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Hermann Hesse und Otto Dix
Refugium am Bodensee

Der eine war Schriftsteller, der andere Maler: Hermann Hesse und Otto Dix. Beide verband jedoch eine Leidenschaft - die Liebe zur Natur. Sie diente ihnen als Rückzugsort, als Refugium der Regeneration. Gefunden haben Hesse und Dix diesen Ort an gleicher Stelle: am Bodensee.

Von Dieter Bub |
    Ansicht des Otto-Dix-Hauses in Gaienhofen - Hemmenhofen am Bodensee (Kreis Konstanz/ Höri), aufgenommen am 15.07.2007. Der Maler Dix lebte und arbeitete in dem Haus am Hang der Höri, mit Sicht über den Untersee, ab 1936 bis zu seinem Tode im Jahr 1969. Das Haus ist im Besitz der Familie Dix und als Museum für die Öffentlichkeit zugänglich.
    Ansicht des Otto-Dix-Hauses in Gaienhofen am Hang der Höri. (picture alliance / dpa / Rolf Haid)
    Der Bodensee war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Idylle, Ziel von Künstlern und Suchenden nach Ruhe. Zu ihnen gehörte damals Hermann Hesse, der nach seiner Heirat und der Geburt seines ersten Kindes beschloss, ein bürgerliches Familienleben zu führen – mit Frau, Kindern und einem eigenen Haus. Den richtigen Ort fand er oberhalb von Gaienhofen – abseits des Dorfes zur Inspiration für seine schriftstellerische Arbeit.
    Haus und Park sind von der Biologin Eva Eberwein in ihren ursprünglichen Zustand wieder hergerichtet – heute ein Refugium inmitten von Neubauten.
    "Hermann Hesse hat 1908 angefangen, einen großzügig üppigen Garten anzulegen, in den sich die Jahreszeiten widerspiegeln mit Laub abwerfenden Gehölz, eingefasst mit einer Buchenhecke und verschiedenen Räumen, Gartenräumen, einer war der Selbstversorgung vorbehalten mit Obstbäumen, mit Gemüse, andere Räume waren einfach der Kontemplation vorbehalten, mit wunderbaren Blumen. Er liebte duftende Blumen, wie Iris, wie Rosen, einen Lindenbaum pflanzte er auch und Blumen, die krachende Farben hatten, beispielsweise die Kapuzinerkresse oder rote Dahlien oder die brennende Liebe, kennt überhaupt keiner mehr heute, alles das fanden Sie in diesem Garten versammelt, und das fügte sich zu einem wunderbaren Bild."
    Nachdem Hesse und seine Familie Gaienhofen verlassen hatten war das Haus von einem Maler erworben und später von dessen Witwe als kleine Pension geführt worden. Danach geriet es in Vergessenheit und beinahe wären Haus und Grundstück als Platz für Neubauten genutzt worden.
    Der Initiative von Eva Eberwein ist es zu verdanken, dass in Gaienhofen seit zwölf Jahren das einzige Hermann-Hesse–Museum der Welt besucht werden kann.
    "Es war so eine Schlammpiste, die abfiel. Da schoß das Regenwasser ab. Und darauf steht auch heute noch eine gewaltige Rosskastanie und unter dieser Rosskastanie stand eine Blechgarage von 1925. Das Ganze sah wüst und schrecklich aus. Bei weitem kein erquicklicher Anblick."
    "Wann haben Sie das übernommen? Wann haben sie angefangen, das neu zu gestalten?" - "Also das ganze Ensemble habe ich 2003 übernommen."
    Im ersten Jahr musste das Haus gründlich saniert werden. Ab 2005 folgte der Garten. Als Vorlage diente eine Skizze Hesses, die er 1907 an seinen Vater geschickt hatte.
    Besucher, die heute durch das Haus geführt werden, erleben eine Atmosphäre wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dabei ist das Erdgeschoss Mia Hesse gewidmet, die mit ihrer Schwester zu den ersten Berufsfotografinnen der Schweiz gehört hatte.
    "Also hier sehen Sie ganz viele Dinge, wunderbare Fotografien an den Wänden, die sie gemacht hat und dieses traumhafte Zimmer mit diesem Rundbogen, den sie sich hat einbauen lassen, mit Licht vom Osten, Süden und Westen, damit sie hätte fotografieren können, da sie ja professionelle Fotografin war."
