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Herkunftsdebatte #vonhier
"Inshallah ist jetzt auch ein deutsches Wort"

Unter #vonhier kritisieren Menschen mit Migrationshintergrund, dass sie Auskunft über ihre Herkunft geben sollen. Doch nicht jedes Gespräch über kulturelle Wurzeln sei diskriminierend, sagte die Schriftstellerin Jagoda Marinić im Dlf. "Deutsch ist heute ein Deutsch mit sehr vielen Hintergründen".

Jagoda Marinić im Gespräch mit Karin Fischer |
Karin Fischer: Immer wieder spielt, auch in dieser Sendung, der Begriff "Heimat" eine große Rolle. Lange war er als "-tümelnd" diskreditiert; dann hat ihn der große Filmemacher Edgar Reitz aus der Schmuddelecke geholt für seine Langzeit-Beobachtungen; in den letzten Monaten ist er neu befragt worden, aus Anlass etwa des neu geschaffenen "Heimatministeriums" oder der #metwo-Debatte (mit w), mit der Deutsche mit Migrationshintergrund ihre Ausgrenzungserfahrungen dokumentierten. Nun gibt es einen neuen Hashtag, #vonhier, mit dem die Journalistin Ferda Ataman eine Diskussion auf Twitter angestoßen hat, die gerade Fahrt aufnimmt. Entzündet hat sie sich am Titel der "hart aber fair"-Sendung von Frank Plasberg am Montagabend, die "Heimat Deutschland - nur für Deutsche oder offen für alle?" hieß. Im Kern geht es aber um die Frage, die offenbar zu häufig gestellt wird: "Woher kommst du denn eigentlich?". Vor der Sendung habe ich Jagoda Marinić, Autorin des Buches "Was ist Deutsch in Deutschland"? gefragt, was diese Frage für sie bedeutet: "verbale Ausbürgerung", wie Frau Ataman meint, oder höfliche Erkundigung nach dem Hintergrund der Eltern.
Jagoda Marinić: Also ich bin bei der Frage wirklich extrem gespalten, weil ich einerseits intellektuell nachvollziehen kann, was die Kollegen und andere damit meinen. Und ich glaube, es gibt Momente, da ist diese Frage so, dass man das Gefühl hat, hier will jemand mir das Gefühl geben, ich gehöre nicht dazu. Ich selbst muss sagen, ich bin eigentlich überhaupt nicht kritisch mit dieser Frage und sehe es eher als Gefahr an, dass wir jetzt so tun, als dürfe man überhaupt nicht mehr über Herkünfte reden und dass die Tatsache, dass man fragt, wo kommst du her, irgendwie heißen könnte, du bist nicht deutsch. Das sehe ich gar nicht so.
Herkunft als großer Teil der eigenen Geschichte
Fischer: Die Wissenschaft nennt solche Fragen ja Herkunftsdialoge. In den USA ist das sozusagen der erste Small-Talk-Satz zwischen Unbekannten – where do you come from –, gerade weil die USA so ein Melting Pot sind. Warum schwingt für so viele, wenn man diese Frage in Deutschland stellt, oder so häufig, eine Ausgrenzungsbotschaft überhaupt mit?
Marinić: Ja, das fragen Sie jetzt vielleicht sogar die Falsche, denn bei mir ist das nicht so. Also mich verstört das tatsächlich, dass es in einem Land, das jetzt dafür kämpft, auch als Einwanderungsland anerkannt zu werden, plötzlich falsch sein soll, über die Frage zu reden, wo kommt ein Mensch her. Wie soll ich das denn erzählen? Also, ganz übertrieben: Wenn ich das nicht mehr erzählen darf, dann bin ich ja aktiver Teil der Assimilierung. Also ich muss sagen, ich bin deutsch, ich komme aus Waiblingen, ich komme aus Schwaben. Und schon, wenn jemand fragt, und warum heißen Sie Marinić, muss ich sagen: Hey, hallo, das ist Rassismus! In dem Fall hab ich das Gefühl, dass ein großer Teil meiner Geschichte tatsächlich ausgelöscht ist. Und wenn Sie jetzt die USA meinen, wo ich auch sehr vieles gelernt habe über diesen ganzen Kampf der Minderheiten, da würde man eigentlich genau das Gegenteil machen.
