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Helsinkis "Restaurant Day"
Schlemmen und bibbern

Vier Mal im Jahr verwandelt sich Helsinki in eine Restaurantmeile: Dann entstehen für eine Nacht in Wohnungen oder Zelten Lokale, in denen Hobbyköche Essen servieren. Am Ende zählt aber weniger die Kochkunst als das Miteinander.

Von Adama Ulrich | 17.11.2013
    "Es gibt Croissants, Brot, Wurst, Käse, Salate, Joghurt, spanische Tortillas, Kaffee, Tee und natürlich illegalen Sekt."

    Es ist 8.00 Uhr morgens. Draußen nieselt es. Im Partyzelt von Antti Tuomola, der, wie die meisten Finnen, ein perfektes Englisch spricht, herrscht bereits reges Treiben. Etwa 20 Gäste frühstücken und trinken Kaffee oder illegalen Sekt. Illegalen Sekt? Ja, denn der Ausschank von Alkohol ist in Finnland streng reglementiert, erklärt Antti. Auch am Restaurant Day, den er mit Freunden im Mai 2011 ins Leben gerufen hat.

    "Natürlich braucht man in Finnland immer eine Genehmigung, wenn man Alkohol verkaufen will. Darum gehen die Drinks hier auf mich. Bitte nichts bezahlen dafür."

    Aus dem Restaurant Day, der mit 50 Pop-up-Restaurants angefangen hat, ist ein wilder kulinarischer Karneval geworden. Beim letzten Restauranttag im August haben etwa 1.700 Pop-ups in 35 Ländern weltweit mitgemacht. Die Idee dahinter ist einfach, aber bestechend: Laien kochen einen Tag lang für Fremde. Hobbyköche öffnen dafür ihre Wohnungstüren oder gehen auf die Straße. Und das vier Mal im Jahr. Zweimal davon im eisigen finnischen Winter.

    "Im Sommer ist sowieso immer viel los in Helsinki. Es gibt etliche Veranstaltungen, Partys, Konzerte und Festivals. Aber im Winter werden wir depressiv und trinken zu viel, weil nichts los ist. Darum lieben wir die Restaurant-Tage im Winter. Da lebt die Stadt auf."

    Essen für alle Geschmäcker
    Draußen nieselt es immer noch. Das Partyzelt steht im Zentrum von Helsinki auf dem Ruttopuisto, dem sogenannten Pestpark. Offiziell heißt er allerdings Alter Kirchpark. Vor 300 Jahren wurden hier über 1.000 Pestopfer beigesetzt. Ein paar Grabsteine auf der Wiese erinnern noch daran.

    Inzwischen stehen hier zwei weitere Pop-up-Restaurants. Sie bieten heiße chinesische Suppen und ein indisches Reisgericht an. Es duftet verführerisch nach Curry und Koriander. Doch um stehen zu bleiben, ist es zu feucht. Also weiter durch Punavuori, wie die Gegend oberhalb des Hafenbeckens heißt. Der ehemalige Arbeiterbezirk ist längst zum Trendviertel geworden. Alte Eckkneipen sind teuren Bars und Restaurants gewichen.

    Ein paar Querstraßen weiter dann das nächste Pop-up. Es trägt den verheißungsvollen Namen Rohkost und Liebe". Das Ein-Tages-Restaurant befindet sich in einem Yogastudio im Souterrain eines Mietshauses. Magnus Appelberg hat hier ein optisch verlockendes, veganes Buffet aufgebaut. Der betörende Duft orientalischer Gewürze und heißer Schokolade steigt einem in die Nase.

    "Der aphrodisische Moleteller besteht aus Blumenkohl, Reis und einer Molesauce aus Ingwer, Chili und Schokolade. Das ist doch wahre Liebe."

    Die angebotenen Gerichte und Lebensmittel auf dem Schlemmerbuffet sind nicht nur vegan, sondern auch roh. Buletten und Würstchen werden aus Sonnenblumenkernen, Nüssen, Tomaten und Gewürzen zusammengemischt, das Kartoffelpüree ist ein Brei aus Karotten und Nüssen. Spaghetti werden aus rohen Zucchini gezaubert. Die Gäste, die das gesunde Menü für 15 Euro genießen, sind von weiter hergekommen und wirken ein wenig esoterisch. Heidi zum Beispiel ist extra aus einem Vorort von Helsinki angereist, um die rohen, veganen Köstlichkeiten von Magnus zu probieren.

    "Ich esse ein aphrodisierendes Gericht. Es soll Liebesgefühle wecken. Ich warte gespannt, dass die versprochene Wirkung einsetzt. Der Geschmack jedenfalls ist sehr kräftig, schokoladig und würzig."

    Schräg gegenüber bietet sich ein eigenwilliges Bild: Auf der Straße steht eine Handvoll Leute, die allesamt nach oben schauen. Folgt man den Blicken, die Hausfassade hoch, ist nichts Besonderes zu entdecken – bis auf ein weit geöffnetes Fenster, an dem sich nach einer kurzen Weile eine Frau zeigt. Und dann passiert das, worauf die Leute unten warten: Die Frau lässt einen dampfenden Weidenkorb an einem Seil herunterschweben. Unten angekommen nimmt ihn ihr Mann, Perttu Jalkanen, in Empfang und verteilt den dampfenden Inhalt an die schon ungeduldig Wartenden: Es sind köstlich warme Empanadas.

