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"Herr Blatter ist in der Tat ein Phänomen"

FIFA-Chef Sepp Blatter sehe unsportlich aus, das mache ihn für viele sympathisch, glaubt Sportphilosoph Gunter Gebauer. Tatsächlich aber habe Blatter es nur darauf abgesehen, seine Stellung im Weltfußballverband zu festigen und so viel Geld wie möglich zu machen - mit Erfolg.

Gunter Gebauer im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Was ist nur los bei der FIFA, bei einem der einflussreichsten und finanzkräftigsten Sportverbände der Welt? Eine Frage, die schon oft gestellt worden ist in den zurückliegenden Jahren. Diesmal die Fußball-WM 2018 in Russland und 2022 in Katar - zwei denkwürdige Entscheidungen noch Ende vergangenen Jahres, die wieder einmal die Vorwürfe von Korruption und Manipulation offen auf die Tagesordnung gesetzt haben. Jetzt sorgt FIFA-Chef Sepp Blatter selbst für Verwirrung und Verwunderung, legt sich mit den IOC und den Ligavereinen an, indem er vorschlägt, aus der Sommer-WM in Katar eine Winter-WM zu machen. Begründung: Es ist viel zu heiß dort im Sommer. Eine späte Erkenntnis. Das deutsche Mitglied der FIFA-Ethikkommission Günter Hirsch ist aus dem Gremium nun zurückgetreten aus Ärger über die Vergabepraxis für 2018 und 2022. Bei uns am Telefon ist nun FIFA-Kenner und Sportphilosoph Gunter Gebauer von der Freien Universität in Berlin. Guten Morgen!

    Gunter Gebauer: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Gebauer, ist Sepp Blatter ein Autokrat?

    Gebauer: Ja, zweifellos. Man muss sich nur anschauen, wie er in seinem Amt waltet. Er macht im Grunde genommen was er will. Er hat sich ein Exekutivkomitee geschaffen, das ihm willfährig ist. Er hat Vizepräsidenten, die genau nach seiner Pfeife tanzen. Er hat nationale Fußballverbände, die genau das tun, was er macht. Er sucht sich praktisch in eigener Regie die Olympia- beziehungsweise die Fußballorte aus, an denen die WM stattfinden wird, und er kann dort im Grunde genommen den lokalen Machthabern diktieren, was er haben möchte.

    Müller: Kann er sich das leisten, weil er allen so viel Geld bringt?

    Gebauer: Ja sicher. Er bringt Geld, aber das ist ja nicht alles. Er bringt Prominenz, er bringt weltweite Anerkennung. Eine Fußball-WM ist ein großer Treffpunkt von Politikern, von Medienschaffenden, Stars, von Fußballern, von einer großen Öffentlichkeit, die weltweit Anerkennung finden möchte. Und es ist vor allen Dingen immer wieder das Bestreben von Staaten, die international Anerkennung haben möchten, die ein Prestige brauchen, die auch vor der eigenen Bevölkerung glänzen möchten, diese große Veranstaltung zu bewältigen.

    Müller: Demnach hat die FIFA den Präsidenten, den sie verdient?

    Gebauer: Das kann man vielleicht auch anders sehen. Die FIFA ist ja schließlich ein Fußballverband und im Fußballverband sind ja nicht nur einige Spitzenkicker vereinigt, sondern Fußball wird auf der ganzen Welt gespielt, es gibt ungeheuer viel Beteiligung von den Knabenmannschaften oder den kleinen Mädchenmannschaften bis hin zu den Premier League und Bundesliga-Vereinen und so weiter, und diese große Sportaktivität wird nun von einem einzigen Menschen international repräsentiert, der im Grunde genommen es nur darauf abgesehen hat, seine Stellung zu festigen und so viel Geld wie möglich zu machen.

    Müller: Korruption, Manipulationen, Mauscheleien, immer wieder der Vorwurf in Richtung FIFA, gerade auch in Richtung Sepp Blatter und seinen Mitstreitern. Warum funktioniert die Kontrolle nicht?

    Gebauer: Es gibt ja gar kein Kontrollgremium. Das einzige Gremium, was überhaupt irgendeine gewisse Kontrollfunktion haben könnte, wäre die Ethikkommission. Aber die witzige Konstruktion der FIFA sieht vor, dass die Ethikkommission nur dann tätig werden kann, wenn das Exekutivkomitee, in dem Blatter an der Spitze steht, die Kommission damit beauftragt. Das tut sie natürlich nicht! Das heißt, sie müsste als Erstes Korruptionsfälle untersuchen; das macht in erster Linie nicht die Ethikkommission. Sie müsste sich mit den Skandalen um die Vergabe der WM nach Russland und Katar beschäftigen. Damit ist sie selbstverständlich gar nicht befasst, und das hat sicher auch zum Rücktritt von Günter Hirsch geführt.

