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Helmut Kohl im Rollstuhl
Lukas Bärfuss mit "Elefantengeist" in Mannheim

Was war die Bonner Republik? Das lässt Christian Holtzhauer, neuer Schauspielintendant am Nationaltheater Mannheim, zur Saisoneröffnung den Schweizer Lukas Bärfuss auskundschaften. Sein Stück "Elefantengeist" bringt Helmut Kohl samt Kanzlerbungalow auf die Bühne.

Von Christian Gampert |
    Martin Weigel, Süßmilch, László Branko Breiding, Matthias Breitenbach als Helmut Kohl im Rollstuhl sitzend (v.l.n.r.) im Stück "Der Elefantengeist" von Lukas Bärfuss.
    Mit goldener Krone und im Rollstuhl - Matthias Breitenbach als Helmut Kohl in "Der Elefantengeist". (Nationaltheater Mannheim / Christian Kleiner)
    Was ist das Elefantöse an Helmut Kohl? Ist es nur der massige Körper, ist es die Rücksichtslosigkeit, mit der er sich in Partei und Familie durchsetzte? Der Elefant im Porzellanladen? Dabei ist der Elefant doch eigentlich ein gutmütiges Tier. Das kann man Helmut Kohl nicht bescheinigen. Zweite Frage: ist Helmut Kohl eine Theaterfigur? Auch da: klares Nein. Als Typus ist er interessant, als Provinzler, der sich in die Weltpolitik wagt. Als Politiker ist Kohl weitgehend banal, gesponserte Netzwerke, durchschaubarer Egoismus gepaart mit Bonhomie.
    Archäologen suchen nach der Bonner Republik
    Der Schweizer Autor Lukas Bärfuss verarbeitet Helmut Kohl nun zum überdimensionierten Hintergrundschatten eines Theaterstücks. Aber schon der Titel ist falsch. Bärfuss hat, vom Behinderten-Sex bis zur Sterbehilfe, immer gute Themen gehabt, aber selten die richtige Form dafür gefunden. Hier schickt er, in einer fernen Zukunft, einen Trupp von Archäologen in die Bonner Rheinaue, die den Geist der alten Bundesrepublik erforschen wollen – also das skurrile Denken einer untergegangenen Kultur des 20.Jahrhunderts. Das ist eine vielversprechende Idee, die dann leider in vielen Episödchen verläppert. Nebel über der Rheinaue. Der Forscher und seine Kollegen entern den Bonner Kanzler-Bungalow und finden dort ein verfaultes Buch. Liegt dort das Geheimnis des Doktor Kohl? Nein. Aber die Expeditionsteilnehmer, die sich alle im Psycho-Modus totaler Rationalität befinden, werden nun von merkwürdigen Anfällen von Leidenschaft ergriffen: im Sinne eines Re-Enactments werden Szenen aus dem Leben eines Pfälzer Politikers nachgestellt, der sich seine Karriere, so die These des Stücks, weitgehend von der Nazi- und Rüstungsfamilie Flick finanzieren ließ.
    Selbstgefälliger König Kohl
    Das kann man so sehen. Verwunderlich aber ist, dass Bärfuss ausgiebig gegen Kohls Parteispenden-System wettert, für seine intellektuelle Unzulänglichkeit und die rettende, ihm in den Schoß fallende Wiedervereinigung aber überhaupt keinen Blick hat.
    Wie kann man sowas inszenieren? Insgesamt vier Forscher verwandeln sich in kleine Kanzler, am überzeugendsten Matthias Breitenbach, der den selbstgefälligen König Kohl gibt. Die Inszenierung von Sandra Strunz nutzt optisch und akustisch ein paar klare Signale: die bedrohliche Bühnenmusik der beiden gelernten Jazzer Karsten und Rainer Süßmilch tutet mit Basstuba, Posaune und Horn über alle Schwächen des Stücks elefantös hinweg, und der gläserne Kanzlerbungalow, den Bühnenbildnerin Sabine Kohlstedt hinstellt, ist ein kleines Theater für sich: durchsichtige Herrschafts-Architektur, vom großen Vorhang ummantelt.
    Wie kaputt war die Familie?
    Insgesamt aber findet Sandra Strunz keinen Rhythmus, keine Tonlage für das schwierige Thema. Auf elegische Passagen folgt vorhersehbar ein wenig Hysterie. Melancholie ist kaum zugelassen, obgleich die kaputte Kohl-Familie dafür viel Anlass böte. Im Gegensatz zum banalen Kanzler ist die geknechtete Gattin Hannelore Kohl eine Bühnenfigur par excellence: im Krieg vergewaltigt, vom Ehemann benutzt, als Repräsentationspüppchen missbraucht. Die Schauspielerin Johanna Eiworth geht das gut an – und gleitet dann viel zu schnell in selbstbewusste, feministische Faxen ab. Hannelore Kohl als Emanzipations-Nudel, das kann es nicht sein.
    Nancy Mensah-Offei, Arash Nayebbandi, Maria Munkert, Christoph Bornmüller, Patrick Schnicke, Sarah Zastrau, Almut Henkel, Nikolas Fethi Türksever (v.l.n.r.) auf der Dschungel-Bühne für "Die Räuber" von Friedrich Schiller.
    Regisseur Christian Weise hat "Die Räuber" in den Dschungel verlegt. (Nationaltheater Mannheim / Hans Jörg Michel)
    Sandra Strunz bedient sich nervender Mittel wie der Dauer-Wiederholung, um Hannelore Kohls Leiden und Aufbegehren in den Slapstick zu übersetzen. Noch nervender allerdings die grauenvolle "Räuber"-Inszenierung von Christian Weise, die die Spielzeit eröffnete: deutsche Kolonisten im brasilianischen Urwald spielen Schiller. So ist es dann auch. Christian Holtzhauer, der neue Mannheimer Intendant, geht also hohes Risiko. Das Kohl-Projekt nutzt leider die Chance nicht, bundesrepublikanische Geschichte als desaströses Familien-Requiem zu erzählen. Nur ganz selten kommt es dazu: am Schluss sitzt der alte König Kohl im Rollstuhl, in einer Phalanx flankiert von Doubles, Meike Richter und den Archäologen. Die Frau hat sich umgebracht, die Söhne hast du verstoßen, heißt es da. Das bist du, ein alter böser Elefant.