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Herausforderungen des Alterns
Neue Formen von Männlichkeit entdecken

Der Prozess des Alterns nimmt in unserer Gesellschaft immer vielfältigere Formen an, wie bei der Arbeitstagung Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie deutlich wurde. Viele Menschen erleben den Übergang in die nachberufliche Phase sogar überraschend positiv. Vor allem wenn sie merken, dass sie diese Situation gestalten können.

Von Dörte Hinrichs |
    Ein älterer Mann sitzt im Juni 2011 auf einer Bank im Jardin du Luxembourg im französischen Paris und liest.
    Älter werden ist nicht für jeden eine Belastung. (picture alliance / dpa / Friso Gentsch)
    In einer immer älter werdenden Gesellschaft müssen sich immer mehr Menschen den Herausforderungen des Älterwerdens stellen. Diesen Prozess wollten die Tagungsteilnehmer ganz bewusst nicht nur aus der Defizitperspektive betrachten. Sie ignorierten aber auch nicht die Zumutungen des Alters. Prof. Gereon Heuft von der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Universität Münster:
    "Herausforderungen sind die Auseinandersetzung mit dem körperlichen Alternsprozess, mit Einschränkungen, mit Verlusten et cetera. Und wir machen ja gleichzeitig die Erfahrung, dass nicht alle älteren Menschen das Alter als besondere Last erleben oder sogar am Altern verzweifeln. Und die Ressourcenperspektive fragt jetzt danach, welche Möglichkeiten haben Menschen, mit diesen Herausforderungen des Alternsprozesses so umzugehen, dass sie eben nicht durch Einsamkeit niedergedrückt werden oder bis hin zur Depression und Suizidalität am Leben und am Lebenssinn verzweifeln."
    Gerade depressive Menschen nehmen oft ihre Ressourcen nicht wahr, erkennen nicht, über welche Fähigkeiten und Erfahrungen sie verfügen. In der Psychotherapie versucht man, ein Bewusstsein für die eigenen Ressourcen zu schaffen. Eine mögliche Ressource im Alter kann auch Religiosität sein. Prof. Gereon Heuft und seine Mitarbeiter haben rund 1.500 Menschen nach ihrer religiösen Einstellung befragt, die 2013 eine psychosomatische Ambulanz aufgesucht hatten- und diese Gruppe mit einer gleich großen Gruppe aus der Allgemeinbevölkerung verglichen.
    Religiöse Einstellung kann helfen, Krisen zu bewältigen
    "Dabei zeigt sich, dass unter denjenigen, die sich als Katholiken beschreiben, dass nur 26 Prozent sich als gläubig beschreiben und bei den evangelischen Christen sind es nur noch 17 Prozent. Da gilt sowohl für die Allgemeinbevölkerung, als auch für die Patienten. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Patienten, die selbst dann, wenn sie sich eher als ungläubig oder wenig gläubig bezeichnen, häufiger als die Allgemeinbevölkerung sagt, ja, ich glaube, religiöse Einstellung kann dazu helfen, Krisen im Leben besser zu bewältigen."
    "Not lehrt beten." Dieser Satz scheint zumindest für die meisten der Befragten nicht zutreffend zu sein.
    "Am ehesten, das hat unsere Studie gezeigt, sind Menschen gläubig oder haben eine religiöse Praxis, je älter sie sind. Und dann noch mal bei den älteren Frauen. Die Frage wird sein, wie sieht das in zehn bis 20 Jahren aus? Denn die Daten zeigen eindeutig in die Richtung, dass die Frage von religiöser Einstellung und religiöser Praxis mit den jüngeren Alterskohorten sehr stark abnimmt."
    Deutlicher Frauenüberhang bei den über 80-Jährigen
    Dass das Altern vor allem weiblich ist – dieses gängige Diktum der Gerontologie muss aufgrund aktueller Zahlen korrigiert werden. Denn die Lebenserwartungen haben sich zunehmend angeglichen, erst bei den über 80-Jährigen gibt es einen deutlichen Frauenüberhang. Mehr Frauen als Männer sind es allerdings nach wie vor, die in den Sozialwissenschaften über ältere Männer forschen. Prof. Insa Fooken von der Arbeitsgruppe "Interdisziplinäre Alternswissenschaften" an der Universität Frankfurt.
