„Ich bin meinem Himmlischem Vater sehr dankbar, dass heute Abend dieses qualvolle Leben zu Ende geht. Mein Vater im Himmel weiß, dass ich nichts Unrechtes getan habe. Ich weiß, dass Gott lebt, und er wird der gerechte Richter über diese Sache sein.“
So der 17-jährige Widerstandskämpfer Helmuth Hübener in einem letzten Brief am Nachmittag des 27. Oktober 1942 im Gefängnis Berlin-Plötzensee - unmittelbar vor seiner Hinrichtung. Zwar hatten seine Eltern und sein Anwalt noch rasch Gnadengesuche gestellt – die auch erstaunlicherweise von der Gestapo befürwortet worden sind: Sie wertete strafmildernd, dass die Taten ihrer Ansicht nach der „Großmannssucht“ Hübeners entsprungen waren. Doch der Reichsminister der Justiz Otto Georg Thierack zeigte sich gnadenlos. Im Bericht über die Hinrichtung heißt es:
„Der Verurteilte ließ sich ohne Widerstreben vor das Fallbeilgerät führen und dort mit entblößtem Oberkörper niederlegen. Die Vollstreckung dauerte von dem Zeitpunkt der Vorführung bis zur Übergabe an den Scharfrichter zehn Sekunden. Und von der Übergabe an diesen bis zur Meldung des Scharfrichters, dass das Urteil vollstreckt sei, acht Sekunden.“
Allein für die Hinrichtung für volljährig erklärt
18 Sekunden brauchte es, um das junge Leben Helmuth Hübeners auszulöschen. Er war kurzerhand für frühreif und volljährig erklärt worden, um ihn zum Tode verurteilen zu können. Noch im Prozess vor dem sogenannten Volksgerichtshof im August 1942 gab er sich kämpferisch. Sein Freund und Mitstreiter, der 2010 gestorbene Karl-Heinz Schnibbe, beschrieb eine Szene vor Gericht:
„Sach mal, warum machen Sie denn so'n Blödsinn? Er sagt, die anderen Menschen, die sollen ja auch die Wahrheit wissen. Ja, sagt der Richter, Wahrheit! Wollen Sie mir erzählen, dass Sie dem englischen Nachrichtendienst glauben und unseren Nachrichten nicht? Und Helmuth sagt: Genau! Na, sagt er, wir müssen erst den Krieg gewinnen und auch da, da hat der Helmuth gesagt: Glauben Sie denn, dass Deutschland den Krieg gewinnen kann?“
In der Hamburger Mormonengemeinde
Helmuth Hübener jedenfalls glaubte nicht daran. Mit großer Hellsichtigkeit erkannte er die Perfidie der NS-Diktatur und durchschaute die Lüge vom sogenannten Endsieg. Hübener gehörte zur Mormonengemeinde in Hamburg und blieb geprägt von deren unbedingter Wahrheitsliebe. Douglas Tobler, emeritierter Professor für deutsche und Holocaust-Geschichte an der privaten Mormonenhochschule Brigham Young University, hat es so charakterisiert:
„Er hatte diesen Glauben, dass wenn man, irgendjemand, irgendein Deutscher wirklich versteht, was ist die Wahrheit über Hitler, was ist die Wahrheit über was geschieht in Russland, wenn man das weiß, dann werden die genau das tun und glauben wie ich.“
„Er hatte diesen Glauben, dass wenn man, irgendjemand, irgendein Deutscher wirklich versteht, was ist die Wahrheit über Hitler, was ist die Wahrheit über was geschieht in Russland, wenn man das weiß, dann werden die genau das tun und glauben wie ich.“
Vermutlich unter Folter vernommen
Als Hübener im Verlauf des Jahres 1941 an ein Radio kam, begann das, was er im Februar 1942 in einer wahrscheinlich von Misshandlungen begleiteten Vernehmung zu Protokoll gab:
„Beim Einspielen des Geräts stieß ich auf den englischen Nachrichtendienst. In der nun folgenden Zeit habe ich bis zu meiner Festnahme diesen Nachrichtendienst wöchentlich etwa vier- bis fünfmal abgehört.“
Propaganda entlarvende Flugblätter in Briefkästen abgelegt
Hübener exzerpierte die englischen Nachrichten und glich sie mit den deutschen ab. Die Ergebnisse notierte er auf einer Schreibmaschine mit Durchschlägen auf Flugblättern. Sie wurden dann von ihm und seinen drei Mitstreitern in Hamburger Arbeitervierteln an öffentlich zugänglichen Stellen wie in Telefonzellen oder auch in Briefkästen abgelegt.
Bereits im Winter 1941 sahen sie die militärische Niederlage voraus, entlarvten Propagandalügen und klagten deutsche Verbrechen an. Anfang Februar 1942 wurden Helmuth Hübener und seine Freunde denunziert und an die Gestapo verraten. Am 11. August wurden die Urteile gesprochen. Die drei Mitangeklagten erhielten teils hohe Gefängnisstrafen, weil Hübener alle Schuld auf sich genommen hatte. Dazu Karl-Heinz Schnibbe:
„Da wurden wir einzeln aufgerufen, mussten wir nach vorne kommen. So und denn: Haben Sie noch irgendwas zu sagen? Helmuth hat gesagt: Ich muss jetzt sterben, und ich habe kein Verbrechen begangen, jetzt bin ich dran, aber Sie kommen auch noch dran.“
Doch für diesmal irrte sich Hübener. Denn der Vorsitzende Richter und Vizepräsident am Volksgerichtshof, der Jurist und SS-Oberführer Karl Engert, wurde zwar in Nürnberg angeklagt, aber das Verfahren wegen einer Erkrankung ausgesetzt. Engert starb im Bett, ohne je seine Schuld zu gestehen oder gar vor Gericht gestellt zu werden.