    Dazu viele Briefe, in denen sie ihre zunehmend psychische Belastung darstellte. Störungen, die bereits in ihrer Jugend aufgetreten waren. Im Haus in Gaienhofen wollte sie ihrem Mann gefällig sein und alle Pflichten erfüllen.
    "Weißt du, ich fühle halt immer mehr, dass ich eigentlich niemanden habe aus dich, der wirklich und ganz zu mir gehört und die Folge ist, dass ich eben schrecklich alleine bin, wenn du weg bist."
    Ein Ort der Zuflucht
    Hesse war nach dem Erfolg seines ersten Romans "Peter Camenzind" viel zu Lesungen unterwegs. Doch selbst wenn er nach Gaienhofen zurückkehrte verließ er immer wieder das Haus und suchte die Idylle unten am See. Dort lag sein Boot, das ihm Einsamkeit brachte.
    "Wie habe ich das kleine schmucke Fahrzeug lieb! Von allen Dingen, die ich besitze, ist es das einzige, das fern von Haus und Zimmer und fern von den Geschäften des Alltags neben draußen lebt und meiner wartet, wie ein Stück Natur, wie ein Baum oder ein Tier."
    Der See war für Hesse ein Ort der Zuflucht, der Entspannung, Ruhe und Meditation. Er ging zum Ufer in sein braunes, hölzernes Ruderboot, das ihn hinaustrug, er lag nackt in der Sonne auf dem Boden hingestreckt oder ruderte zum Schweizer Ufer, um von dort aus Zigarren zu schmuggeln.
    "Jetzt gehen wir in Hesses Bibliothek, machen einen Schwenk über das Kinderzimmer – das Kinderzimmer ist das der beiden älteren Hessebuben, Bruno und Heiner, ist ein ganz besonderes Zimmer, entspricht der reformpädagogischen Vorstellung, dass Kinder aus dem Fenster schauen können müssen, deswegen ist der Boden hier höher als in den anderen Zimmern.
    Wir gehen jetzt hinauf in das Reich des Meisters.
    Wir befinden uns jetzt in der Bibliothek des Hermann Hesse. Das Unglaubliche ist, es ist ganz viel erhalten, die Bücherregale sind da, sein Kachelofen ist da, man knarzt noch immer über die alten Dielen. Das ist der Ort, der in enormer Authentizität erhalten ist.
    Viele Besucher schätzen das außerordentlich, dass sie in eine andere Welt zu tauchen scheinen. Es ist etwas, was sie an früher erinnert, erinnert an das was verloren zu sein scheint."
    Hesse fühlte sich eingeengt
    Hier oben war Hesses Welt, der sich immer weiter von Mia entfernte, der abgeschnitten von der Welt in ihrer Depression nur die Musik geblieben war. Sie spielte vorzüglich Klavier:
    "Ich war allzu moralisch, allzu vernünftig, bürgerlich gewesen. Ich wollte mich einer Norm anpassen. Ich wollte Forderungen erfüllen, die gar niemand an mich stellte, ich wollte etwas sein oder spielen, was ich gar nicht war. Und so war es mir wieder einmal geschehen, dass ich mich selbst und das ganze Leben vergewaltigt hatte."
    Hesse fühlte sich eingeengt, das Haus war ihm zum Gefängnis geworden. Er war zum Neubeginn entschlossen. Bereit zum Aufbruch.
    "Tu den Schritt und wirf einmal alles weg. So wirst du plötzlich die Welt wieder mit hundert schönen Dingen auf dich warten sehen."
    Die Trennung war für beide unabwendbar. Mias Weg führte eine Zeit lang in die Psychiatrie. Die Kinder wurden vorübergehend in fremde Obhut gegeben. Sie lebten später bei der Mutter. Mia fand bis ins hohe Alter zu einem ruhigen Leben mit viel Musik.
    Der deutsche Maler Otto Dix 
    Der deutsche Maler Otto Dix (imago/United Archives International)
    Exil im eigenen Land
    Während Hermann Hesse aus Gaienhofen floh, bot das Ufer des Sees, nur wenige 100 Meter entfernt für Otto Dix eine Zuflucht, in der es ihm gelang, die Zeit bis 1945 zu überstehen. Seine sozialkritischen Arbeiten aus der Dresdner Jahren, mit denen er bekannt geworden war, wurden von den Nationalsozialisten als entartet verboten. Dix hatte das hässliche und morbide Leben der Großstadt in ekstatischen Motiven der 20er- und 30er-Jahre geschildert. Ihm blieb allein das Exil im eigenen Land. Seine Entscheidung für Hemmenhofen sollte sich als richtig erweisen. Er fand unter den Bauern und Handwerkern des Dorfes schnell Freunde, die ihm halfen einen großen Teil seiner Bilder bei Nacht und Nebel in die benachbarte Schweiz zu schaffen. Der 42-Jährige, damals bereits berühmt und durch eine Erbschaft seiner Frau Martha vermögend, baute für sich und seine Familie ein großzügiges Haus hoch über dem See.
