besuchen und auch Ost-Berlin besuchen. Die Leute mussten getrennt leben und es gab keine Möglichkeit, die Familie zu besuchen und zusammen zu treffen. Das war schwierig und das natürlich gefiel mir nicht."
Helmut Kohl wird wohl immer der Kanzler der Einheit sein. Seit gestern ist klar: Nicht nur im kollektiven Gedächtnis Deutschlands, sondern auch in ganz Europa.