EU-Kommission, EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten haben sich darauf verständigt, wie ein einheitliches digitales Impfzertifikat in der Corona-Pandemie aussehen soll. Die Hoffnung: Eine solche Bescheinigung über den Status als Geimpfter, als Genesener oder Getesteter soll EU-weites Reisen im Sommer erleichtern. Doch bei wichtigen Details bleiben je nach Mitgliedsland weiter Unterschiede bestehen.
So sind vor allem die digitalen Vorraussetzungen sehr unterschiedlich. In Deutschland würde ein Digital-Erfassungssystem noch fehlen, erklärte CDU-Gesundheitspolitiker Rudolf Henke im Deutschlandfunk. Er könne auch die Skepsis innerhalb der Ärzteschaft im Bezug auf das Ausstellen von solchen Zertifikaten verstehen, aber er betrachte die Debatte auch als Teil einer Verhandlung über die dafür zu zahlende Vergütung.
Das Interview im Wortlaut:
Silvia Engels: Für Deutschland bestehen Zweifel, ob es bis zu den Sommerferien klappen kann, die Daten über Impf- oder Teststatus digital so umfassen zu erfassen, um sie in ein solches EU-System einzuspeisen. Was meinen Sie? Klappt das?
Rudolf Henke: Das weiß ich nicht. Wir hatten ja die Hoffnung, dass die EU ein bisschen früher fertig würde. Das ist jetzt nicht geschehen. Im deutschen Gesetz ist jetzt die datenschutzrechtliche Grundlage für die Datenverarbeitung durch das RKI enthalten und die Datenübermittlung an das RKI für diese Zertifikate. Die rechtlichen Grundlagen sind da. Aber natürlich muss jetzt auch noch ein bisschen programmiert werden und das ist schon auf den Weg gebracht. Aber ob jetzt der Zeitraum bis zum 1.7. reicht – fragen Sie mich was leichteres.
Engels: Die Übertragung von Daten ist das eine. Bei der Erfassung der Daten machen ja manche Deutschland den Vorwurf, da hat man nicht wie andere EU-Staaten bereits beim Start der Impfungen damit angefangen, die Daten digital zu erfassen, so dass man sie jetzt auf Knopfdruck abrufen könnte. War das ein Fehler?
Henke: Ich weiß nicht, ob das ein Fehler war. Jeder kriegt ja eine Bescheinigung ausgestellt und bisher ist die Bevölkerung auch nicht gewöhnt an diese elektronischen Ausweise. Das heißt, erst mal ist ja auch der ganze analoge Ausweis weiterhin gültig und wird auch seine Gültigkeit nie verlieren.
Insofern, glaube ich, ist das eine Zugabe. Es ist auch ein Vorteil. Das macht manches bequemer. Es macht das Lesen dieser Testate natürlich bequemer. Insofern bin ich auch sehr dafür, dass wir diese Digitalisierung bekommen. Aber zunächst mal ist ja das Entscheidende, dass man die Bescheinigungen erhält über die durchgeführten Impfungen, über die Testergebnisse und, falls man mal positiv war, auch seinen Nachweis hat des positiven PCR-Resultates, falls man mal infiziert war.
Engels: Ein praktisches Problem stellt sich auch dadurch, dass es jetzt viele Menschen gibt, die bereits eine Impfung haben. Die wurde aber bislang nur ins gelbe Impfbuch eingetragen. Nun sollen die Hausärzte das digital nacherfassen. Wir haben es gerade im Beitrag gehört: Die sehen das nicht als ihre Aufgabe. Und jetzt?
Henke: Wenn es ja bisher so ist, dass man sich an der Aktion "Deutschland sucht den Impfpass" beteiligt, unter sein Bett krabbelt, den Schuhkarton rausholt und im Schuhkarton die Impfunterlagen sucht, dann findet man ja auch zum Teil zwei Impfausweise aus der Kindheit und noch irgendeinen dieser gelben Ausweise, und dann geht man auch zum Hausarzt und sagt, kannst Du mir das hier zusammenstellen und in einen Impfpass übertragen. Das ist auch solange kein Problem, glaube ich, als das sporadisch ab und zu vorkommt.
Jetzt haben wir aber insgesamt inzwischen in Deutschland fast 40 Prozent, die mindestens eine Impfdosis erhalten haben. Das sind, um die Zahlen mal genau zu sagen, 32.724.085 Personen. Da habe ich volles Verständnis für die Hausärzte, wenn ihnen ein flaues Gefühl kommt. Natürlich können jetzt nicht zusätzliche über 30 Millionen und bis es dann soweit ist vielleicht 40 Millionen Patientenkontakte riskiert werden. Das muss man dann verteilen.
