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Hermann Peter Piwitt: "Ein unversöhnlich sanftes Ende"
Wiederentdeckung eines Unbeirrbaren

Mitglied der Gruppe 47, luzider Essayist, Kritiker bundesrepublikanischer Nachkriegsverhältnisse: Hermann Peter Piwitt schreibt seit Jahrzehnten gegen den Zeitgeist an. Das hat den linkspolitischen Autor ins Abseits der literarischen Öffentlichkeit geführt. Zu Unrecht, wie ein neu aufgelegter Prosaband von Piwitt zeigt.

Von Andrej Klahn |
    Buchcover: Hermann Peter Piwitt: "Ein unversöhnlich sanftes Ende.Miniaturen"
    Schwarzhumorig-melancholischer Weltskeptiker: Hermann Peter Piwitt (Buchcover: Wallstein Verlag, Foto: picture-alliance / dpa / Erwin Elsner)
    Es ist still geworden um Hermann Peter Piwitt, den Mann, der einst als einer "der größten Stilisten der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur" gefeiert wurde. Hier und da sind zu seinen runden und halbrunden Geburtstagen noch kleinere Festtagsreden in den Feuilletons erschienen. Doch auch die konnten nicht verhindern, dass Piwitt heute bestenfalls als "Geheimtipp" gilt. Das ist ein zweifelhaftes Gütesiegel, wenn man bedenkt, dass der bei Hamburg geborene Piwitt in diesem Jahr 83 Jahre alt geworden ist und ein Stück Literaturgeschichte mitgeschrieben hat. Als junges Mitglied der Gruppe 47 kritisierte Piwitt das Platzhirschgebaren der Etablierten. Denn er hat eine ausgeprägte Allergie gegen ungerechte Herrschaftsverhältnisse jeder Art. Als reizbarer Gesellschaftskritiker veröffentlichte Piwitt seine scharfsinnigen Essays in der ZEIT oder dem SPIEGEL.
    Gegen den politischen Zeitgeist anschreiben
    Piwitts Herz schlägt politisch links, und als der gesellschaftliche Mainstream in den 1980er Jahren ein anderer wurde, führte sein unbeirrter Kampf gegen den Zeitgeist ihn ins Abseits auch der literarischen Öffentlichkeit. Den wenigen Romanen, die Piwitt zu Papier gebracht hat, ist seine antikapitalistische Haltung unschwer abzulesen. Aber er hat für seine politische Überzeugung nie die ästhetische drangegeben. Das literarisch Leichte und Eingängige ist ihm suspekt. Er hat den Markt kritisiert, nicht für ihn geschrieben.
    "Was wollte ich erzählen? So, als hätte ich das je können: erzählen. Die fetten, dicken, die schwitzenden Romane zu mästen, die sprachlosen. Mich ekelt vor ihnen, Je kürzer, desto besser."
    So räsoniert der Ich-Erzähler in der Erzählung "Sommer mit Waschbär" in dem schon im letzten Jahr erschienenen Prosaband "Drei Freunde". Je kürzer, desto besser: Dieses Schreibcredo galt für Piwitt von Anfang an. Wenn er sich in seinen Romanen mal lang fasste, kam er gerade mal über 200 Seiten. Meist blieb er deutlich darunter.
    Meister der kleinen Formen
    Kurz aber reflexiv weit ausgreifend, ist Piwitt ein Meister der kunstvoll durchrhythmisierten kleinen Formen. Das zeigten die sieben, teils bis 2017 noch gar nicht veröffentlichten und häufig autobiografisch grundierten Texte im Erzählband "Drei Freunde". Darin führte Piwitt noch einmal altbekannte Motive und Themen seines Werkes zusammen, und er setzte sich mit dem eigenen Altern auseinander:
    "Ich war alt geworden. Kein Knochen, der nicht schmerzte. Ich hatte alle Krankheiten, die auf –ose endeten. Arthrose, Osteoporose; Paradontose? Nein, die nicht. Aber kein Organ funktionierte mehr richtig, außer das zeitlebens strapazierteste, die Leber. Mir fiel nur noch ein Drittel der Wörter ein, über die ich mal verfügt hatte."
    Herausgekommen ist "Drei Freunde" im Wallstein Verlag, der sich schon seit Jahren darum bemüht, Piwitts Werk zugänglich zu machen. Das heißt auch, vergriffene Titel von ihm neu herauszubringen. So wie jüngst "Ein unversöhnlich sanftes Ende", eine Sammlung von kurzen Texten, die 1998 noch mit der verkaufsfördernden Gattungsbezeichnung "Roman" in den Buchhandlungen offeriert wurde. Darauf hat der Verlag jetzt dankenswerterweise verzichtet, aber so ganz ohne Hinweis kommt das Buch auch zwanzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung nicht aus. Jetzt heißt es: "Miniaturen". Die führen den Leser auf den Spielplatz und auf Geburtstagsempfänge, nach Italien und auf Asienreise. Und immer wieder ins Freibad, wo der Ich-Erzähler ein junges Pärchen beobachtet. Hier liest Piwitt selbst:
