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Vertrauensfrage vor 40 Jahren
Als Helmut Kohl im Bundestag auf Niederlage spielte

Am 17. Dezember 1982 stellte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl im Bundestag die "Vertrauensfrage" nach Artikel 68 des Grundgesetzes. Er verlor die Abstimmung absichtlich, um so den Weg für Neuwahlen frei zu machen.

Von Otto Langels |
 CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl (Bildmitte) am 17.12.1982 im Bundestag im Gespräch mit Fraktionskollegen vor der Abstimmung über die Vertrauensfrage.
CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl (Bildmitte) am 17.12.1982 im Bundestag vor der Abstimmung über die Vertrauensfrage. (picture-alliance / dpa / Heinrich Sanden)
„Nach Artikel 68 des Grundgesetzes ist für die Annahme des Antrags die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags erforderlich, d.h. 249 Ja-Stimmen.“

Erklärte Bundestagspräsident Richard Stücklen am 17. Dezember 1982. Zur Abstimmung stand der Antrag des christdemokratischen Bundeskanzlers Helmut Kohl, ihm das Vertrauen auszusprechen – eine fingierte Vertrauensfrage. Denn obwohl der Kanzler eine Regierungsmehrheit von CDU/CSU und FDP hinter sich wusste, wollte er die Abstimmung verlieren: „Mein Antrag soll dazu beitragen, dass der Weg zu Neuwahlen geöffnet werden kann.“

Durch Lagerwechsel der FDP ins Amt gekommen

Helmut Kohl war seit dem 1. Oktober 1982 Bundeskanzler, ins Amt gekommen jedoch nicht durch reguläre Wahlen, sondern weil die FDP mitten in der Legislaturperiode die Koalition mit der SPD aufgekündigt und das politische Lager gewechselt hatte. Das neue Bündnis wollte Kohl durch eine vorgezogene Bundestagswahl legitimieren, zumal Umfragen auf einen klaren Sieg für Union und FDP hindeuteten:
„Für die weitere Arbeit der Koalitionsparteien bedarf es einer neuen parlamentarischen Grundlage. Und diese Grundlage soll der Wähler gewähren.“

Missbrauch des Misstrauensvotums?

Das Vorgehen Helmut Kohls war umstritten. Kritiker sahen darin einen Missbrauch der Verfassung, sollte der Bundeskanzler doch nur im Fall einer Regierungskrise oder einer politisch instabilen Lage auf Artikel 68 des Grundgesetzes zurückgreifen, nicht aber, um aus wahltaktischem Kalkül bewusst eine Abstimmungs-Niederlage herbeizuführen. Diesen Weg, dem Kanzler das Misstrauen auszusprechen, hatte freilich schon im Herbst 1972 Willy Brandt beschritten. - zehn Jahre später erklärte der SPD-Vorsitzende im Bundestag allerdings:
„Nun können wir doch alle wohl nicht wollen, dass eine jeweilige Regierung mit ihrer jeweiligen Mehrheit den ihr günstig erscheinenden Neuwahlzeitpunkt selbst aussucht, statt in der vom Grundgesetz bestimmten Vierjahresfrist ihre Aufgaben zu erfüllen und sich danach den Wählern zu stellen.“

Im Sinne der Väter des Grundgesetzes?

Dagegen verwiesen Regierungsvertreter darauf, dass Artikel 68 dem Bundeskanzler erlaube, die Wähler an der Urne zur Unterstützung seiner Politik aufzurufen. Theo Waigel, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, erinnerte an einen der Väter des Grundgesetzes.
„Es war der SPD-Abgeordnete Dr. Katz, damals Justizminister von Schleswig-Holstein, der im Jahre 1948 die Aufnahme in das Grundgesetz beantragte. ‚Der Sinn des Artikels ist, der Regierung die Chance einer Neuwahl zu geben, wenn sie es für gegeben erachtet.‘ Soweit das Zitat.“
Ungeachtet verfassungsrechtlicher Bedenken, Vorwürfen politischen Missbrauchs und Warnungen vor instabilen „Weimarer Verhältnissen“ durch wiederholte Parlamentsauflösungen, war das Votum im Bundestag eindeutig:
„Mit Ja haben gestimmt acht. Mit Nein haben gestimmt 218. Enthalten haben sich 248. Der Antrag des Bundeskanzlers hat somit nicht die erforderliche Mehrheit gefunden.“

Klagen in Karlsruhe

Der Bundestag hatte dem Kanzler das Vertrauen entzogen. Der Weg zu Neuwahlen war frei, sofern Bundespräsident Karl Carstens der Auflösung des Parlaments zustimmte. Dieser erklärte am 7. Januar 1983:
„Ich möchte zunächst ganz klarstellen, dass ich den Bundestag nicht auflösen würde, wenn nach meiner Überzeugung eine Mehrheit sich auf diesem Wege Vorteile bei der Wahl unter Verletzung der Interessen der Minderheit verschaffen würde.“

Vier Abgeordnete akzeptierten das Vorgehen jedoch nicht und reichten Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Karlsruher Richter billigten mit großen Bedenken Kohls Weg zu Neuwahlen, betonten in einer umstrittenen Urteilsbegründung zugleich aber, dass die Vertrauensfrage nur in einer „echten“ Krise zulässig sei. Aus den Neuwahlen im März ging Helmut Kohl als eindeutiger Sieger hervor, der Kanzler hatte sein Ziel erreicht: die Legitimation der schwarz-gelben Koalition. Insgesamt 16 Jahre blieb er an der Macht.

Kanzler Schröder scheiterte 2005 an der Vertrauensfrage

2005 wählte der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder den gleichen Weg: Er stellte die Vertrauensfrage, die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten sprach ihm das Misstrauen aus und besiegelte damit das Ende der rot-grünen Koalition.