Er wollte es dann doch noch sagen. 2015, mit 96 Jahren bekennt Helmut Schmidt einen Seitensprung. Eine Überraschung: Seine Beziehung zu Ehefrau Loki galt den Deutschen doch stets als Vorzeigeehe und sie hielt: "Das sind insgesamt mehr als 68 Jahre gewesen. Das soll erst mal jemand nachmachen."
Eine Schülerliebe. Es hat nicht lange gedauert, erzählt Loki Schmidt kurz vor ihrem Tod, "bis mein kleiner Klassenkamerad Helmut Schmidt merkte, das bei uns eine ganze Menge los war, nämlich das wir Musik machten und das wir malten."
Musik wird neben dem Segeln und Schachspielen zur großen Leidenschaft des Helmut Schmidt. Bis ins hohe Alter setzt er sich ans Klavier. Musik war für ihn stets ein Lebenselixier, auch während der Regierungsjahre.
"Es ist ein seelisches Bedürfnis. Musik, hat Johann Sebastian Bach einmal gesagt, dient zur Rekreation des Gemütes, zur Erholung der Seele auf Deutsch."
Diesen Ausgleich hat er oft gebraucht, ob als Fraktionschef, als Verteidigungs- oder Finanzminister oder eben als Bundeskanzler. Aufregend ist das Leben des Hanseaten mit der Prinz-Heinrich-Mütze stets. Sein Aufstieg beginnt mit der Sturmflut von 1962. Damals ist er Krisenmanager in Hamburg, ein Innensenator, der unrasiert und übernächtigt über den Bildschirm flimmert und in der Republik bekannt wird: "Wir halten es für selbstverständlich, dass jeder seine Verwandten und seine Freunde aufnimmt."
Legendäre Rededuelle im Bundestag
Seine Auftritte im Bundestag sind legendär, immer wieder kommt es zu Rededuellen zwischen ihm und CSU-Chef Franz-Josef Strauß:
Schmidt: "Dieser Mann hat keine Kontrolle über sich und deshalb darf er erst recht keine Kontrolle über unseren Staat bekommen."
Strauß: "Es ist schon eine groteske Tatsache, dass der Kanzler seine ideologisch zerrissene Partei beschwört, das tun zu dürfen, was sein Herausforderer von ihm verlangt."
Strauß: "Es ist schon eine groteske Tatsache, dass der Kanzler seine ideologisch zerrissene Partei beschwört, das tun zu dürfen, was sein Herausforderer von ihm verlangt."
Mit den eigenen Genossen gerät Helmut Schmidt häufig aneinander. Nicht nur im Streit um die Nachrüstung der NATO zum Ende seiner Amtszeit 1982.
"Die Weltwirtschaft ist durch diese Verwerfungen in eine Krise geraten, die ihr nicht begreifen wollt - ihr beschäftigt euch mit der Krise des eigenen Hirns statt mit den ökonomischen Bedingungen, mit denen wir es zu tun haben."
Die schnoddrige Art der Schmidt-Schnauze macht ihn in den 70er-Jahren auch zum beliebten Objekt der Satire. Wirtschaftsrezession und Ölkrise werden zu seinen Herausforderungen, als er 1974 nach dem Rücktritt von Willy Brandt Kanzler wird. Drei Jahre später ist es der Terror der RAF. Schmidt reagiert mit harter Hand, die Befreiung der Lufthansa-Maschine Landshut auf dem Flughafen von Mogadischu gelingt.
Für ihn war damals klar: "Wenn diese Sache schief geht, dass trete ich morgen zurück." Die folgende Ermordung des entführten Arbeitgeberpräsidenten konnte der Kanzler nicht verhindern. "Die Nachricht von dem Mordanschlag auf Hanns Martin Schleyer und die ihn begleitenden Beamten hat mich tief getroffen."
Nur in der Kirche wird nicht geraucht
Fehler hat er gemacht. Doch längst ist der Altkanzler im hohen Alter auch für die Jugend zur Kultfigur geworden, obwohl oder gerade weil er als öffentlich Kette rauchender Elder Statesman nicht gerade ein Vorbild war.
"Herr Schmidt, gibt es einen Ort, an dem Sie nicht rauchen? Wo Sie sagen, da packe ich keine Zigarette an?" - "In der Kirche."
Als er 2011 auf dem Parteitag der SPD im Rollstuhl sitzend weit über eine Stunde lang redet und sich anschließend eine Zigarette anzündet, grölt der Saal. Stehend hält er minutenlang Ovationen, obwohl es längst nicht allen in der Partei gefällt, dass er Peer Steinbrück kurz zuvor zum Kanzlerkandidaten ausgerufen hat: "Er ist einer von denen, die wirklich wissen, worüber sie reden."
Schmidt sagt bis zuletzt, was er denkt. Als Mitherausgeber der Zeit kritisiert er Kanzlerin, Außenminister oder Unionsfraktionschef für ihr Verhalten in der Euro-Krise: "Wenn aber ein Deutschnationaler zu verstehen gibt, heute und künftig werde in Europa Deutsch gesprochen, dann ist das alles nur schädliche, deutschnationale Kraftmeierei."
Was Schmidt auf seinem Grabstein lesen will
Verständnis zeigt er für den russischen Präsidenten Wladimir Putin, Vorwürfe macht er den Europäern: "Der Versuch, die Europäische Union auszudehnen auf die Ukraine, das ist ein ziemlicher Blödsinn, das ist geopolitische Kinderei."
Den Trost an ein Leben nach dem Tod brauche er nicht, bekennt er einmal im Gespräch mit Sandra Maischberger, und dass ihm das Älterwerden schwerfällt: "Ich finde es ziemlich lästig, aber ich habe auch nichts dagegen." - "Wollen Sie 100 Jahre alt werden?" - "Nein, will ich nicht." - "Aber verhindern können Sie es auch nicht." - "Will ich auch nicht, nein."
Was auf seinem Grabstein stehen sollte, das hat Helmut Schmidt vor vielen Jahren selbst schon einmal formuliert: "Das war einer, der hat versucht, seine Pflicht anständig zu tun."