Befragt man Wikipedia, erfährt man, dass es Hunderte Plätze, Straßen oder Schulen gibt, die in Deutschland noch heute nach dem Heidedichter, Journalisten und Jäger Hermann Löns benannt sind. Die Gesamtauflage seiner Bücher wird auf zehn Millionen geschätzt.
Der Spielfilm "Grün ist die Heide" mit Rudolf Brack und Sonja Ziemann wird 1951 nach Motiven aus seinem Werk inszeniert und bedient die Sehnsucht nach Ruhe und Idyll in der jungen Bundesrepublik. In einem Wacholderhain bei Walsrode ist zudem die letzte Ruhestätte von Hermann Löns zu besichtigen – nur kann niemand zuverlässig sagen, ob es tatsächlich seine Gebeine sind, die dort beerdigt sind. Denn seine Leiche konnte nie sicher identifiziert werden, nachdem er im September 1914 in der Nähe von Reims als Kriegsfreiwilliger gefallen und auf dem Schlachtfeld verscharrt worden war.
Straff nationalistisch und völkisch gesinnt
Hermann Löns hat einen zweifelhaften Ruf: Als verkrachter Student, später als Redakteur und Feuilletonist, der es zu einiger Popularität bringt, aber ein ziemlich haltloses Leben führt, viel zu viel trinkt, zwei Ehen ruiniert und den geistig behinderten Sohn vernachlässigt. Ein schwieriger Mensch, der als Reporter die Cholera-Epidemie von 1892 in Hamburg schildert und später jahrelang als Fritz von der Leine in einer Kolumne das alltägliche Leben in Hannover glossiert. In jungen Jahren steht er den Sozialdemokraten nicht fern, später ist er straff nationalistisch und völkisch gesinnt.
Soziologisch zählte er eher zu einer städtischen Bohème – aber seine Liebe zur Natur, zum Wald, zur Jagd und zur Heidelandschaft haben ihn im kollektiven Gedächtnis der Deutschen fest verankert: als Jäger, der die Natur oft lieber beobachtete, statt die Tiere zu erschießen; als Schriftsteller, der eine armselige Gegend, die Lüneburger Heide, zu einer Art von Wallfahrtsort adelt. Noch im Schützengraben hat er in seinen Kriegstagebüchern nicht nur die Grausamkeit des Kriegsalltages geschildert, sondern auch jenen Rest von Natur, der ihm bei Märschen und im Feld auffiel.
Kitschige Heimatromane haben Löns bekannt gemacht
Als Kriegsfreiwilliger, der im Alter von 48 Jahren gegen alle Vernunft an vorderster Front mitkämpfen wollte, konnte er nach seinem Tode zudem hemmungslos vereinnahmt werden. Von Wandervögeln und Lebensreformern bis zu den Nazis, von der frühen Öko-Bewegung bis zu den Tourismusbüros der Gegenwart. Tiergeschichten, kitschige und blutrünstige Heimatromane haben ihn bekannt gemacht; seine Gedichte und Lieder wirken wie von einer auf Massenproduktion angelegten Reim- und Klischee-Maschine verfertigt. Wissenschaftliche Ambitionen, der Versuch, eine umfassende Enzyklopädie der Pflanzen und Tiere seiner geliebten Heide zu erarbeiten, hat er nie vollendet.
Als 1994 der junge Germanist Thomas Dupke eine kritische Biographie veröffentlicht, in der all das systematisch aufgearbeitet ist, gibt es manchen Aufschrei von denen, die Löns' Erbe bis heute hochhalten. Der Hannoversche Journalist Heinrich Thies, beruflich sozusagen ein Nachfolger von Löns, fasst diese Eruptionen damals in einem Artikel für die "Zeit" zusammen. Zum anstehenden 150. Geburtstag von Hermann Löns, der am 26. August 2016 begangen werden kann, hat er nun auch selbst eine Romanbiographie vorgelegt, die nicht nur das Leben von Hermann, sondern auch das seiner zweiten Ehefrau Lisa Löns erzählen will - in der Tradition der kritischen Löns-Forschung, gestützt auf manche neu aufgefundenen privaten Dokumente, auf Briefe und Tagebuchnotizen.
