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Henzes Streben nach Schönheit

Der Komponist Hans Werner Henze strebt in seinem künstlerischen Schaffen nach einem Schönheitsideal. "Ja das ist das, wonach man strebt in seiner Arbeit: ein Schönheitsideal - das natürlich für jeden Menschen etwas anders aussieht, je nach seiner sozialen und emotionellen Lebensart", sagte Henze anlässlich seines 80. Geburtstages.

Moderation: Karin Fischer | 01.07.2006
    Karin Fischer: Hans Werner Henze hat seit den 50er Jahren ein opulentes Werk geschaffen. Opulent in mehrfacher Hinsicht. Zum einen, was die Vielfalt betrifft: Er hat Gedichte vertont, zehn Sinfonien geschrieben, aber auch Kammermusik und Opern. Zum anderen, was ihren Charakter betrifft: Henze hat sich früh von den anderen Darmstädtern Neuntönern - Luigi Nono, Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausen - abgesetzt, ist ganz eigene Wege gegangen, und wenn man heute sagt, seine Musik sei eingängig, dann kann das ein Kompliment sein oder genau das Gegenteil. Manche sagen, in der Schönheit seiner Musik glänze zu viel Oberfläche, andere loben den kritischen Impuls, den dieser Gegenwartskünstler immer auch vertritt. An Fidel Castro, so sagt man, glaubte er, bis er Kuba einen Besuch abstattete. Hans Werner Henze kann also romantisch klingen, fett, kämpferisch, eruptiv, märchenhaft oder ganz leicht, wie in seiner "Zweiten Sonate über Shakespeare-Charaktere", für Gitarre komponiert, uraufgeführt 1980 in Brüssel durch Reinbert Evers, hier "Lady Macbeth".

    Mit Hans Werner Henze habe ich vor zwei Tagen sprechen können und ihn zuerst zu Italien befragt. Als 25-Jähriger schon ist er 1953 dorthin gezogen, und damals konnte das Land durchaus noch als Gegenbild zum trüben und auch moralisch engstirnigen Nachkriegsdeutschland fungieren. Heute sehen wir in Italien eher ein Land musikalischer Dürre. Beobachtet der Komponist, das war die Frage, diese Entwicklungen?

    Hans Werner Henze: Ja, die Musik, die Opernmusik und die Symphonik, erleben nicht eine solche feste Einrichtung und das Gefühl einer kulturellen Notwendigkeit wie in Deutschland beispielsweise. Es ist also hier leichter möglich, ein Orchester aufzulösen oder eine Oper die Gehälter wegzunehmen, als in Deutschland. Andererseits gibt es sehr gute musikalische, künstlerische Leistungen in der Symphonik und in der Lyrik, im Operntheater.

    Fischer: Welche davon schätzen Sie besonders?

    Henze: Ich schätze besonders das Orchester der Scala und auch die Programme der Scala. Und das Orchester von Santa Cecilia, werde ich Ihnen sagen. Ich hatte gestern Abend ein Konzert gehört nämlich und war hingerissen von der Verve und dem Wohlklang, den dieser Klangkörper entfalten kann.

    Fischer: Dann möchte ich Sie ansprechen auf einen ganz außerordentlich schön gemachten Bildband, der zu Ihrem 80. Geburtstag herausgekommen ist und zu dem viele Ihrer Kollegen und Weggefährten Grußadressen verfasst haben. Der Dirigent Christian Thielemann hat Ihren "Prinz von Homburg" hervorgehoben als - ich zitiere jetzt wörtlich - "ein humanistisches Bild vom Menschen als dem Maß aller Dinge, dessen Würde unantastbar sein muss, gepaart mit den preußischen Tugenden von Toleranz und Verantwortungsbewusstsein". Können Sie sich als Deutscher mit Migrationshintergrund - wie man derzeit ja immer so schön sagt - in Italien auf diese Beschreibung einlassen?

    Henze: Das kann ich ohne weiteres tun, weil es stimmt halt. Die klassischen Schönheitsideale und moralischen Prinzipien sind in Deutschland - jedenfalls in der Theorie - hervorragend und begründen sich auf das griechische und römische Ideal.

    Fischer: Sie selbst verfolgen diese Ideale ja auch in gewisser Weise in Ihrem Werk. Sie werden immer als Utopist, als Humanist, aber eben auch als ein melodiöser Utopist oder Humanist bezeichnet. Können Sie Ihre Arbeiten so sehen und diese utopischen Anteile gegenüber den gesellschaftskritischen irgendwie gewichten oder abwägen?

