Wenn er jemals in ein fremdes Land gehen müsste, dann ginge er in die USA, so schrieb Helmut Schmidt 1987 in seinen Betrachtungen zur internationalen Politik "Menschen und Mächte". Die Nachkriegszeit war es, die Helmut Schmidts Haltung zu den USA lange bestimmte.
Die humanitäre Unterstützung der deutschen Bevölkerung durch die USA, die Berliner Luftbrücke und der Marschall-Plan, mit dessen Hilfe ganz Westeuropa, nicht nur Deutschland, wieder auf die Beine kam, imponierten ihm. Ehemaligen Kriegsgegnern so zu helfen, schrieb Schmidt 1987, das hätte kaum ein anderes Volk der Welt zustande gebracht.
Freundschaft mit Kissinger
Ende der 50er-Jahre entwickelte Schmidt einen ganz persönlichen Draht in die USA. Er besuchte in Harvard ein Seminar mit einem jungen Historiker namens Henry Kissinger. Kissinger erinnert sich:
"Helmut Schmidt und ich trafen uns in den 50er-Jahren, als Deutschland verwüstet und isoliert war. In all den Jahrzehnten seitdem repräsentierte er für mich ein Deutschland von historischen Werten, das sich den Hauptaufgaben unserer Zeit widmete, das ein tiefes Verhältnis mit Amerika verband, aber über diese politischen Beziehungen hinaus für Freiheit und Menschenwürde stand. Und Helmut war ein Vorbild und die Welt wird ihn vermissen."
Helmut und Henry, wie sie sich nannten, blieben lange über ihre aktive politische Zeit hinaus im Gespräch. Als langjähriger Verteidigungspolitiker hatte Schmidt ein klares Bewusstsein dafür, wie wichtig das Bündnis mit Amerika für die Europäer war, nicht nur für Deutschland. Deshalb seine wichtigste sicherheitspolitische Initiative: der Nato-Doppelbeschluss. Die Sowjetunion installierte Ende der 70er-Jahre eine neue Generation atomarer Mittelstreckenraketen, die auf Westeuropa gezielt waren, nicht jedoch auf die USA.
Schmidt befürchtete, die Fähigkeit der Sowjetunion, Westeuropa atomar angreifen zu können, ohne dabei die Schutzmacht USA in Mitleidenschaft zu ziehen, könnte auf Dauer zu einer Entkoppelung der amerikanischen von den europäischen Sicherheitsinteressen führen. Schmidt drängte daher auf den Nato-Doppelbeschluss, der die Aufstellung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Westeuropa vorsah, und dies mit einem Verhandlungsangebot an die Sowjetunion verband.
Carter war für Schmidt ein "naiver Idealist"
Das führte zunächst zu einem Zerwürfnis mit der Carter-Administration, die ihr strategisches Verhältnis zur Sowjetunion nicht belasten wollte. Es kostete Schmidt und die Europäer einiges an Mühe, Carter schließlich ins Boot zu holen. Dieser beklagte sich in seinen Memoiren über das oberlehrerhafte und arrogante Auftreten Helmut Schmidts. Schmidt wiederum machte keinen Hehl daraus, dass er den idealistischen Carter für naiv hielt.
Seit dieser Zeit deutet sich eine zunehmende Distanz Helmut Schmidts zu den USA an. In seinen Büchern tauchen immer wieder die Begriffe "Stimmungsdemokratie" und "Fernsehdemokratie" auf. Schmidt konnte als teils autoritärer, teils elitärer Technokrat nichts mit der sehr viel unmittelbareren Ankopplung amerikanischer Wähler an ihre Politiker anfangen. Obendrein war der Sprung vom trockenen Präsidenten Ford – mit dessen Außenminister Kissinger Schmidt sich blendend verstand – zum euphorisch-idealistischen Carter für Schmidt schwer zu verdauen.
Wandel zum Amerikaskeptiker
Auch dessen Nachfolger, dem auf einer Popularitätswelle schwimmenden Ronald Reagan, konnte Schmidt nichts abgewinnen. Ironischerweise war es der von Schmidt viel kritisierte US-Präsident Reagan, der den Nato-Doppelbeschluss erfolgreich zum ersten echten Abrüstungsvertrag der Geschichte im Dezember 1987 führte – und damit die Politik Schmidts im Nachhinein rechtfertigte, während seine eigene Partei Schmidt dafür abgestraft hatte.
In den letzten Jahren hatte sich Schmidt immer mehr zu einem Amerikaskeptiker gewandelt. In seinem letzten großen Interview in der ARD verstieg er sich sogar zu der These, der amerikanische Präsident sei nicht weniger gefährlich als Putin.
"Jeder Chef eines so großen Landes wie Russland ist genauso gefährlich wie jeder Chef in Amerika."
Doch Schmidt hatte weiterhin viele Freunde in den USA. Henry Kissinger sagte einmal halb scherzhaft, er hoffe, vor Schmidt zu sterben; er wolle in keiner Welt leben, in der es keinen Helmut Schmidt gebe. Nun muss er es doch.