    "Das sind die Empanadas von Maradonas ‚Göttlicher Hand‘. Der Name bezieht sich auf die Fußballweltmeisterschaft, als Maradona das Tor gegen England mit der Hand gemacht hat und dann behauptete, dass das nicht seine, sondern Gottes Hand gewesen sei."

    Perttu legt die Zettel mit den neuen Bestellungen in den Korb und seine Frau Maria zieht ihn wieder nach oben. So geht das stundenlang, bis die selbst gemachten Pasteten mit Fleisch- oder Gemüsefüllung für 3,50 Euro allesamt verspeist sind.

    Schnell ins Gespräch kommen
    Normalerweise ist an Sonntagen nicht viel los auf den Straßen der finnischen Metropole – vor allem an so einem kalten, verregneten Tag wie heute. Doch am Restaurant Day ist das anders. Straßen und Plätze sind belebt. Es duftet nach exotischen Speisen. Viele Leute drängen sich unter große Schirme, um sich vor dem Nieselregen zu schützen. So kommen sie auch schneller ins Gespräch. Sie reden über das Essen und verraten, wo es noch andere leckere Pop-ups gibt.

    "Es ist wirklich schön, weil es so vielseitig ist und es keine Regeln gibt. Man kann zubereiten, was man möchte. Es ist auch nicht so teuer wie in einem richtigen Restaurant. Meist kostet ein Essen so zwischen fünf und zehn Euro."

    "Wir kommen extra vom Land, um hier zu essen. Das macht viel mehr Spaß als zuhause selber zu kochen."

    "Es könnte etwas weniger regnen."

    Das tut es aber nicht. Im Gegenteil, der Regen wird stärker. Da bietet sich der Besuch eines Pop-ups in einer Helsinkier Wohnung an.

    "Ich habe so großes Glück, in einer so schönen, geräumigen Wohnung zu wohnen. Und ich finde, es ist geradezu eine Verpflichtung, Gäste einzuladen. Außerdem sind alle so nett."

    Irja Nuru wohnt im Stadtteil Kallio, etwas nordöstlich vom Zentrum. Der einstige Arbeiterbezirk verwandelt sich peu à peu in ein hippes Ausgehviertel, wo viele Studenten und Künstler wohnen. Man muss wohl sagen: noch wohnen, denn die Preise ziehen auch hier gewaltig an. Nicht weit entfernt besitzt Irja einen kleinen Vintageladen, in dem sie Mode und Accessoires aus den 1930er bis 70er-Jahren verkauft. Hauptsache, es blinkt, glitzert und funkelt. Und so sieht es auch in ihrer schönen Dreizimmerwohnung aus. Ein Sammelsurium von kleinen Tischen mit farbigen Deckchen drauf. Dazu verschiedenartige buntbezogene Stühle und Plüschhocker unter einem goldverzierten Spiegel. Nicht zu vergessen das gemütliche, samtbezogene Sofa, das mit seinen kuschligen Kissen zum Sitzen einlädt. Alle Türen stehen offen, und überall Menschen, die reden und essen. Selbst auf dem Doppelbett haben es sich einige Besucher bequem gemacht.

    "Von 100 vorbereiteten Burgern haben wir am frühen Nachmittag schon 80 verkauft. In etwa so viele Gäste werden schon da gewesen sein."

    Burger und Michael Jackson
    Irja hat ihre Wohnung an diesem Tag in einen "Michael Jackson Burger Palace" verwandelt. Neben kostenloser "Heal the World"-Beschallung des "King of Pop" gibt es für sieben Euro Veggie-Burger. Die Gäste sind zufrieden. Aina, die einige Jahre in Deutschland gelebt hat, möchte den Restaurant-Tag nicht mehr missen.

    "Wie wäre ich sonst hier hergekommen? Es ist einfach schön zu sehen, wie andere Leute leben und auch unbekannte Leute zu treffen. Ich glaube, es geht hauptsächlich um die Erfahrung und nicht so sehr ums Essen."

    Im Partyzelt von Antti im "Alten Kirchpark" herrscht auch um Mitternacht noch Hochbetrieb. Etwa 300 Gäste waren bisher da, erzählt Antti. Sie haben fast alles aufgegessen.

    "”Die Subway Star Sandwiches mit Fleisch oder Tofu und sehr viel Chili, Knoblauch – na ja sehr viel Geschmack eben - waren der Renner. Jetzt sind wir alle sehr müde. Wir sind jetzt seit 36 Stunden hier. Und sind müde und auch ziemlich betrunken.""

    Bis um 4.00 Uhr am Morgen müssen Antti und seine Mitstreiter noch durchhalten. Dafür haben sie dann ein viertel Jahr Zeit, um sich auf den nächsten Restaurant Day vorzubereiten.