    Henze: Sie haben sich schwere Fragen ausgedacht. Also ich denke mir, dass die Künstler in erster Linie utopische Situationen zeigen und entwerfen. Das gibt es schon in der Malerei als Schönheitsideale mehrerer stilistischer Fassungen, und das gibt es in der Literatur auf ganz zauberhafte Weise, zum Beispiel - und das würde genügen als Beispiel - Thomas Mann, wo unsere deutsche Zivilisation, auf der Tradition aufgebaut, gewisse Richtlinien auch für die jungen Menschen beinhaltet.

    Fischer: Der "Doktor Faustus" ist ja jetzt vor ganz kurzem erst in Berlin wieder auch zu Ihren Ehren aufgeführt worden. Welche Ideale streben Sie in Ihrer Kompositionstechnik an? Wie spiegelt sich das, was Sie an humanistischen Idealen, an Taktgefühl - wenn man es so formulieren kann -, wie spiegelt sich das in Ihrer Musik wider? Kann man das irgendwie beschreiben?

    Henze: Also es geht darum, Verlogenheit abzulehnen und nach Möglichkeit bei der Abschaffung davon mitzuwirken.

    Fischer: Nun ist Ihnen von Kritikern auch öfters mal vorgeworfen worden, Herr Henze, wenn man das so sagen kann, dass es in Ihrer Musik ein Zuviel an Emphase gebe, eine Dominanz des Melodischen. Können Sie das nachvollziehen? Geht das irgendwie zusammen mit Ihrem Ideal einer besseren oder vernunftbegabteren Gesellschaft, auch im Musiktheater?

    Henze: Also ich sitze hier im Freien und gucke mir die Bäume an, die sich im Winde wehen, manchmal kommt ein Flugzeug vorbei und macht Lärm und da sind Sie in Berlin oder wo immer Sie jetzt sind ...

    Fischer: ... in Köln.

    Henze: ... in Köln und ich soll Ihre Fragen beantworten. Das ist schwierig.

    Fischer: Ja, es wäre viel schöner, wenn wir uns gegenübersitzen würden, aber das ist jetzt, glaube ich, einfach nicht zu machen. Es geht um die Frage nach einer Verständlichkeit von Musik und einer fühlbaren Schönheit, die sie ausdrückt, und der Musik als Transportmittel von Kritik, ob das nicht manchmal einen Widerspruch darstellt?

    Henze: Ich weiß nicht, ob es ein Widerspruch darstellt. Ich arbeite - mein ganzes Leben lang habe ich das getan - an der Formulierung von Schönheitsbegriffen und von dem Sinngehalt von Schönheit, angefangen bei den Klassikern, bei den Vorklassikern, und das reicht in unser Jahrhundert und in das jetzige neue Jahrhundert hinein. Es ist nicht leichter geworden, aber die Problematik ist vielleicht deutlicher und eklatant geworden. Mehr als je.

    Fischer: Die Lyrik ...

    Henze: Nicht alle sind zufrieden mit der Idee - zum Beispiel diese Kritiker, die Sie erwähnen -, dass es einen Schönheitsbegriff geben muss, sogar mit bestimmten Regeln und Verhaltensmaßnahmen künstlerischer Natur verbunden.

    Fischer: Der Schönheitsbegriff sieht ja nun in jedem einzelnen der Künste unterschiedlich aus. Was sind die von Ihnen gerade bezeichneten Regeln der Schönheit in Ihrem Werk?

    Henze: Na ja, ein Wohlklang, der sich bezieht auf die Musik der letzten 300, 400 Jahre und sich als eine Fortsetzung vorstellt.

    Fischer: Und was heißt das konkret?

    Henze: Gestern Abend habe ich ein relativ neues Stück von mir gehört, das heißt "Sieben Boleros", und da ist Stolz drin, da ist körperliche Schönheit drin, wird dort gelobt, Liebe, auch erotische Liebe, Eros - alle diese Dinge, die in der Musik sehr gut zur Sprache kommen und ein Bolero ist ja auch ein Tanz, bekanntlich.

    Fischer: Die Lyrik spielt ja auch eine große Rolle in Ihrem Werk und nicht nur in Form von Libretti oder Gedichten, wie sie die frühen Vertonungen Ingeborg Bachmanns, mit der Sie ja auch befreundet waren, darstellen. Ist das Prinzip der Schönheit ein Wert an sich für Sie?

    Henze: Ja das ist das, wonach man strebt in seiner Arbeit: ein Schönheitsideal - das natürlich für jeden Menschen etwas anders aussieht, je nach seiner sozialen und emotionellen Lebensart.

    Fischer: Hans Werner Henze im Gespräch. Heute begeht der Komponist seinen 80. Geburtstag.