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Vor 40 Jahren
Als Helmut Schmidt die sozialliberale Koalition aufkündigte

Die Bundestagswahl 1980 bescherte der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt eine deutliche Mehrheit. Doch bei SPD und FDP knirschte es in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Am 17. September 1982 kündigte der Bundeskanzler die Koalition auf.

Von Otto Langels |
Bundeskanzler Helmut Schmidt bei seiner Rede am 17. September 1982 im Bundestag
Bundeskanzler Helmut Schmidt bei seiner Rede im Bundestag am 17. September 1982, als die FDP-Minister aus der sozialliberalen Regierung austraten. Am 1. Oktober 1982 wird Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum abgewählt (picture-alliance / Sven Simon / SVEN SIMON)
"Wenn jetzt eine geschichtliche Epoche in der Entfaltung unseres demokratischen Gemeinwesens beendet wird, wenn jetzt die Zukunft ungewiss ist, so will ich in diesem Zusammenhang meinen Stolz auf das in der sozialliberalen Koalition Geleistete noch einmal hervorheben."

Das erklärte Bundeskanzler Helmut Schmidt am 17. September 1982 im Deutschen Bundestag. Der Tag markierte das Ende einer 13-jährigen Zusammenarbeit von SPD und FDP in Bonn unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt.

Satter Sieg bei Bundestagswahl 1980

Nach dem für die sozialliberale Koalition siegreichen Ausgang der Bundestagswahl am
5. Oktober 1980 hatte der Bundesaußenminister und FDP-Vorsitzende Hans-Dietrich Genscher noch am selben Abend betont:
"Die Koalition hat sich gut entwickelt, und das ist ein guter Startschuss für die nächsten vier Jahre."

Zankäpfel NATO-Doppelbeschluss und Sozialpolitik

Doch statt erfolgreicher vier Jahre zeichneten sich bald zunehmende Differenzen im Regierungsbündnis ab. Die drohende Stationierung von US-amerikanischen Mittelstreckenraketen aufgrund des sogenannten NATO-Doppelbeschlusses, die künftige Haltung der NATO gegenüber der Sowjetunion und die schwierige wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik führten zu Flügelkämpfen in der SPD, vor allem aber zu wachsenden Spannungen zwischen Sozial- und Freidemokraten. Hans-Dietrich Genscher, nunmehr im Herbst 1982:
„In den Beratungen im Herbst 1981, Anfang 1982 und im Sommer 1982 hat sich gezeigt, dass unter den gegebenen Bedingungen die Unterschiede in den Grundsatzpositionen einer liberalen Partei und einer sozialdemokratischen Partei deutlich zum Ausdruck kommen.“

Nur noch Interessen der Wirtschaft vertreten?

So forderte der wirtschaftsliberale Flügel der FDP unter der Führung von Otto Graf Lambsdorff angesichts einer Weltwirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit Einschnitte in das soziale Netz, etwa Kürzungen beim Kinder- und Arbeitslosengeld, eine stärkere Haushaltskonsolidierung und die konsequente Durchsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien. Die Sozialdemokraten sahen darin den Versuch, nur noch die Interessen der Wirtschaft zu vertreten. Der Parteivorsitzende Willy Brandt sagte unter Beifall an die Adresse der FDP gerichtet:
„Sie konnten nicht glauben, Sie hätten es bei der SPD mit einer Vereinigung von Leuten zu tun, mit denen man machen kann, was man will. Die Einlassungen des Wirtschaftsministers Graf Lambsdorff stellten für uns Sozialdemokraten eine Zumutung dar, eine Zumutung an Einseitigkeit, vor allem, was die Komponente sozialer Gerechtigkeit und was den Wert des sozialen Friedens in diesem Lande angeht.“
Der Konzernchef Friedrich Karl Flick (M) stand am 15.03.1984 als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages in Bonn. Er bestritt mit Nachdruck, dass er oder ein Angehöriger des Flick-Konzerns in die Parteispenden-Affäre verwickelt sei.
War der Parteispenden-Skandal um Konzernchef Friedrich Karl Flick der wahre Grund für das Ende der sozialliberalen Koalition? (picture alliance / Roland Witschel)

Flick-Parteispenden-Skandal erschüttert FDP

Neben den sozialen und wirtschaftlichen Differenzen vermutete die FDP-Bundestagsabgeordnete Hildegard Hamm-Brücher noch ein weiteres Motiv für die politische Wende ihrer Partei: der Flick-Parteispenden-Skandal, in den unter anderen Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff verwickelt war. Vergeblich hatte die FDP von der SPD eine Amnestie für die in die Affäre verstrickten Politiker gefordert. Hildegard Hamm-Brücher:
„Der Parteispendenskandal, das war ja nach meiner festen Überzeugung dann der entscheidende Punkt, weshalb dieses ganze Misstrauens-Trara da inszeniert worden ist und nicht, dass nun also die Verschuldung angewachsen war. Das war ja wirklich an den Haaren herbeigezogen."

FDP-Minister kommen Entlassung zuvor

Der Zerfall der Koalition war nicht mehr aufzuhalten. Am 17. September 1982 traten die vier FDP-Minister der Bundesregierung zurück und kamen damit ihrer Entlassung zuvor. Hans-Dietrich Genscher erklärte:
„Herr Bundeskanzler, wir sind der Auffassung, die Koalition aus SPD und FDP ist beendet. Sie wie wir haben jetzt die Freiheit, in eigener Verantwortung zu entscheiden.“

Die Reaktion des Bundeskanzlers: Er beendete die sozialliberale Koalition, trotz nach wie vor vorhandener substanzieller politischer Gemeinsamkeiten, wie er hervorhob:
"Offenbar gibt es auch bei der FDP den einen oder anderen Kollegen, der einen solchen Wechsel in eine ungewisse Zukunft erhofft. Der Bundeskanzler weiß, dass man reisende Leute nicht aufhalten soll." (Beifall)
Der Wechsel kam schneller als erwartet. Statt vorgezogener Neuwahlen Monate später blieb Helmut Schmidt nur noch zwei Wochen Kanzler einer SPD-Minderheits-Regierung. Dann wählte der Bundestag am 1. Oktober mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP Helmut Kohl zu seinem Nachfolger. Zum ersten Mal war ein Regierungschef durch ein konstruktives Misstrauensvotum an die Macht gekommen.