    Unsere Geschichte über ihn beginnt in Öhningen, oberhalb des Bodensees. Hier ist Jan Dix, der mittlerweile 90-jährige Sohn von Otto Dix zu Hause.
    1965 hat er einen 200 Jahre alten Bauernhof mit einem Klostergarten erworben. Er hatte damals bereits seinen eigenen beruflichen Weg gefunden.
    "Maler kam nicht infrage. Da war doch der Unterschied zu groß. Hätt man gleich gesehen. Ich bin ja nicht so der Augenmensch wie mein Vater es war und da hab ich mich entschlossen Goldschmied zu werden. Mein Vater war ja ein großer Schmuckfan. Meine Mutter auch, die hatte eine große Sammlung. Mein Vater hat ja immer gekauft in Dresden in den Antiquitätenläden und so."
    Zusammen mit seiner Frau Andrea stellt er noch heute in einer Werkstatt Leuchter, Plastiken und erlesene Ketten, Ringe, Broschen und Ohrschmuck her.
    Wie eine Insel
    Jan kann sich gut an seinen Vater und das Leben in Hemmenhofen erinnern.
    "Was war da für eine Familiensituation?"
    "Es war eigentlich wie eine Insel. Man hat von außen nichts mitgekriegt. Vom Krieg und den Gräueln und diesen ganzen Sachen hat man gar nichts mitgekriegt. War so ein kleines Dörfchen. Wir lebten auch noch außerhalb vom Dorf. Kamen selten ins Dorf rein."
    Das Leben war in dieser Idylle vom Zusammenhalt in der Familie und durch den Besuch von Künstlerfreunden geprägt.
    Die Region am Bodensee war Dix zur Heimat geworden. Nach 1945 war eine Rückkehr zu seinen Wurzeln unmöglich.
    "Ich glaube er wäre schon gern nach Dresden zurückgekehrt, wenn da nicht ein Regime gewesen es waren unmögliche Verhältnisse in der DDR, wie man malen sollte. Kunst wurde auch so Diktatur, wie man malen soll. Möglichst sozialer Realismus und das hat im natürlich auch nicht so gelegen."
    Vielleicht wirkte er auch deshalb als in sich gekehrt, nachdenklich, verschlossen und mürrisch.
    "Also so sehr gesprächig und auch nicht der lustige Unterhalter aber wenn mal in Gesellschaft geredet wurde, da hat er sich lebhaft damit beteiligt. Ja man könnte schon meinen er war schon immer so ein bisschen mürrisch."
    "Zu Ihnen, zu den Kindern, zu seiner Frau?" - "Sehr nett, sehr nett, also." - "Hat er mit ihnen rumgetobt, ist er mit ihnen Schlitten gefahren?" - "Als Kleine sicher, Jaja hat sicher mit uns rumgetobt."
    Im Haus in Öhningen gibt es ein Selbstporträt von Otto Dix mit Jan, eine Lithografie Mädchen mit Katze, ein Geschenk für Jan zum Geburtstag und ein Christopherus Bild.
    Neben christlichen Motiven waren Kinderbildnisse neben Landschaften stets ein beliebtes Thema des Vaters.
    Das alte Bauernhaus, direkt gegenüber der Kirche, lohnt den Besuch. Zu ihm gehören eine Ausstellung und ein kleines Geschäft mit erlesenem Schmuck und mit Erinnerungen an den Vater. Gelegentlich wird auch Einblick in die Werkstatt und in die Sammlung afrikanischer und asiatischer Masken gewährt, die vom Vater begründet worden ist.
    Auf dem Friedhof von Hemmenhofen, oberhalb, abgelegen vom Ort, begebe ich mich auf die Suche nach dem Grab von Otto Dix. Am Eingang gibt es keinen Hinweis auf die Prominenten, die hier beerdigt worden sind.
    Es dauert eine Weile ehe ich die Grabplatte neben dem Stein für Ernst Heckel unterhalb einer Rotunde gefunden habe.
