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Helmut Schmidt und die heutige Politik
"Er würde an dem Grundsatz festhalten, dass ein starker Wille notwendig ist"

100 Jahre wäre Helmut Schmidt an diesem Sonntag geworden. Sein politischer Weggefährte Klaus von Dohnanyi beschreibt ihn im Dlf als einen politischen Pragmatiker. In heutigen Zeiten würde er daher die Linie von der Kanzlerin gegenüber den US-Präsidenten eher fortsetzen: sich abgrenzen, aber die Partnerschaft im Blick.

Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Stephanie Rohde |
    Altbundeskanzler Helmut Schmidt bei einer Tagung 2010 mit einer Zigarette in der Hand.
    Altbundeskanzler Helmut Schmidt starb 2015 im Alter von 96 Jahren (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Stephanie Rohde: "Starken Willen braucht man und Zigaretten", das hat Helmut Schmidt geantwortet auf die Frage, was man denn für die politische Arbeit so benötige. Morgen wäre der ehemalige Bundeskanzler 100 Jahre alt geworden. Von 1974 bis 82, also in Zeiten von Ölkrise, RAF-Terror und in Zeiten des Kalten Kriegs hat sich Schmidt den Ruf als Krisenmanager erarbeitet. Sein Ansatz, immer pragmatische Politik zu machen, verschaffte dem Sozialdemokraten viel Respekt, in der eigenen Partei allerdings, da eckte er oft an. So richtig beliebt wurde Schmidt erst nach dem Ende seiner Kanzlerschaft, als er als Publizist der "Zeit" öffentlich nachdachte über Entwicklungen in Deutschland und in Europa. Bis zu seinem Tod 2015 erarbeitete er sich dann den inoffiziellen Ruf als Universalratgeber der Nation. Was würde dieser Mann also nach diesem turbulenten Jahr 2018 sagen? Darüber kann ich jetzt sprechen mit Klaus von Dohnanyi, der zurückblicken kann auf eine lange politische Freundschaft mit Schmidt, fast ein halbes Jahrhundert lang. Er selbst war Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und später Bürgermeister von Hamburg. Guten Morgen!
    Klaus von Dohnanyi: Guten Morgen, Frau Rohde!
    Rohde: Würde Schmidt angesichts von Trump, Brexit und Rechtspopulisten sagen, da helfen auch starker Wille und Zigaretten nicht mehr?
    von Dohnanyi: Das glaube ich nicht, ich glaube, er würde an seinem Grundsatz festhalten, dass ein starker Wille notwendig ist. Was er heute tun würde, ist schwer zu sagen, weil er war eben auch ein Pragmatiker, und ich denke, er würde die Linie, die Frau Merkel gegenüber Herrn Trump gefunden hat, nämlich einerseits eine deutliche, klare Abgrenzung vorzunehmen und andererseits doch auch zu sehen, wie eng diese Partnerschaft heute ist, er würde wahrscheinlich die Linie eher fortsetzen als sie abzubrechen.
    Rohde: Nun erleben wir aber das Ende der Ära Merkel, heißt das auch, dass das pragmatische Zeitalter zu Ende gehen wird?
    von Dohnanyi: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, für Deutschland ist ein politischer Pragmatismus in unserer besonderen Lage zwischen Ost und West notwendig. Die Frage ist, ob es gewisser Korrekturen bedarf, und da bin ich dann eher wiederum in der Ära Brandt und auch vielleicht etwas eher dann bei Willy Brandt als bei Helmut Schmidt...
    Rohde: Inwiefern?
    von Dohnanyi: … der nämlich schon der Meinung war, dass man auch in solchen Zeiten eine ausgestreckte Hand haben müsse, um mit der anderen Seite auch wirklich zu verhandeln. Schmidt hat das später ja auch gemacht, am Anfang war er da eher etwas skeptisch.
    "Ich werde den Pragmatismus von Frau Merkel vermissen"
    Rohde: Welche Politikerinnen und Politiker sehen Sie denn gerade auf der Bühne, die diesen Schmidt’schen Pragmatismus haben und gleichzeitig die ausgestreckte Hand?
    von Dohnanyi: Das ist sehr schwer zu sagen, weil die Leute wachsen ja immer erst in die Aufgaben hinein, wenn sie sie übernommen haben. Also ich würde mir da kein Urteil erlauben über heutige Politiker, aber ich verschweige nicht, dass ich den Pragmatismus von Frau Merkel vermissen werde.
    Rohde: Schmidt war ja ein Mann der klaren Worte, aber bräuchte man in einer zunehmend komplexen und uneindeutigen Welt nicht jemanden, der Uneindeutigkeiten auch zulassen kann und ausdrücken kann, mehr als klare Worte zu finden?
    von Dohnanyi: Das ist eine interessante Frage. Schmidt hat das übrigens selber ja auch gemacht. Wenn Sie seine Gespräche und Beziehungen zu Honecker sehen und auch seine Bereitschaft, in Fragen der Ostpolitik Kompromisse zu machen und den Helsinki-Prozess, also diesen Prozess der Verbreitung der Menschenrechte auch in Osteuropa und in der Sowjetunion zu unterstützen, dann würde ich nicht sagen, dass er nicht auch, sage ich mal, Grautöne hat gelten lassen in der Politik, weil man das auch muss, wenn man ein Pragmatiker ist.
    Rohde: Wenn wir über Grautöne auch gerade sprechen - wir müssen sprechen über den Niedergang der Sozialdemokratie -, Schmidt hat ja auch gerne mal gesagt, dass er gegen den Strom schwimmen will. Hätte Schmidt so was wie eine linke Sammlungsbewegung von Sahra Wagenknecht in irgendeiner Form anerkennen können, vielleicht ganz pragmatisch auch als Rettung der Sozialdemokratie?
    von Dohnanyi: Nein, ganz bestimmt nicht.
