Dass er lieber nicht möchte, nicht schreiben, nicht arbeiten, nicht einmal essen – das wird deutlich. Warum der stille Anwaltsgehilfe Bartleby aber in dieser Verweigerungshaltung verharrt, bleibt bis heute ein Rätsel. Es hatte alles so harmlos angefangen mit seinem neuen Job in einer kleinen Kanzlei an der New Yorker Wall Street.
"Auf meine Anzeige hin stand eines Morgens ein regloser junger Mensch auf der Schwelle meiner Kanzlei, denn es war Sommer, und die Tür stand offen. Ich sehe die Gestalt noch vor mir – farblos ordentlich, mitleiderregend anständig, rettungslos verlassen! Es war Bartleby."
Erzählt wird die Geschichte vom jungen Kanzleischreiber durch seinen Arbeitgeber, einen gutmütigen und ehrgeizlosen Notar von zirka 60 Jahren. Er ist zunächst angetan von Bartlebys Arbeitshaltung. Beflissen schreibt der junge Mann ein Dokument nach dem anderen ab, arbeitet schweigend und mechanisch. Bartleby zeigt zwar keinerlei Enthusiasmus, aber seine stille und höfliche Art kommt dem Notar gerade recht; da seine anderen beiden Angestellten "Turkey" und "Nippers" schon genug Unruhe in seinen Arbeitstag bringen.
Leicht unverschämt wirkt er doch
Bartlebys ausgleichende Wirkung ist allerdings von kurzer Dauer. Bereits am dritten Tag seiner fällt jener Satz, mit dem Bartleby bald auf jede Bitte, jede Frage und jede wohlwollend wie wutschnaubend vorgetragenes Gesuch antwortet:
"Ich möchte lieber nicht."
Sein Chef ist verdutzt. War es nicht selbstverständlich, dass ein Angestellter seinen Aufforderungen nachkam, dass er arbeitete wie und wann ihm aufgetragen? Bartleby stellt sich gegen grundlegende Abmachungen, die stillschweigend in jedem Arbeitsverhältnis gelten. Das könnte leicht unverschämt und unmöglich anmuten. Doch als rätselhafte, als kafkaeske Figur – 60 Jahre, bevor Kafka dieselbe überhaupt erfindet – hat Bartlebys höflicher Protest zunächst Erfolg.
"Tatsächlich war es vor allem seine merkwürdige Sanftmut, die mich nicht nur entwaffnete, sondern mich auch gewissermaßen meiner Männlichkeit beraubte. Denn ich finde, dass jemand vorübergehend sozusagen seiner Männlichkeit beraubt ist, wenn er es sich ruhig gefallen lässt, dass sein bezahlter Angestellter ihm Vorschriften macht."
Ein Vagabund in Polizeigewahrsam
Als auch der herzensgute Notar mit seiner Nachsicht am Ende ist, entlässt er Bartleby aus seinen Diensten. Aber der Schreiber weigert sich, die Kanzlei zu verlassen. In seiner Verzweiflung sucht sich der Notar neue Räumlichkeiten. Bartleby bleibt. Auch dem Nachmieter weicht er nicht von der Schwelle und gerät so schließlich als Vagabund in Polizeigewahrsam.
Doch in der Haft bleibt Bartlebys Widerstand ungebrochen. Er möchte nicht essen, gibt er ruhig, aber beständig zu verlauten und stirbt am Ende der Erzählung erschöpft und geschwächt. Zu diesem Zeitpunkt hat der Notar bereits verstanden, dass Bartleby nicht aus Trotz handelte, sondern aus tiefem Leid, einem Leid, aus dem es keine Heilung gibt.
"Seinem Körper hätte ich Almosen geben können, aber sein Körper schmerzte ihn ja nicht; seine Seele war es, die litt, und seine Seele konnte ich nicht erreichen."
Unzählige Philosophen haben sich an Bartleby abgearbeitet und an seiner berühmten Widerstandsformel, die im englischen Original lautet "I would prefer rather not to". Giorgio Agamben sieht in Bartleby ein Sinnbild dafür, wie man sich Autorität, Herrschaft und Recht passiv und doch effektiv widersetzt. Und Slavoj Žižek fügte hinzu, Bartleby könne keiner Fliege etwas zuleide tun. Das mache seine Präsenz so unerträglich.
Puterrote Köpfe oder grimmige Gesichter
Jürgen Krugs Übersetzung von Melvilles Erzählung ist elegant und angemessen zeitgemäß. 2004 hatte sie der Insel Verlag erstmals veröffentlicht. Neu hinzugekommen sind für diese Jubiläumsausgabe Illustrationen von Sabine Wilharm. Ihre Coverillustrationen für die Harry-Potter-Bücher dürften vielen deutschsprachigen Leser vertraut sein. Auch der Geschichte von Bartleby verleihen ihre Zeichnungen einen besonderen Zauber. Je nach Gemütszustand wachsen oder schrumpfen die Figuren, bekommen puterrote Köpfe oder grimmige Gesichter. Nur Bartlebys Blick bleibt stets etwas entrückt. Oft hat er die Augen geschlossen.
In Bild und Schrift zeigt sich, dass Melvilles 1853 zum ersten Mal veröffentlichter Text in unserer kapitalismuserschöpften Gegenwart aktuell bleibt. Nachdem der nüchterne Notar im protokollartigen Stil das Schicksal seines Schreibers Bartleby erzählt hat, lässt er sich zu dem klagenden Ausruf hinreißen:
"Ach, Bartleby! Ach, Menschsein!"
Bis heute dürften viele Leser voll Mitgefühl einstimmen.
Herman Melville: "Bartleby, der Schreiber. Eine Geschichte aus der Wall-Street"
mit Illustrationen von Sabine Wilharm
aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Krug
Insel Verlag, Berlin, 88 Seiten, 14 Euro.
mit Illustrationen von Sabine Wilharm
aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Krug
Insel Verlag, Berlin, 88 Seiten, 14 Euro.