    "Es ist eigentlich so, dass es für Männer auch gar nicht so leicht ist, über sich zu forschen, ähnlich wie bei feministischer Frauenforschung, ist Frauen ja auch oft vorgeworfen worden, sie gucken jetzt nur auf sich und das ist alles sehr einseitig. Und ich glaube, dass Männer deswegen auch ein Stückchen Angst davor hatten, dass dieser Vorwurf sie auch treffen würde."
    Schriftsteller und Regisseure sind da schon weiter, das zeigen zum Beispiel Filme mit neuen Männlichkeitsbildern. Angefangen von "Schultze gets the Blues" aus dem Jahr 2003 bis zu "Ein Mann namens Ove" über einen lebensmüden Witwer, der 2015 in Schweden gedreht wurde.
    Im Alter können neue Formen von Männlichkeit gelebt werden
    "Die Männer gehen auf die Suche und kommen am Ende zu neue Reflexionen über sich, sie können am Ende manchmal dann auch gut sterben, nachdem sie irgendwie auch von Selbstmordsehnsüchten getrieben waren. Also das neue Verhalten, das sieht man auch in neuen Rollen und da gibt es in der Forschung, vor allem eben auch in der angloamerikanischen Forschung, eine ganze Reihe von Hinweisen."
    Damit hat sich Fookens Kollegin Dr. Miranda Leontowitsch von der Universität Frankfurt am Main beschäftigt. Sie forscht zu allein lebenden Männern im Alter. Hierzulande hat sich ihr Anteil bei den über 65-Jährigen seit 1991 mehr als verdoppelt und liegt inzwischen bei 25 Prozent. Sie werden sichtbar in der Gesellschaft - und das nicht nur als sozial isolierte, suizidgefährdete alte Männer.
    "Was wir aber auch sehen, es sind neue Formen von Männlichkeiten: Schwule Männer, die sich auch im Alter in der Öffentlichkeit küssen können, wir sehen alte Männer vor Gericht, wir sehen Männer auch im Gefängnis und wir sehen auch alte Drogenkonsumenten. Und was die Männlichkeiten anbetrifft, hat die Forschung wieder stark im angloamerikanischen Raum zu Großvätern, Pflegern, schwulen Männern im Alter, aber auch Witwern gezeigt, dass da neue Formen von Männlichkeit gelebt werden. Auch bei Männern, die vielleicht eine sehr traditionelle Rollenvorstellung hatten in jüngeren Jahren und im Alter dann auch neue Wege gehen müssen, zum Teil auch, weil sie ihre Frau pflegen, weil sie Eltern pflegen müssen oder in der Pflege involviert sind, oder weil sie in die nachberufliche Zeit gehen und ihre Frauen berufstätig sind."
    Altenheim für ehemalige Militärangehörige: Starke Depressionen
    Zum Habitus des neuen Alterns gehört es, dass die Männer beweglicher werden, sie wagen etwas Neues, und widmen sich – auf ihre Art und Weise – zum Beispiel dem Haushalt.
    "Wir wissen aus diesen Witwenstudien, dass die Männer eben sagen, ich kann kochen, ich kann Haushalt führen, ich mach das aber anders, als das meine Frau gemacht hat. Ich kann auch putzen, aber ich putz nicht so oft. Und ich kann auch mit meiner Trauer irgendwie umgehen, wobei das problematischer ist. Und da ist es ganz wichtig, dass, glaube ich, die Umwelt den Männern erlaubt und sie darin unterstützt, emotionale Verarbeitung durchzuführen."
    Wo diese Möglichkeit nicht gegeben ist, kann das fatale Folgen haben, so Miranda Leontowitsch:
    "Es war eine sehr interessante Studie letztes Jahr, wieder aus Amerika zu einem Altenheim für ehemalige Militärangehörige. Diesen Männern wird nicht erlaubt, irgendwie ihre traditionelle Männlichkeit abzulegen: also stoisch sein und kurz grüßen, keine ausschweifenden Gespräche. Die Filme, die gezeigt werden, sind so Militärfilme, stoisch, starke Männlichkeiten werden da gezeigt. Die Depressionsrate in diesem Altenheim ist sehr hoch. Und ich denke, Männer, denen erspart wird, in einem solchen Kontext zu leben, die haben dann vielleicht auch die Möglichkeit, besser damit umzugehen."