    Müller: Also könnte man auch sagen, um das jetzt politikwissenschaftlich etwas höher auszudrücken, die FIFA hat ein enormes Demokratiedefizit?

    Gebauer: Ja! Das ist gar kein Wunder, wenn man sich anguckt, wer alles im Exekutivkomitee sitzt. Wir haben dort Vertreter von Staaten, die nicht unbedingt glänzen durch Demokratie und durch Bekämpfung von Korruption. Sie müssen sich das mal anschauen, woher die Vizepräsidenten und die weiteren Mitglieder kommen. Ich nenne nur von den Vizepräsidenten - davon gibt es ja nicht so viele. Da gibt es sieben Vizepräsidenten, die kommen zum Beispiel aus Kamerun, Jordanien, Trinidad und Tobago, Tahiti, und dann haben wir noch einen Argentinier dabei, einen Spanier, einen Franzosen und einen Engländer. Also die alten Fußball-Länder Europas, man kann vielleicht sagen die alten Demokratien, sind hier eindeutig unterrepräsentiert. Und aus dem Exekutivkomitee sind dann gleich zwei Mitglieder, nämlich der Vertreter Tahitis und der Vertreter Nigerias, wegen Korruption gesperrt worden, als es um die Vergabe ging.

    Müller: Aber ein deutscher Kaiser war ja auch dabei?

    Gebauer: Ja, natürlich, aber der ist auch nicht Vizepräsident, sondern ist irgendwo im Exekutivkomitee, und wir haben ja noch nicht erlebt, dass unser Kaiser und großer Spieler Franz Beckenbauer sich in irgendeiner Weise gegen die Korruptionsfront gewendet hätte.

    Müller: Warum lassen sich denn das so viele nationale Verbände gefallen?

    Gebauer: Das hat mehrere Gründe. Das Eine ist, dass alle davon profitieren. Das muss man einfach sehen. Wenn mehr Geld im System ist, haben einmal nicht nur die Vorsitzenden und die Mitglieder des Komitees etwas davon, es haben auch die nationalen Verbände etwas davon, vor allen Dingen die sogenannten Entwicklungsländer. Die werden mit Geld von Blatter zugeschüttet. Deswegen hat er auch seine Getreuen um sich, und das wären die letzten Menschen, die in irgendeiner Weise wegen Korruption sich rühren würden. Das Zweite ist, dass dadurch, dass so viel Geld in das System kommt, auch mehr öffentliche Aufmerksamkeit errungen wird. Das heißt, überall wo es um ganz große Summen Geld geht, gibt es auch ein Medieninteresse. Das Medieninteresse wiederum schlägt sich nieder in Fernsehübertragungen, in den Kosten, die Fernsehübertragungen verursachen, in weltweiter Publizität. Und nicht zuletzt, das darf man nicht vergessen: Mit der Höhe des Geldes, die in den Fußball gekommen ist, ist auch die Qualität der Spiele gestiegen. Das ist ja das Eigenartige. Wir haben es ja hier nicht mit einem System zu tun, das durch Korruption und durch Misswirtschaft und so weiter einfach jetzt einen schlechten Fußball produziert. Dann würde wahrscheinlich eine Revolution, hätte ich beinahe gesagt, eine Revolte besser gesagt hier losgehen. Sondern es ist so, dass eindeutig der Fußball in den letzten 20 Jahren Fortschritte gemacht hat. Es wird besser gespielt, die Spieler sind eindeutig intelligenter geworden, sie werden besser trainiert, die Lebensführung ist viel asketischer geworden, die Spielsysteme sind intelligenter und interessanter. Also es ist insgesamt eine erstaunliche Qualitätsverbesserung eingetreten. Auch die Reportagen, die Übertragungssysteme und so weiter haben deutlich Fortschritte gemacht. Also was der Fernsehzuschauer letzten Endes auf seinem Bildschirm erhält, ist ein deutlich gestiegenes Produkt.

    Müller: Nun wird Sepp Blatter von vielen ja auch gelobt, dass er den Fußball offener, weltoffener gestaltet hat, wie beispielsweise die Fußball-WM in Südafrika.

