Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Diesen berühmten Valentin-Satz stellt Herbert Fritsch seiner Hommage an den hintersinnigen Sprachkünstler voran. Fünf Schauspieler, die Damen hoch toupiert, die Männer alle mit demselben geklonten Krusselkopf stehen derweil auf fünf Stühlen und lassen sich von fünf Dirigenten nach fünf unterschiedlich schlagenden Metronomen in fünf schrägen Rhythmen führen. Aus der valentinschen Pointe wird ein so komisches wie sinnzerstückelndes Dada-Gedicht – eine Choreografie, die doch auf physische Weisen den Sinn des Satzes wiedergibt.
Ein grandioser und gleichzeitig programmatischer Beginn: Dieser Abend feuert unzählige hoch musikalische, wahnwitzig choreografierte Kunststücke ab, die ganz augenfällig auch viel Arbeit machen. Braune Packpapier-Streifen fahren wie Vorhänge von oben und von der Seite heran und dienen als Versteck. Die Bühne leuchtet mal in knall-rotem, mal in giftig-grünem Licht. Das neunköpfige Schauspielerensemble in seinen schrillen Kostümen wird von elf Trompetern, Posaunisten und Saxofonisten vom Hamburger Jazzhaus-Ensemble begleitet, zusammen mit dem agilen Trio Steamboat Switzerland am Bass, am Schlagzeug und an der hämmernden Orgel. Sie alle machen den Abend zur verrückten Dada-Oper, zum schrägen Jazz-Musical, zur hoch virtuosen Swing-Revue.
Der Schlagzeuger Michael Wertmüller, Spezialist für Jazz und Neue Musik, hat diese Komische Oper komponiert, manchmal jazzig, oft dissonant, atonal, immer gegen den Strich. Valentins Sketch vom Bühnenscheinwerfer, der nicht mehr funktioniert und dann von zwei faulen, unfähigen Handwerkern in Augenschein genommen wird, klingt in Wertmüllers Komposition wie eine Mischung aus Arie und Trickfilm-Sound:
"Links an der Bühne! Links an der Bühne!"
Von Valentin bleibt inhaltlich kaum etwas übrig
Von Valentins Sketch allerdings bleibt inhaltlich kaum etwas übrig – nur ein paar Fetzen, Andeutungen, Reminiszenzen. Diese künstlich verzerrten und verfremdeten Fragmente der valentinschen Wortakrobatik machen aus dem Abend eine Art schräg vertonte Zitate-Sammlung.
Herbert Fritsch und Karl Valentin – das sind zwei Bayern, zwei Anarchisten, zwei Theaterkindsköpfe, zwei Blödsinnskönige. Der Ältere hat geniale Sprach-Clownerien an der Grenze zum Surrealen erfunden, der Jüngere hätte sie in sein hyperaktives Spring- und Hüpftheater übersetzen können. Aber wie schon früher in Fritschs Inszenierungen von Gerhart Hauptmanns "Biberpelz" und Henrik Ibsens "Nora" zeigt sich: Je nachdem, was für einen bedeutungshaltigen Text der Nonsens-Liebhaber Fritsch in die Finger bekommt – auf der Bühne kann der spielbesessene Regisseur im Zweifelsfall noch jede Bedeutung und jeden Sinn plattwalzen.
So auch hier – Valentins sprachlabyrinthischer Liebesbrief wird bei Fritsch zur in Buchstaben zerhäckselten Lautmalerei, vorgetragen mit fratzenhaft verzweifelter Komik:
"Aber kein Wort davon geschrieben, dass dir mein Vater geschrieben hat."
Kongenial wirkt das nicht. Karl Valentins Rhythmus, seinen Wortwitz und auch die Handlung der Mini-Dramen zerdehnen Fritsch und Wertmüller vor lauter Kunstfertigkeit bis zur Unkenntlichkeit.
Kein Zweifel, dass hier mit viel Verve, Lust und Könnerschaft gespielt und hoch präzise inszeniert worden ist. Nur: Das Tragische im Komischen, das Düster-Untergründige, das Valentins Wort-Wirrungen und sprachliche Grenzgänge auszeichnet, verpufft hier im formvollendeten Kunstrausch. Auch wenn der Abend den Titel "Valentin" trägt – so ist doch hauptsächlich "Fritsch" und "Wertmüller" drin. Das allerdings sehr schön.