    Rohde: Gar nicht?
    von Dohnanyi: Gar nicht, nein. Das wäre auch wirklich keine Rettung der Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie muss sich auf ihre wirklichen Wurzeln besinnen, und diese Wurzeln sind Vernunft, außenpolitische Bereitschaft zum Kompromiss, Friedenspolitik, und sie darf sich nicht verzetteln nur im Kleinklein der Sozialpolitik. So wichtig diese ist, aber sie ist nicht die Antwort der Sozialdemokratie allein.
    "Sozialdemokratie - mit Schuld am Zusammenbruch der Weimarer Republik"
    Rohde: Aber ist es nicht fatal, wenn Sozialdemokraten und Linke sich nicht verstehen in Zeiten von Rechtspopulismus?
    von Dohnanyi: Nein, das finde ich nicht fatal, es kommt drauf an, was man unter links bezeichnet. Diese Linke, wenn man auch gegenwärtig nach Frankreich schaut, die ja sehr zu extremen Positionen auch neigt, die kann auch dann wiederum eine Berührung mit der Rechten finden. Sie haben in Frankreich ja gegenwärtig diese Verbindung aus dieser linken Bewegung von Macron, und dann haben Sie auf der anderen Seite die Bewegung von Frau Le Pen. Also links und rechts können sich, wie man so schön auf Französisch sagt, "les extrêmes se touchent", die Extremen können sich auch berühren.
    Rohde: Und trotzdem, wenn man geschichtlich zurückschaut, dann muss man ja sagen, der Aufstieg der NSDAP wurde auch erleichtert, weil Sozialdemokraten und Kommunisten sich gegenseitig bekämpft haben.
    von Dohnanyi: Nein, das halte ich für falsch. Das wurde dadurch leider erleichtert, dass die SPD damals nicht bereit war, mit der Mitte und den Rechten zu einem bürgerlichen Kompromiss zu kommen und daher ihren eigenen Kanzler Müller im Jahr 1930 im Stich gelassen hat wegen einem halben Prozent Arbeitslosenversicherung. Nein, nein, das war wirklich...Nicht die Kommunisten und die Sozialdemokraten hätten zusammengehen müssen, sondern die SPD hätte damals, und das gilt auch für heute, das gilt auch für die heutige GroKo, eine starke Mitte bilden müssen. Das hat damals leider die Sozialdemokratie nicht gemacht, insofern war sie leider mit Schuld am Zusammenbruch der Weimarer Republik.
    Rohde: Okay, das ist eine klare Ansage von Ihnen, kommen wir noch mal zurück auf Helmut Schmidt: Der war ja der einzige Bundeskanzler, der den Zweiten Weltkrieg als Soldat erlebt hat, und Sie haben da mal gesagt, dass die nachfolgenden Generationen eine größere Leichtigkeit hätten, die wir uns vielleicht wieder abgewöhnen müssen. Warum abgewöhnen?
    von Dohnanyi: Weil ich glaube, dass man in harten Zeiten, auch Zeiten der Konfrontation sich eindeutig besinnen muss auf eine klare Position. Ich war ja eher bei der Friedenspolitik von Willy Brandt und habe da auch manche Meinungsverschiedenheiten mit Helmut Schmidt gehabt. Zum Beispiel war ich in der Frage der Nachrüstung, des Doppelbeschlusses, ja eher auf der Seite von Brandt, was Schmidt mir auch, glaube ich, bin ich sicher sogar, übel genommen hat. Aber ich glaube nicht, dass man in der heutigen Lage vorankommen kann mit einer Sicherung des Friedens für Europa, ohne ein tieferes und intensiveres Gespräch mit Russland. Und das wird leider von den USA gegenwärtig blockiert, und das halte ich für falsch.
    "Man muss auch weich sein können"
    Rohde: Wer könnte dieses Gespräch führen in der Bundesregierung?
    von Dohnanyi: Das weiß ich nicht, wer das gegenwärtig könnte. An sich ist es sehr schwer, sich aus dieser gesamteuropäischen Position, auch in der Frage der Sanktionen zu lösen. Ich bin nicht für eine Fortsetzung der Sanktionen, sage ich ganz offen, weil ich der Auffassung bin, dass man Wege finden muss, um miteinander zu reden in Zeiten, in denen wirklich Gewalt auf beiden Seiten eine Bedrohung sein kann.
    Rohde: Auch diese Bedrohung durch Russland, wenn wir die noch mal aufgreifen, mit dem, was Sie eben gesagt haben, harte Zeiten erfordern eine klare Position. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat angeregt, dass wir Belastbarkeit als neue Tugend etablieren sollten. Wäre das eine gute Idee in diesen Zeiten und in Schmidts Ära?
    von Dohnanyi: Wenn ich die verstehen würde, könnte ich antworten.
    Rohde: Es geht darum, dass Menschen belastbar werden, also dass wir nicht mehr so weich sind, sondern härter werden.
    von Dohnanyi: Ja, in welchen Fragen härter? Man muss auch weich sein können, indem man zu Verhandlungen und zu Kompromissen bereit ist. Also ich kann Sloterdijk an diesem Punkt einfach nicht verstehen, das müsste er mir dann schon erläutern.
    Rohde: Okay. Vielen Dank für dieses Gespräch! Das war Klaus von Dohnanyi, er blickt zurück auf eine lange Freundschaft mit Helmut Schmidt. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben heute Morgen!
    von Dohnanyi: Vielen Dank, Frau Rohde!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.