Der Möchtegern-Dandy und die Frauenrechtlerin
Der Nietzsche-Apologet und Möchtegern-Dandy und die auf Unabhängigkeit bedachte, auch als Frauenrechtlerin aktive Lisa sind die Pole, zwischen denen Thies sein Bild aufspannt. In kurzen Kapiteln wechselt er zwischen beiden hin und her, zitiert mal ausführlich aus Dokumenten, erfindet an anderen Stellen aber auch Dialoge und Aussagen hinzu, wo er bestehende Lücken im Interesse seiner Geschichte füllen möchte. Er will den Roman zur Biographie schreiben, kein strenges Sachbuch.
Das liest sich anfangs süffig, stellt die Personen plastisch vor den Leser hin, birgt aber ein erhebliches Risiko: Dem Leser, der sich dem Erzählstrom überlässt, geht bald das Gefühl von Distanz zu den Personen verloren, ebenso das Gefühl dafür, was durch Quellen belegt sein könnte und was nicht. Der Versuch der Einfühlung, der Versuch, die Figuren aus sich selbst heraus zum Sprechen zu bringen, verwischt die Konturen. Die Erzählerstimme, die für das Fiktive, aber auch für die Ordnung der Geschichte zuständig sein sollte, lässt sich von den Stimmen der Figuren nicht klar genug unterscheiden, die Figuren rücken dem Leser zu nahe. Das ist in doppelter Hinsicht übergriffig.
Verschwimmende Grenzen zwischen Fiktion und Fakten
Thies liegt es dabei fern, Hermann Löns als historische Gestalt zu retten. Aber er will ihn auch als an sich selbst und an der Welt leidenden Menschen darstellen. Genau dafür aber trifft er nicht den angemessenen Ton. Eine gewisse Hemdsärmeligkeit und die verschwimmenden Grenzen zwischen Fiktion und Fakten lassen den Text unentschieden wirken, im Zweifelsfall auch ungenau erscheinen.
Ähnliches gilt für die Kapitel, die Lisa Löns gewidmet sind, obwohl Heinrich Thies das Buch auch geschrieben hat, um ihr den Platz im Licht zukommen zu lassen, den sie im Schatten ihres Gatten zu Lebzeiten nie hat einnehmen können: nicht als Journalistin, die gerne mehr geschrieben hätte; nicht als Frauenrechtlerin und schon gar nicht als Mutter eines behinderten Kindes, die nach der Trennung von ihrem Mann von diesem öffentlich auf Übelste geschmäht wird. Trotz – vielleicht gerade wegen – dieser Sympathie wird Lisa Löns als historische Figur nicht richtig greifbar, es wird nicht klar, was sie im Detail umtreibt und wie sich ihre Vorstellungen zu den zeitgenössischen Bestrebungen verhalten, denen sie sich verbunden fühlt. Sie erscheint als resolute und selbständige Frau, auch als kluge Verwalterin des Erbes ihres Mannes. Aber viel mehr erfährt man nicht über ihre Interessen und über ihre gesellschaftspolitischen Ansichten.
Gut gemeint, aber nicht ganz so gut ausgeführt, muss daher wohl das Urteil über dieses Buch lauten. Einen ersten Zugang zu einem literarischen und rezeptionsgeschichtlichen Phänomen bietet Thies' Buch allemal. Wer es genauer wissen will, muss anderenorts nachschlagen.
Heinrich Thies: "Mein Herz gib wieder her. Lisa und Hermann Löns. Eine Romanbiographie"
Zu Klampen Verlag, März 2016, 368 Seiten
Zu Klampen Verlag, März 2016, 368 Seiten