Wir haben, nachdem in der Anhörung auch Skepsis aus der Ärzteschaft kam, dann auch die Apothekerinnen und Apotheker mit in die Befugnis zum Ausstellen dieser Zertifikate einbezogen. Natürlich wird das einfacher sein nach vorne hin. Und dann muss man mal sehen, wie viele Menschen überhaupt diesen Nachtrag haben wollen. Aber ich betrachte mal die Debatte, die da stattfindet, auch als Teil einer Verhandlung über die dafür zu zahlende Vergütung.
Von Fristbindung nicht überzeugt
Engels: Die Apotheken sollen mit eintragen. Noch besteht aber dieses Digital-Erfassungssystem auch für Deutschland nicht, dieser digitale Impfpass, um den es da geht. Sehen Sie denn auch Behörden möglicherweise in der Pflicht oder in der Bereitschaft, hier neben den Ärzten und Apotheken sich mit einzuschalten, um das vielleicht vor den Sommerferien überhaupt noch zu packen?
Henke: Diese Fristbindung an die Sommerferien – ich bin nicht überzeugt davon, dass jetzt alle anderen Staaten schneller sind als wir, sondern ich glaube, dass wir schon relativ weit vorbereitet sind, weil auch schon seit einiger Zeit programmiert wird. Jetzt fehlte die Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat.
Engels: Andere Staaten haben aber die Daten direkt digital erfasst.
Henke: Ja! Wenn das Gesundheitswesen ein digitales Gesundheitswesen von A bis Z ist, dann ist das so. Aber wir haben ja gelernt, wie mühselig das in Deutschland mit dem Digitalen ist. Ich erinnere daran, dass Jens Spahn es war, der jetzt durchgesetzt hat, dass wir politisch die elektronische Patientenakte kriegen und dass wir auch den elektronischen Impfpass kriegen werden. Für Deutschland haben wir das vor einiger Zeit beschlossen, aber dem ist eine 10-, 12-, 15jährige Vorgeschichte von Verzögerungen und datenschutzrechtlichen Bedenken vorangegangen, und ja, die wirft immer noch den Schatten auf diese Tage. Das ist keine Frage.
Engels: Schauen wir noch auf ein anderes Element dieser EU-Einigung über ein gemeinsames Impfzertifikat. Da behält sich ja jetzt jedes EU-Land vor, im Falle einer sich erneut zuspitzenden Gesundheitslage eben doch nationale Quarantäneregelungen für Einreisende zu verhängen. Bringt das Zertifikat am Ende gar nicht so viel? Man muss sich doch klug machen, was gerade in dem Reiseland innerhalb der EU gilt, in das man reist und aus dem man wieder zurückkommt?
Henke: Die gesundheitliche Gefahrenabwehr ist jetzt noch primär Aufgabe der nationalen Staaten nach der Ordnung in der EU. Sie ist primär in Deutschland sogar Sache der Bundesländer. Wir haben ja mit Mühe durchsetzen können, dass wir wenigstens, wenn die Infektionszahlen zu hoch steigen, dann eine Bundesnotbremse bekommen haben, und das halte ich nun auch für richtig, dass das möglich ist, auf der nationalen Ebene über das Thema Einreisebeschränkungen und Quarantäneverpflichtungen zu entscheiden.
Da sehe ich nicht, wie die EU in kurzer Folge dort zu einer Einigkeit kommt. Das ist ja auch der Grund dafür, weswegen jetzt das Europäische Parlament diese Hoffnung zunächst mal hat begraben müssen. Das liegt ja daran, dass die EU-Staaten sich auch in einer Pflicht gegenüber ihren Bevölkerungen sehen und die nur erfüllen können, wenn sie wissen, nach welchen Regeln sie diese Quarantäneerfordernisse beurteilen. Das ist häufig von den nationalen Gesetzgebern aufgestellt, die Regeln dafür. Auch in Deutschland ist das so. Deswegen: Das finde ich nachvollziehbar. Das war auch zu erwarten. Das hätte ich mir nicht vorstellen können, dass wir jetzt in eine Verhandlung darüber gehen, wie denn die Quarantäneanforderungen in Europa vereinheitlicht sind. – Wäre schön, aber da sind wir nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.