Da würde Toni Morrison beispielsweise als Autorin sagen, warum fragst du mich, warum ich über Schwarze schreibe. Natürlich schreibe ich über Schwarze, weil das meine Lebenswelt war. Und wenn du jetzt möchtest, dass ich das nicht mehr benenne, dann ist das rassistisch von dir, weil du mich unsichtbar machen willst. Das heißt, eine Bewegung vonseiten der Migranten, die die eigene Migrationsgeschichte völlig unsichtbar machen möchte, ist für mich nicht im selben Maße emanzipatorisch, wie ich das in den USA erfahren hab oder gelernt hab.
"Wenn du weißt, wo deine Mutter herkommt, macht es dich nicht weniger deutsch"
Fischer: Das heißt, Dieter Bohlen war einfach nur ungeschickt?
Marinić: Dieter Bohlen war ungeschickt. Diese Szene ist natürlich genau das, was die Kollegen meinen. Das ist der Moment, der nicht geht – dass da ein Mädchen da steht, das noch gar kein Bewusstsein hat, wo es herkommt, und dass dann jemand drauf insistiert und vor versammeltem Publikum und Republik will, dass sie dann erzählt, wo die Eltern herkommen. Ich denke, das zu kritisieren, war schon gut von allen, zu sagen, lieber Dieter Bohlen, lass doch das Kind einfach mit seinen Talenten in der Show ganz normal sein.
Andererseits darf man aber nicht aus dem Moment jetzt verallgemeinern, dass jedes Gespräch im Alltag, in dem es um kulturelle Hintergründe, eine Ethnisierung des Menschen wäre. Im Gegenteil, ich finde, wir haben dadurch die Chance zu zeigen, dass Deutschland sich wirklich verwandelt hat, dass wir heute Menschen haben, die hybride Identitäten haben.
In dem Moment, in dem ich nicht mehr erzählen kann, woher ich komme, muss ich doch eigentlich die Geschichte meiner Vorfahren komplett abschneiden. Das ist jetzt für mich als Autorin sicher noch mal eine Extrabedrohung, denn ich denke, dass die Lebenswelten der Menschen, die hierhergekommen sind, ein zentraler Teil auch meines Stoffes sind und ein zentraler Teil meines Lebens.
Also ich glaube, wir müssen da einen Mittelweg finden, der nicht sein kann, dass jede Frage nach dem Hintergrund eine Ausbürgerung wäre und gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass wenn man Kinder vor allem das Gefühl gibt, sie sind irgendwie anders, oder sie anders behandelt als andere Kinder, das ist auch nicht richtig. Das ist ein Spagat, wir werden darum kämpfen müssen, und Bohlen und diese Szene, ich glaube, ich würde das nicht überbewerten, ich würde es auch nicht so groß machen. Ich finde es wichtig, diesem Mädchen zu sagen, Herne ist großartig für dich, aber wenn du groß wirst, dann willst du vielleicht auch mal wissen, wo deine Mutter herkommt und wo deine Großeltern herkommen, und das macht dich dann nicht weniger deutsch, im Gegenteil: Deutsch ist heute eben ein Deutsch mit sehr vielen Hintergründen.
Fischer: Der Affekt, der jetzt entsteht, ist aber doch vielleicht wie bei der MeTwo-Debatte – mit w – ein ganz positiver, nämlich Deutsche bestehen darauf, Deutsche zu sein.
Marinić: Ja, aber ich bin der Meinung, sie müssen deswegen nicht darauf bestehen, dass sie nicht über ihre Herkunft reden müssen. Ich kann Deutsche sein, ich kann sagen, wir verändern das Deutsche, ich kann sagen, inshallah ist jetzt auch ein deutsches Wort so wie Portemonnaie. Also für mich wäre es progressiver zu sagen, wir verändern das Deutsche, als wir wollen nicht auf unsere Herkünfte angesprochen werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.