    Gebauer: Diese Offenheit kann man ja nun in jeder Hinsicht verstehen. Die Offenheit bedeutet natürlich auch offene Taschen und offene Ohren und die Möglichkeit, dass Politik, aber eben nicht nur Politik demokratischer Länder, sondern auch autokratischer Länder in den Fußball eindringen kann. Das ist die eine Seite. Das haben wir jetzt gesehen mit der Bewerbung, der geglückten Bewerbung von Russland und von Katar. Das sind zwei sehr unglückliche Dinge, die da passiert sind. Die auch gezeigt haben, dass offenbar weder der Präsident, noch sein Exekutivkomitee überhaupt nur darüber nachgedacht haben, was das bedeutet, wenn Fußball an den arabischen Golf vergeben wird. Das zweite ist immer wieder dieselbe Geschichte mit der FIFA. Die Vergabe nach Südafrika war zweifellos ein glücklicher Schachzug. Es war eine schöne WM, und ich glaube, für das Land, so weit ich es selber auch vor Ort beobachten konnte, war es ein Ereignis, das das Volk tatsächlich auch geeinigt hat hinter diesen Fußball.

    Müller: Jetzt wird Sepp Blatter ja etwas erstaunt sein, als er sich einmal die Temperaturentwicklung in Katar genauer angeschaut hat. Deswegen jetzt der Vorschlag, die ganze WM dann in den Winter zu verlegen. Wird Katar 2022 zu halten sein?

    Gebauer: Das wird sicher nicht mehr rückgängig zu machen sein. Die Frage ist jetzt nur noch, wie wird die Sache erträglich für die Spieler. Ich finde es ja pikant, dass man nach langen Findungsfragen - da ist ja eine Findungskommission ausgeschwärmt, die hat einen Bericht erstattet, der ist niedergelegt worden, ist diskutiert worden angeblich, das Exekutivkomitee hat hinter verschlossenen Türen getagt und so weiter -, dass man da nie auf die Idee gekommen ist, einmal zu fragen, wie sieht es denn aus, wenn im Sommer dort Spiele stattfinden bei 45 Grad, 50 Grad, oder in den Schüsseln ist es wahrscheinlich dann noch heißer. Es wurde einfach nur gesagt, Katar hat zugesichert, die Stadien würden geschlossen sein und klimatisiert. Dass das aber Riesenprobleme aufwirft und dass eine klimatisierte Halle für Fußball - und zwar braucht man ja nicht nur eine Halle dafür, sondern man braucht zehn, 12 Hallen in so einem winzigen Fleckchen, wie Katar es ist, die ein Spiel erlauben -, darüber hat man sich offenbar keine Gedanken gemacht. Dann fragt man sich, worüber wird da eigentlich nachgedacht, wenn die FIFA solche Findungskommissionen ausschickt und wenn sie hinter verschlossenen Türen tagt.

    Müller: Denkt denn jemand ernsthaft über eine Nachfolge von Blatter nach?

    Gebauer: Ja, sicher! Es gibt eine ganze Menge Leute, die auf den Startblöcken stehen. Das ist auch bekannt. Aber Blatter hat ja sich im Grunde genommen das ganze Wahlgremium, das ihn wählen soll, gefügig gemacht und es ist anzunehmen, dass es ähnlich geht, wie es beim IOC mit Antonio Samaranch gegangen ist, dass er über die reguläre Amtszeit hinaus durch Satzungsänderung und so weiter sich noch eine weitere Wahlperiode - man spricht inzwischen sogar schon von zwei weiteren Wahlperioden, er ist 75 Jahre inzwischen -, dass er es schafft, dann doch gewählt zu werden.

    Müller: Dann muss der Arme ja selbst nach Katar reisen.

    Gebauer: Das wird er natürlich gerne tun. Er wird in klimatisierten Flugzeugen und klimatisierten Hotels und Stadien und VIP-Lounges und so weiter sich aufhalten. Das ist für ihn ja kein Problem. Herr Blatter ist in der Tat ein Phänomen. Er hat einen großen Vorteil: Er sieht unsportlich aus, er ist auch nicht durch irgendeine sportliche Aktivität aufgefallen. Das macht ihn sympathisch für viele Leute, die selber Fußball schauen und nicht unbedingt die größten Sportler sind. Das ist irgendwie eine Vertrauensperson. So kann man das machen mit dem Fußball, so kann man sich ihm nähern und Interesse zeigen. Zweitens ist er ein Schweizer mit einem biederen Akzent und hat so eine Bonhomie, die Vertrauen erweckt. Das ist im Grunde genommen das große Kapital, mit dem er wuchert. Aber wenn man dahinter schaut, wenn man sieht, dass sein Gremium jetzt verurteilt worden ist wegen Schmiergeldzahlungen von 140 Millionen Franken und so weiter, sieht die Sache gleich ganz anders aus.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk FIFA-Kenner und Sportphilosoph Gunter Gebauer. Vielen Dank!

    Gebauer: Gerne. Auf Wiederhören.