    Leicht dagegen ist das Ott –Dix–Haus zu finden, es ist mit Hinweistafeln ausgeschildert. Ich werde am Eingang von Gabriele Schimper erwartet, der offiziellen Teamleiterin.
    "Jetzt gehen wir mal hier in das Otto-Dix-Museum. Die Hausherrin empfängt uns, guten Tag. Man sagt, dies sei einer der schönsten Plätze am Bodensee. Das sieht man am besten, wenn man auf die Terrasse geht. Gehen wir doch mal raus. Man sagt, das sei für sie der schönste Arbeitsplatz der Welt."
    "Der schönste Arbeitsplatz der Welt. Sie sehen hier den Untersee, das Schweizer Ufer, mit Steckborn, was kann ich ihnen sonst noch erzählen. Wie gesagt der schönste Arbeitsplatz der Welt."
    "Der früher ganz verschwiegen lag. Hier gab es noch keine Bebauung." - "Nein Sie müssen sich vorstellen, das war das einzige Haus hier oben am Berg. Hier unten war nichts, es war nur das Ufer. Man sah den See, man sah Bäume ansonsten war nichts da."
    Noch heute beeindruckend
    Der Blick auf den See ist noch heute eindrucksvoll. Viele Besucher genießen ihn von der Terrasse aus, auf der Kaffee, Tee und Kuchen serviert werden.
    Wer das großzügig herrschaftliche Haus besichtigt kann es mithilfe eines Audio – Guides das Leben der Familie erkunden.
    Im ersten Stock das Zimmer der vielseitig begabten kreativen Tochter Nelly, die nicht nur die Kacheln für einen Ofen und Möbel bemalte und Collagen schuf, sondern Gedichte und Texte mit biblischen Motiven verfasste. Daneben wohnte Ursus, der Restaurator wurde.
    Im ersten Stock die Wohnräume, in der sich die Familie regelmäßig zum Essen und zum Nachmittagstee versammelte.
    Großzügig das Atelier, in dem in jedem Jahr neu drei bis vier Originale von Otto Dix hängen. Andere Bilder von ihm – aus seiner Dresdner Zeit als auch von seinem Aufenthalt am Bodensee befinden sich im Stuttgarter Museum.
    Der Audio Guide führt auch in den Garten der Familie, rekonstruiert nach Vorlagen aus dem Jahr 1936, mit italienischen Anklängen nach Aufenthalten von Martha und Otto in Italien.
    "Hier bei uns sehen Sie das Wohnhaus von Otto Dix. Hier hat er gelebt von 1936 bis zu seinem Tod 1969. Er hat die längste Zeit seines Lebens hier am Bodensee verbracht."
    Besonderheit im Untergeschoss
    Das Haus am Bodensee verbarg über Jahrzehnte eine Besonderheit im Untergeschoss.
    So, dass ist unser legendärer Partykeller. Die Bilder, die Sie hier an den Wänden sehen hat Dix gemalt 1966 anlässlich einer Fassnachtsveranstaltung, die hier im Hause stattfand."
    "Und was ist da alles zu sehen? Hier sind ja Clowns." - "Das sind Symbole der heimischen Fassnacht. Otto Dix hat hier auch bei unserer Narrenzunft das Narrenhäs entworfen und er hat einfach sehr gerne Fassnacht gemacht."
    "Dieses Bild hier stellt ein Hansele dar, eine Figur der allemannischen Fasnacht."
    "Ein bisschen naiv?"
    "Ja, die Bilder hier an den Wänden speziell in diesem Raum, die wurden entdeckt 2011. Der Förderverein hatte diesen Raum als Bibliothek genutzt und als die Regale von den Wänden kamen, kamen diese Bilder zum Vorschein. War natürlich eine kleine Sensation."
    "Wir sehen hier einen Affen und eine Katze?"
    "Einen Frosch und eine Katze. Das sind reine Fassnachtsfiguren: Aristoteles und Phillis soll das darstellen, der flotte Reitersmann soll Paul Schmitz sein, sein Künstlerkollege. Hier unten sehen Sie noch einmal einen Clown auch ein Fassnachtssymbol und auch hier, ganz typisch die Hexe, finden sie immer in der allemannischen Fassnacht."
    Das war der unbekannte, fröhliche Otto Dix. Einmal im Jahr baten er und seine Frau zum Fassnachtstreiben nach Hause. Heute zweiten und vierten Sonntag im Monat oder auf Wunsch individuell bei Sonderführungen zu besichtigen.