    "Vielleicht dreizehn war das Mädchen, so weich und stämmig sie um Hüften und Flanken herum gewachsen war. Sie hatte das blonde Haar hinten zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug einen geblümten Badeanzug auf der braunen Haut. Jünger schien mir ihr Begleiter. Alles an ihm war hakig, dünn die Glieder, das weiche hellblonde Haar war ihm wie eine kleine Strohmiete geschnitten, die dem Gestell der Schultern fast über deren ganze Breite weg auflag; und unter der Haut des Rückens staken die Schulterblätter vor, als sollten sie sich erst noch zu Flügeln entpuppen."
    Virtuose Fingerübungen
    Viele dieser Miniaturen lesen sich wie Fingerübungen. So, als wollte da einer ein paar virtuose Beschreibungskunststücke aufführen. Die Erzählhaltung wechselt, im Verlauf der Lektüre stellt sich aber zumindest die Ahnung eines Zusammenhangs über wiederkehrende Schauplätze her. Immer wieder führt Piwitt seinen Leser in "Ein unversöhnlich sanftes Ende" zurück ins Freibad oder ins "Territorium", womit das wiedervereinigte Deutschland gemeint ist. Oder nach Italien, wo schon seine Romane "Der Granatapfel" und "Die Passionsfrucht" spielten.
    Die versammelten Miniaturen stehen merklich unter dem Eindruck des Mauerfalls, der – als "Ein unversöhnlich sanftes Ende" erscheint – bereits neun Jahre zurück liegt. Damals 1989, als der Westen den vorläufigen Sieg im Wettkampf der Systeme davontrug, sah Piwitt sich als Verlierer. Für ihn, den überzeugten Antikapitalisten, war der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus ein Unglück. Im nun neu aufgelegten "Ein unversöhnlich sanftes Ende" verleiht Piwitt seiner desillusionierten Stimmung Ausdruck. Er lässt einen Mann – er nennt ihn nur "Reisender" – die bundesrepublikanische Post-Wende-Wirklichkeit erkunden. Einen im eigenen Land fremden Beobachter, der eine nach dem Zusammenbruch des Kommunismus alternativlose Welt beschreibt:
    "Die Erde ist flach. Darüber schließt sich eine Glocke. Wie in mittelalterlichen Domen ist ihre Wölbung innen ausgestattet mit Trost-, Erbauungs- und Andachtsbildern, Idolen und Legenden, über die der Internierte erfährt, wie er sich zu verhalten hat. Die Freiheit, mittels hochmoderner technischer Geräte sich entsprechende Zusatz-Informationen zu verschaffen, ist grenzenlos. Das Gefühl von Freiheit entsprechend unendlich. Wie im Leibnizschen System ist der Plan des Ganzen im kleinsten Gegenstand, im geringsten Lebewesen festgelegt, so auch im Schädelinnern, in den Neuronen eines jeden. Das Gewölbe ist dicht. Die bildnerische Darstellungen von Menschen, die daraus den Kopf herausstrecken, liegen lange zurück. Wer Geld hat, kommt zwar noch überall hin, aber nicht mehr raus."
    Vollkommene Reisefreiheit und doch gefangen im Reich der grenzüberschreitenden globalen Marktwirtschaft, so resignativ sah der Achtundsechziger Piwitt Ende der 1990er Jahre auf seine Gegenwart. "Otrotodnom" nennt er diese Region in einem anderen, parabelhaften Bericht des Reisenden. Rückwärts gelesen ergibt das "mondo torto", italienisch für: "verkehrte Welt". Dort gibt es ein Überangebot an Waren, zu wenig Arbeit und immer mehr Bedürftige. Was Piwitt Ende der 1990er Jahre heraufziehen sah, war unser inzwischen voll erblühtes neoliberales Zeitalter.

    Doch wer damals, im allgemeinen Noch-Wiedervereinigungs-Rausch derart desillusioniert und resignativ fundamentalkritische Szenarien ausmalte, der durfte nicht überrascht sein, wenn er unter ideologische Quarantäne gestellt wurde. Heute, zwanzig Jahre und eine Weltwirtschaftskrise später, ist das Piwitt’sche Unbehagen am Kapitalismus indes längst keine Einzelgänger-Laune mehr, sondern allerorts zu spüren. Zu einem Revival des großen Stilisten Hermann Peter Piwitt hat das allerdings bedauerlicherweise nicht geführt. Dabei kommt ihm im Kreis der Autoren, die wiederzuentdecken sich lohnt, unbestreitbar ein Platz in vorderster Reihe zu.
    Hermann Peter Piwitt:"Ein unversöhnlich sanftes Ende. Miniaturen"
    Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 148 Seiten, 20 Euro.

    Hermann Peter Piwitt: "Drei Freunde. Erzählungen"
    Wallstein Verlag, Göttingen 2017. 141 Seiten, 18 Euro.

    Hermann Peter Piwitt: "Lebenszeichen mit 14 Nothelfern"
    Wallstein Verlag, Göttingen. 144 Seiten, 17,90 Euro.